Studierende wissen, "dass solche Dinge nicht in Ordnung sind"

Rainer Elkar im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 28.02.2011
Der Münchner Historiker Rainer Elkar kritisiert, dass der Minister "den hohen Ansprüchen hinsichtlich der bürgerlichen Moral nicht genügt". Er könne ihn als Wissenschaftler nicht ernst nehmen. Auch im menschlichen Bereich habe er Zweifel, so Elkar.
Klaus Pokatzky: Doktoranden haben eine Initiative gestartet und mehr als 25.000 Unterschriften gesammelt für einen offenen Brief an Angela Merkel. Sie äußern darin ihre Erschütterung über die Art, wie die Bundeskanzlerin mit dem Plagiat ihres Verteidigungsministers umgegangen ist. Heute hat die Kanzlerin ihre Position noch einmal bekräftigt. Eine andere Zahl: Mehr als 6.000 junge Offiziere studieren an den beiden Universitäten der Bundeswehr in Hamburg und in München.

Rainer Elkar wurde im vorigen Jahr als Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität der Bundeswehr in München emeritiert – guten Tag, Herr Elkar!

Rainer Elkar: Guten Tag, Herr Pokatzky!

Pokatzky: Herr Elkar, Sie haben 16 Jahre an der Bundeswehr-Universität gelehrt, wie vielen Plagiatoren sind Sie denn so in dieser Zeit bei Doktor- oder Diplomarbeiten auf die Schliche gekommen?

Elkar: Das war keine ungeheure Menge. Man hat natürlich bestimmte Mängel in einfachen Seminararbeiten entdeckt, es gab aber auch in Examensarbeiten mal zwei Fälle. Der eine Fall führte zu einer Beförderungssperre in meinem Bereich, soweit ich das kenne, und der andere Fall führte dazu, dass der Betreffende nicht mehr in der Bundeswehr sein konnte.

Pokatzky: Das heißt, er wurde regelrecht entlassen aus der Armee?

Elkar: Die Konsequenz war, dass er so in eine Lage versetzt wurde, dass er nicht mehr in der Bundeswehr ist.

Pokatzky: Was haben diese Leute denn damals zu ihrer Verteidigung vorgebracht?

Elkar: Dazu muss ich sagen, ich habe vor beiden Fällen, so unangenehm sie damals auch waren, großen Respekt gehabt, denn sie haben in beiden Fällen ihren Fehler – und es war nicht nur ein Fehler, sondern es war eben ein Täuschungsversuch, als solcher ist das zu werten – zugegeben, standen dazu und sagten sofort die Wahrheit in vollem Umfang.

Pokatzky: Aber sie haben nicht etwa gesagt, es gibt doch so viel Wichtigeres, und dass ich jetzt hier getäuscht habe, ist ja nun nicht so wichtig?

Elkar: Nein, nein. Also die beiden Fälle, die ich auch jetzt fast als Personen noch vor Augen habe, waren tief zerknirscht und haben auch dazu gestanden, dass das, was sie gemacht haben, weder ehrenwert ist noch eine Lappalie.

Pokatzky: Wie, glauben Sie, wird sich nun bei diesen 6000 Studenten der beiden Bundeswehr-Universitäten die Art und Weise, wie der Bundesverteidigungsminister nun mit seinem Plagiat umgeht, niederschlagen? Wie groß ist die Gefahr, dass in Zukunft so ein junger Leutnant dann sagen wird, wenn er beim Täuschen, beim Pfuschen erwischt wird, ja gut, es gibt doch viel Wichtigeres, und wenn der Minister nicht belangt wird, kann man mich doch auch nicht belangen?

Elkar: Ich glaube, da sind die Studierenden an den beiden Universitäten der Bundeswehr sehr viel kritischer. Sie wissen, dass solche Dinge nicht in Ordnung sind, sie wissen, dass sie harte Disziplinarstrafen zu befürchten haben, und sie wissen um diese Verantwortung und sie sind der Wahrheit verpflichtet. Schlechte Beispiele müssen nicht unbedingt entsprechende Folgen auch bei den Studierenden haben, sondern ich denke eher, dass sie sehr differenziert mit diesen Vorgängen umgehen. Sie werden natürlich den Minister nach wie vor noch als ihren Dienstvorgesetzten wahrnehmen, aber mit welcher Würde er diese Position einnehmen kann, das liegt in seinem Entscheidungsbereich. Ich finde, er ist zur Führung zweier Universitäten der Bundeswehr, die der Freiheit von Wissenschaft und Lehre verpflichtet sind, nicht mehr geeignet.

Pokatzky: Warum nicht?

Elkar: Er ist Dienstvorgesetzter dieser beiden Universitäten, wie ich schon sagte, sie sind in Wissenschaft und Lehre frei und Wissenschaft und Forschung frei, aber er ist natürlich der oberste Dienstherr, der zum Beispiel auch nach bestandenen Prüfungen auf dem Gelände der Universität der Bundeswehr auch Beförderungen vornimmt. Und da kann ich mir natürlich schon vorstellen, dass eine junge Studentin oder ein junger Student in Reih und Glied stehen und sagen: Ich werde hier gelobt für meinen Prüfungserfolg und wie sieht es denn mit dir aus? Diese Vorstellung wird in den Köpfen sicherlich vorhanden sein. Und ich weiß auch, dass etliche Studierende so denken, denn ich habe in letzter Zeit viele Anrufe und auch Besuche hier gehabt.

Pokatzky: Glauben Sie, dass er in einer solchen Situation überhaupt noch ernst genommen werden kann?

Elkar: Als Wissenschaftler kann ich ihn nicht mehr ernst nehmen, und auch in einem menschlichen Bereich habe ich große Zweifel. Ich will Ihnen eins auch jetzt auf die Reaktion der Bundeskanzlerin hin sagen: Wir haben in Italien ein Negativbeispiel, wohin die unverhältnismäßige Verehrung eines charismatischen Politikers führen kann, wir brauchen nichts Vergleichbares in Deutschland. Jeder ist ersetzlich, ob er nun Charisma hat oder als unverzichtbar erscheint oder nicht. Und ich glaube, das trifft hier in diesem Fall auch zu.

Pokatzky: Ich spreche mit Rainer Elkar, dem emeritierten Professor an der Bundeswehr-Universität München. Herr Elkar, die Bundesbildungsministerin Annette Schavan, da ja auch zunächst eine etwas relativierende, verharmlosende Äußerung von sich gegeben hat in dieser ganzen Debatte, ist heute in der "Süddeutschen Zeitung" doch auf leise Distanz zu ihrem Kabinettskollegen gegangen. Als Wissenschaftlerin, die vor 30 Jahren selbst promoviert habe, schäme sie sich nicht nur heimlich für dieses Debakel. Erst hatte also Annette Schavan abgewiegelt, warum nun doch die späte Einsicht?

Elkar: Ich denke, jeder, der einmal in der Wissenschaft zu Hause war – und Ministerin Schavan ist ja in besonderer Weise der Wissenschaft verbunden –, muss zu einer solchen Einsicht kommen ...

Pokatzky: Was haben Sie denn, wenn ich mal dazwischenfragen darf, als Sie das gehört haben, wie sie sich erst geäußert hat, was ist da in Ihnen vorgegangen, was haben Sie da gedacht? Ist das ein Skandal?

Elkar: Sie meinen jetzt die Äußerung von Frau Schavan?

Pokatzky: Ja.

Elkar: Die habe ich heute früh in der "Süddeutschen Zeitung" gelesen und habe mir gedacht: Na endlich!

Pokatzky: Und als Sie die der Kanzlerin gehört haben, haben Sie gleich an Italien gedacht?

Elkar: Ja.

Pokatzky: Aber warum glauben Sie denn, dauert es so lange, bis sich die dafür zuständige Bundesministerin in dieser deutlichen Form äußert?

Elkar: Das kann ich nun schlecht abschätzen. Man muss allerdings natürlich auch sehen, dass der Verlust dieses Ministers natürlich – wenn ich an das Schachspiel denke – mindestens ein Turm in der Schlacht ist und nicht eben ein Bauernopfer. Und das ist natürlich schwierig für eine Fraktion. Ich denke auch an die Stellungnahme von Herrn Kauder gestern im Fernsehen, die mich tief betroffen gemacht hat und wofür ich eigentlich keinerlei Verständnis aufbringen kann.

Pokatzky: Weil er was gesagt hat?

Elkar: Weil er nach wie vor auf der Ebene liegt "das ist ein Fehler, und Fehler sind verzeihlich". Natürlich sind Fehler verzeihlich, aber dies ist mehr als nur ein Fehler: Es ist ein Täuschungsversuch, im materiellen Recht würde es sich hier um Betrug handeln.

Pokatzky: Hat sich eigentlich Ihre persönliche Haltung in dieser ganzen Debatte geändert? Wenn wir mal Tage zurückgehen zu dem Tag vorletzte Woche, als die "Süddeutsche Zeitung" die erste große, ganze Seite zwei gebracht hat über den damals noch Plagiats-Vorwurf, bis heute, wenn Sie also betrachten, wie die Regierungspolitik mit diesem Fall umgegangen ist.

Elkar: Ja, meine Position hat sich geändert. Ich habe ja sehr früh einen Leserbrief in der "FAZ" gehabt, der in meinen Augen noch sehr behutsam und abwägend war, das haben mir auch verschiedene nationale und internationale Kollegen bestätigt. Aber im Verlauf der Affäre, wie mit dieser Affäre umgegangen wurde, nicht zuletzt auch, wie mit dem ehrenwerten Doktorvater von Herrn Guttenberg umgegangen wurde, wurde mein Entsetzen immer größer. Und ich bin schon der Meinung, dass so etwas nicht tragbar ist. Es hat etwas mit öffentlicher Moral in der Politik zu tun. Deutschland und Italien ist nicht in allen Dingen vergleichbar, aber wir sind hier in den Vorhöfen. Wenn eine breite Bevölkerungsmehrheit so etwas zu tragen bereit ist, dann ist mir das unheimlich.

Pokatzky: Herr Elkar, wir haben natürlich auch versucht, die Leitungen der beiden Bundeswehr-Universitäten zum Interview zu bewegen, haben dort aber Abfuhren erfahren. Warum kommt da so gar nichts aus den beiden Universitäten der Bundeswehr?

Elkar: Also ich kenne natürlich zumindest meine Münchner Präsidentin, das würde ich schon meinen, das ist eigentlich eine couragierte, kluge und engagierte Dame und auch eine hervorragende Wissenschaftlerin. Vielleicht ist es so, dass man hier etwas behutsamer mit dem Dienstherrn umgehen will. Ganz verständlich ist es mir in der Tat nicht, denn als Wissenschaftler muss man Position für die Wahrheit beziehen, und das unter allen Umständen. Ich glaube nicht, dass das Verteidigungsministerium es wagen würde, die freie Meinung an einer der Universitäten der Bundeswehr zu sanktionieren, das kann ich mir nicht vorstellen. Und wenn es so wäre, müsste man eben couragiert dagegen antreten.

Pokatzky: Ist das dieser berühmte Primat der Politik, der ja für die Soldaten fast schon so eine Art Götze ist, der ja jetzt auch verhindert, dass sich niemand, auch nicht von den lange in Rente gegangenen hohen Generälen oder Admiralen kritisch äußert?

Elkar: Da muss man sehen, dass die Einschätzung in dem wissenschaftsnahen Bereich der Bundeswehr … also ich spreche jetzt von den beiden Universitäten, und ich kenne Kollegen, die so ähnlich denken wie ich und die es auch öffentlich bekunden, zum Beispiel mein Kollege Stark in Hamburg tut das durchaus, und auch andere, und auch einen Emeritus kenne ich, der ähnlich auftritt. Das ist was anderes, als wenn sie sozusagen in der Truppe sind. Und die Sichtweise in der Truppe ist natürlich eine andere, da steckt man nun in dem Umbau der gesamten Bundeswehr und sagt, diese Reform muss vorangebracht werden. Dafür habe ich ein gewisses Verständnis, aber jeder ist ersetzbar. Und auch dieser Verteidigungsminister hat hervorragende Staatssekretäre.

Pokatzky: Wenn dieser Minister doch bleibt, haben wir dann in Zukunft sozusagen ein Guttenbergiat, also sozusagen die nobilitierte Variante des Plagiats, ein Plagiat nach Gutsherrenart, was ihm letztlich dann nicht zu Schaden kommen wird?

Elkar: Ich würde es nicht auf solche Formulierungen bringen, sondern ich würde nur sagen, wir haben dann einen Fall eines Ministers, der den hohen Ansprüchen hinsichtlich der bürgerlichen Moral, die von seiner eigenen Partei wiederholt in den Vordergrund geschoben wird, nicht genügt. Und das muss er und seine Partei dann aushalten. Ich hoffe nicht, dass es übergangen werden kann.

Pokatzky: Danke, Rainer Elkar, emeritierter Professor an der Bundeswehr-Universität in München.

Elkar: Ich danke Ihnen!
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