Studio 9 - Der Tag mit Wolfram Eilenberger

"Ehe für alle" als Effekt der Säkularisierung

Wolfram Eilenberger
Der Philosoph Wolfram Eilenberger sieht in der rechtlichen Gleichstellung einen gesellschaftlichen Fortschritt © Deutschlandradio / Manfred Hilling
Wolfram Eilenberger im Gespräch mit Korbinian Frenzel  · 30.06.2017
Die Bundestagsentscheidung für die "Ehe für alle" ist nach Ansicht des Philosophen Wolfram Eilenberger vor allem ein symbolischer Akt gewesen. Für die Gegner sei die Ehe ein Sakrament und damit stark religiös aufgeladen.
Nach jahrelanger Debatte hat der Bundestag Homosexuellen in Deutschland den Weg zur Ehe geebnet. Der von Rot-Rot-Grün eingebrachte Gesetzentwurf der Länder erhielt eine klare Mehrheit im Parlament - auch fast ein Viertel der Unionsabgeordneten votierte mit Ja. Damit dürfen gleichgeschlechtliche Paare künftig genauso heiraten und Kinder adoptieren wie ein Paar von Mann und Frau.

Ende einer langen Bewegung

"Was jetzt passiert ist, ist, glaube ich, eher ein symbolpolitischer Akt", sagt der Philosoph und Publizist Wolfram Eilenberger im Deutschlandfunk Kultur. Es sei das Ende einer langen Bewegung, aber kein Ankommen. Mit der eingetragenen Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare 2001 seien schon seit sehr langer Zeit rechtliche Voraussetzungen gegeben, die eheähnlich seien.

Grundmotiv konservativen Denkens

"Die Idee, dass die Ehe zwischen Mann und Frau die Keimzelle jeder Gesellschaft, auch einer modernen Gesellschaft sei, ist ein Grundmotiv des konservativen Denkens", sagte Eilenberger über die Kritiker der "Ehe für Alle". Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte im Bundestag gegen das Gesetz gestimmt. Die Ehe müsse in drei verschiedenen Sphären besprochen werden, sagt der Philosoph. Für viele sei sie ein Sakrament und damit sehr stark religiös aufgeladen. Außerdem sei die Ehe im konservativen Denken die Grundlage für eine funktionierende Gesellschaft. Andererseits werde die Ehe vom Staat auch materiell und rechtlich privilegiert. "Diese drei Ebenen verschwimmen in diesem Begriff", sagt Eilenberger. Das, was Gegner der Gleichstellung wie die CSU-Bundesabgeordnete Gerda Hasselfeldt formulierten, sei deshalb nicht falsch oder unverständlich. Dennoch sei es heute nicht mehr sehr plausibel, dass diese Keimzelle der Gesellschaft unbedingt von Mann und Frau vertreten werden müsse.

Lange Debatte

Eilenberger wies darauf hin, dass es schon seit Jahrzehnten eine Diskussion über diese Fragen gegeben habe. Die Union habe mit ihrem Abstimmungsverhalten bislang eine Entscheidung klar verweigert. Aber für eine christliche, demokratische Partei sei diese Frage keine leichte gewesen. "Die staatliche Deutungsmacht dessen, was Ehe ist, ist ein Effekt, den man der Säkularisierung zuschreiben kann", sagt der Philosoph. "All die Menschen, die sagen, der Staat hat gar nicht zu entscheiden, was eine Ehe ist, das sind christlich gläubige Menschen und deren Intuitionen sind auch ernst zu nehmen."

Skepsis gegenüber Umfragen

Der Publizist zeigte sich angesichts von Umfragen skeptisch, ob sich dort nicht die Effekte der sozial erwünschten Antworten stark auswirkten. Er sei sich nicht sicher, inwieweit sie "Lebensrealität und Handlungsrealität" abbildeten. "Ich glaube, es ist immer ein Fortschritt, wenn Menschen rechtlich für etwas gleichgestellt werden, was ihnen selbst unverfügbar ist", sagt Eilenberger. Dazu gehöre auch die sexuelle Orientierung.
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