Studio 9 - Der Tag mit Götz Aly

"Verstecken wir uns jetzt nicht auch hinter Trump?"

Aktivisten des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) protestieren am 01.06.2017 auf dem Pariser Platz in Berlin gegen einen möglichen Ausstieg der US-Regierung aus dem Pariser Klimaabkommen.
BUND-Aktivisten protestieren gegen den möglichen US-Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen © dpa / Rainer Jensen
Moderation: Korbinian Frenzel · 02.06.2017
Auf die Ankündigung des US-Präsidenten Donald Trump, aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen, folgt der Protest. Unter anderem von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der Historiker Götz Aly sieht diese Kritik skeptisch.
Viele Beobachter hatten diese Entscheidung erwartet, nun hat US-Präsident Trump sie offiziell verkündet: Die USA steigen aus dem Pariser Klimaabkommen aus. Der Vertrag behandle sein Land "unfair", er sei aber bereit für neue Verhandlungen zum Klimaschutz. Daran gibt es inzwischen viel Kritik aus der deutschen und internationalen Politik. Bundeskanzerlin Merkel sagte heute: "Wir brauchen dieses Pariser Abkommen, um unsere Schöpfung zu bewahren."
Hinter dieser Diskussion stecke auch ein Stück Verlogenheit, kritisiert der Historiker Götz Aly im Deutschlandfunk Kultur und fragt: "Verstecken wir uns jetzt nicht auch hinter Trump?" Auch die Klimapolitik Deutschlands gehöre auf den Prüfstand, sagt er und kritisiert dabei insbesondere Merkel:
Der Historiker und Politikwissenschaftler Götz Aly
Der Historiker und Politikwissenschaftler Götz Aly© Deutschlandradio / Leila Knüppel
"Es ist ja schön, was die Bundeskanzlerin da sagt und erklärt. Aber sie ist gleichzeitig auch eine, die sich zusammen mit unserem CSU-Verkehrsminister immer dafür eingesetzt hat - übrigens auch mit den deutschen Gewerkschaften und Automobilkonzernen -, den Schadstoffausstoß für deutsche Kraftfahrzeuge möglichst hoch zu halten, restriktivere Vorschläge aus Brüssel herunter zu verhandeln, zu blockieren, Möglichkeiten des Betrugs zu eröffnen durch mangelnde Kontrollen usw. Das sollten wir mit bedenken, wenn wir über Donald Trump sprechen."
Aly plädiert dafür, erst einmal die weitere Entwicklung auf die die Entscheidung Trumps abzuwarten. Die USA seien kein monolithischer Block, der allein vom Präsidenten gesteuert werden könne:
"Die einzelnen Bundesstaaten oder Bundesgerichte haben die Möglichkeit, anders zu verfahren und alternative, neue Energie zu fördern. Und das tun sie auch. Vielleicht gibt es auch innerhalb der USA sehr produktive Gegenreaktionen gegen diesen Schritt. Das halte ich in einzelnen Bundesstaaten nicht für ausgeschlossen."

Benno Ohnesorg und der ideologische Kampf um die '68er-Zeit

Fünfzig Jahre nach dem tödlichen Polizeischuss auf Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 erinnert Berlin an den Studenten und den Beginn der außerparlamentarischen Opposition in Deutschland. Ohnesorg war bei einer Demonstration gegen den Besuch des Schahs von Persien vom Polizisten Karl-Heinz Kurras erschossen worden. Ist der Tod von Ohnesorg nach wie vor eine Wunde, die schmerzt und nicht verheilt ist, wie Michael Müller, der Regierende Bürgermeister von Berlin, sagt? Wie sehr hat dieser Schuss das Land verändert?
Der ideologische Kampf um die darauf folgende '68er Zeit und deren Folgen dauert offenbar immer noch an. So hat AfD-Co-Vorsitzender Jörg Meuthen kürzlich das Ziel seiner Partei beschrieben, die sich ein Deutschland "weg vom links-rot-grün-verseuchten '68er Deutschland" wünsche.
Aly hat in diesem Zusammenhang eine "Umkehrung der Protestformen" beobachtet: Mittlerweile würden die "halb-revolutionären", damals auf einen Elitenwechsel zielenden Protestformen der '68er von ganz anderen gesellschaftlichen Gruppierungen verwendet – auch von Pegida und der AfD:
"Dass auch Rechtsradikale sich als Spaßguerilla gebärden können, dass sie mit ähnlichen Aufklebern, mit ähnlichen Untergrundmitteln arbeiten können. Das könnte im Rückblick auch diejenigen, die '68 verherrlichen, in ihrer Verherrlichung durchaus bremsen."

Neue Regel für den Alterspräsidenten des Bundestages

Thema außerdem in "Studio 9 - Der Tag mit Götz Aly": Der Bundestag setzt künftig bei der Auswahl des Alterspräsidenten auf Erfahrung statt Alter. Nicht wie bisher der an Jahren älteste, sondern der dienstälteste Abgeordnete wird die erste Sitzung des neuen Bundestages eröffnen. Dient die Neureglung nur dazu, einen Alterspräsidenten der AfD namens Wilhelm von Gottberg zu verhindern?
Aly sieht die vorgenommene Änderung der Geschäftsordnung zum Alterspräsidenten mit Skepsis:

"Ich habe Bedenken. Weil ich einfach finde, dass die AfD hier zu wichtig genommen wird. Wir hätten das ertragen können. Wenn ich Bundestagsabgeordneter gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich gegen diese Änderung gestimmt. (…) Wir sollten mehr Vertrauen in unserer Institutionen haben und auch die Erschütterungen, die eine Demokratie notwendigerweise mit sich bringt und denen wir immer weiter ausgesetzt sein werden – wir müssen sie mit Selbstbewusstsein und Souveranität handhaben. Wir können nicht in jedem Fall unsere Gesetze ändern."

Götz Aly ist Zeithistoriker, Politikwissenschaftler und Publizist. Bekannt wurde er vor allem durch seine Forschung und Bücher über die Zeit des Nationalsozialismus und über Antisemitismus des 19. und 20. Jahrhunderts. In seinem Buch "Unser Kampf. 1968 – ein irritierter Blick zurück" (S. Fischer Verlag, 2008) setzte sich der 1947 geborene Aly aber auch sehr kritisch mit der eigenen Generation auseinander: Während seines Studiums in West-Berlin war Aly selbst in der Studentenbewegung aktiv.

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