Stück von Wilfried Minks und René Pollesch

Nicht weiter wissen und Theater machen

Der Bühnenbildner und Regisseur Wilfried Minks
Bühnenbildner und Regisseur Wilfried Minks © dpa / Bernd Thissen
Von Michael Laages · 25.02.2017
Zum ersten Mal haben der 87 Jahre alte Bühnenbildner Wilfried Minks und der zwei Generationen jüngere René Pollesch zusammen ein Stück erarbeitet. Unter dem Titel "Ich kann nicht mehr" bevölkern überlebensgroße Hühner die Bühne - ganz ernst gemeintes Spiel.
Was für ein Kampf das sein muss, mit dem Alter und gegen die Krankheiten. Und wie beglückend die Siege sind, die es ja doch immer wieder gibt - in dieser Woche zum Beispiel. Da haben Wilfried Minks am 87. Geburtstag gleich zwei Theater-Ensembles hochleben lassen – das Schauspielhaus, wo der Endspurt für die Pollesch-Premiere gerade begann, und das kleine St.-Pauli-Theater, wo Minks zuletzt oft inszenierte, vorzugsweise amerikanische Klassiker, und wo er jetzt gerade die Bühne für eine deutschsprachige Erstaufführung entwirft.
Auch im Gespräch ist jeder Satz ein Kampf, schon der Titel der Arbeit mit Pollesch: "Ich kann nicht mehr, ich weiß nicht weiter."
Mit dem Vielschreiber von der Berliner Volksbühne zu arbeiten, ist eine Übung der speziellen Art – für Bühnenbildner vor allem deshalb, weil Text und Thema sich für Pollesch im Grunde erst in der Arbeit, in den Proben selbst zusammen schieben.
Minks aber hat den ganzen Theaterbetrieb lange vorher in Gang zu bringen; spätestens von der Bauprobe an. Diese verordnete Freiheit am Beginn, sich auf nichts verlassen zu können als auf die eigene Phantasie, gab es übrigens auch schon zu Peter Zadeks Zeiten; aber da ging es meistens um bereits existierende Texte. Jetzt hat Minks die "carte blanche" mit einem Motiv aus frühester Jugend genutzt – auf einem böhmischen Bauernhof im Dorf Binai ist er ja aufgewachsen Anfang der 30er-Jahre; und zwar, zum Beispiel, mit ziemlich vielen Hühnern - und jetzt bevölkern also Hühner seine Bühne, also hühnerartige Konstruktionen, trickreich und teils auf Rollen gebaut mit Menschen drin; und es sind mutige, streitbare Hühner.

Scheißen und weiter fliegen - das Huhn ist zu beneiden

"Die Hühner probieren Aufstand." - Diesen Titel trüge der Abend heute vielleicht, wenn der Bühnenbildner ihn ausgesucht hätte, aber ein gackernder Witz ist das alles trotzdem nicht, sagt Wilfried Minks: "Dass ich, weil nicht mehr weiter weiß, Hühner mache – das sollte es nicht sein." Im Gegenteil – fürs Huhn, also fürs Tier an sich, spricht die Chance für eine andere Art von Dialog:
"Es ist schon spannend, wie die Texte sich dann verschieben von Mensch zu Tier ... obwohl die Probleme ähnlich sind."
Und auch die Frage nach den Dimensionen stellt sich für Minks neu: "Was passiert, wenn ein Hahn, oder ein Hühnchen, größer ist als ein Mensch? Oder kleiner wird – noch kleiner, als es sowieso schon ist ..."
Vielleicht sieht’s oft nicht so aus, aber im Detail sind Hühner sehr frei: "Man muss sehr frei sein, um in die Welt zu fliegen, da hin zu scheißen und weiter zu fliegen. Da musst du eine große Freiheit haben."

Beziehungen stiften zu anderen Welten

Die Freiheit des Künstlers? Auch eine Giraffe zum Beispiel hätte er gern mal auf der Bühne gehabt, schon allein damit wir nicht immer alles nur am Maßstab von uns dummen Menschen betrachten. Denn wir, die Menschen, sind es ja, die den Planeten immer von neuem ins Unglück stürzen. Auch das steckt hinter diesem verzweifelten Ich-weiß-nicht-mehr-weiter-Schrei "Ich kann nicht mehr". Wie verspielt Minks sich gerade an diesem Abend auch zeigen mag – er meint es ernst; mit der Welt und mit dem Huhn und immer wieder auch mit dem Theater. Minks-Bühnen geben Inszenierungen die Richtung vor, optisch und intellektuell; wie zuletzt Roland Schimmelpfennigs Stück "Spam" (ebenfalls am Schauspielhaus), wo der Turmbau von Babel, auf dem Kopf stehend, den Raum dominierte. Oder wie jenes langsam wandernde Riesen-Rad, das sich hinter Nick Paynes "Constellations" bewegte im kleinen St.-Pauli-Theater. Und natürlich kennt fast jeder und jede die legendären Minks-Ikonen: etwa das berühmte Roy-Lichtenstein-Bildzitat aus seligen Bremer Zadek-Zeiten.
Die Kraft des Theaters erscheint Wilfried Minks ungebrochen über die Jahrhunderte hinweg:
"Das finde ich am Theater das Spannende: dass es nicht nur zeigt, was heute ist, sondern immer die Brücke schlägt zu anderen Gedanken, anderen Welten, dass es sich in Beziehung setzt."
Beziehungen stiften zu anderen Welten, seit 60 Jahren – Wilfried Minks, 87, hört nicht auf daran zu arbeiten. Noch lange nicht.

In "Rang 1" sprach Susanne Burkhardt mit René Pollesch: Die ausführliche Fassung hier zum Nachhören:
"Wir sind keine Service-Leistenden!" - René Pollesch über Denken und Sprechen (38:34)
(Deutschlandradio Kultur, Rang I, 25.02.2017)

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