Studie über Einstellungen zu Corona-Maßnahmen

Leistungsorientierte Impfskeptiker

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Eine Illustration zeigt einen Geschäftsmann mit Aktentasche der über rote Balken auf stilisierten Corona-Viren läuft.
Vor allem "Leistungsorientierte" wehren sich gegen Corona-Maßnahmen - Grund sei ein falsches Freiheitsverständnis, meint David Lauer. © IMAGO / Ikon Images / Thomas Kuhlenbeck
Von David Lauer · 28.02.2021
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Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt, dass ausgerechnet bei den sogenannten "Leistungsorientierten" besonders viele Impfskeptiker unterwegs sind. Das hängt mit einem falschen Verständnis von Freiheit zusammen, kommentiert David Lauer.
Glaubt man der Bertelsmann-Studie "Zwischen individueller Freiheit und Gemeinwohl", so legen Angehörige des Milieus der "leistungsorientierten Macher_innen" viel Wert auf Karriere und gesellschaftlichen Einfluss, sind gut ausgebildet und einkommensstark. Der Studie zufolge stimmen 45 Prozent der Befragten dieses Milieus der Aussage zu, dass "jede Maßnahme zur Bekämpfung der Pandemie, die in Freiheitsrechte eingreift, […] grundsätzlich abzulehnen" sei. Eine weitere Aussage, die in diesem Milieu eine spitzenmäßige Zustimmungsrate erzielt, lautet: "Ich werde mich auf keinen Fall gegen Corona impfen lassen." 46 Prozent stimmen dem zu.
Die deutsche Impfskepsis blüht und gedeiht also möglicherweise gar nicht bei den waldorfbewegten Müslischlürferinnen und -schlürfern im Prenzlauer Berg, sondern in einem Milieu, für das laut Studie ein 34-jähriger verheirateter Jurist repräsentativ ist, der CDU wählt, sich der katholischen Kirche verbunden fühlt und die kleine Maria Antonia hat taufen lassen, weil ihm Traditionen sehr wichtig sind.
Die Autorinnen und Autoren der Studie vermuten hinter der Impfablehnung in diesen Kreisen eine "Überschätzung der eigenen gesundheitlichen Resilienz". Das mag eine Rolle spielen. Man könnte aber auch vermuten, dass ein Zusammenhang zwischen den beiden auffällig übereinstimmenden Spitzenwerten besteht: Impfungen werden abgelehnt, weil sie als Kollektivierung eines individuellen Lebensrisikos und damit als Freiheitseinschränkung begriffen werden.

Umweltschutz und SUVs

Wie könnten die "Leistungsorientierten" zu mehr Impfkooperation motiviert werden? Die Autorinnen und Autoren der Studie meinen, man solle ihnen mehr Wertschätzung vermitteln, indem man die Wichtigkeit individueller Freiheit für die Gesellschaft unterstreicht. Aber vielleicht kann man sie auch schlicht auf einen Zusammenhang aufmerksam machen.
Interessant ist nämlich, dass die "Leistungsorientierten" sich laut Befragung viel auf ihre Gemeinwohlorientierung zugutehalten. Das mag zunächst verwundern. Gemeinwohlorientiert, aber keine Lust, sich impfen zu lassen? Das ergibt aber durchaus Sinn, wenn man Freiheit und Gemeinwohl als zwei voneinander unabhängige Werte begreift – das eine verfolgt man hier, das andere dort. Man spendet also etwa großzügig für den Umweltschutz (das ist Gemeinwohl), will sich davon aber nicht den eigenen standesgemäßen SUV madig machen lassen (das ist Freiheit). Nach diesem ultraliberalen Freiheitsverständnis meint Freiheit nicht nur die Abwesenheit von Zwang, sondern die Abwesenheit von Pflicht, von Verantwortung für andere überhaupt.
David Lauer steht für ein Porträt-Bild vor einem grauen Hintergrund.
Der Philosoph David Lauer© © Fotostudio Neukölln / Gunnar Bernskötter
Warum also nicht offensiv auf die individualistische Verkürztheit dieses Freiheitsbegriffs hinweisen, statt ihn zu hätscheln? In Wahrheit stehen Freiheit und Gemeinwohl zwar in einem Spannungsverhältnis zueinander, sind aber zugleich untrennbar miteinander verkoppelt. Die Freiheit des Liberalismus ist eine allgemeine Freiheit: die gleiche Freiheit aller. Liberal ist nicht, wer die eigene Freiheit maximal auskostet und dadurch die Freiheit anderer mit Füßen tritt.
Insofern ist auch für Liberale "die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller". (Das stammt aus dem Kommunistischen Manifest, aber das muss man den Leistungsorientierten ja nicht verraten.) Wenn man nun versteht, dass eine durchgeimpfte Bevölkerung die Bedingung dafür ist, dass auf lange Sicht alle wieder ihre individuelle Freiheit verwirklichen können, dann könnte die Einsicht dämmern, dass man nicht gut für das Gemeinwohl und für die Freiheit sein kann, aber eine Impfung verweigern.
Wer Freiheit will, muss für den Erhalt der Bedingungen, unter denen sie verwirklicht werden kann, Verantwortung übernehmen – und darf hier gern seine oder ihre Leistung bringen.

David Lauer ist Philosoph und lehrt an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Philosophie des Geistes und der Erkenntnistheorie. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.

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