Studie über den Journalismus

Vorgestellt von Rainer Burchardt · 01.10.2006
Was ist mit den deutschen Journalisten los? - fragen die Autoren dieses "Reports über Journalisten in Deutschland" irgendwann gegen Ende ihrer umfangreichen Studie. Dabei bleiben sie die Antwort zwar nicht direkt schuldig, doch sie fällt so differenziert aus.
So lässt sich allenfalls die Schlussfolgerung ziehen: Dieser Berufsstand ist genau wie jeder andere den ökonomischen, sozialen und technologischen Zwängen der Gesellschaft unterworfen. Einziger Unterschied: Auch wenn der Titel von den "Souffleuren der Mediengesellschaft" kündet, so ist doch unverkennbar, dass der dauerhafte Strukturwandel der Öffentlichkeit auch die Akteure auf die Bühne holt. Wenn sie nicht schon selbst auftauchen.

Das Erstaunliche dabei: Obwohl nach dieser Studie der Journalismus im letzten Drittel der öffentlichen Ansehensskala rangiert – umzingelt von ebenso diskreditierten Berufsbildern wie Offizier, Politiker oder Gewerkschaftsführer – hat dieser Berufszweig gerade bei jungen Menschen die größte Attraktivität.

Dabei liefert gerade diese verdienstvolle Analyse den Beleg, dass es den Journalismus überhaupt nicht mehr gibt. Vielmehr haben wir es seit langem mit einer, wie Autoren sagen ‚Entgrenzung’ des Metiers auf allen Ebenen zu tun.

Die Wissenschaftler machen sechs zentrale Prozesse aus, die sowohl die aktuelle Situation des Journalismus als auch die Zukunftsentwicklungen einbeziehen sollen. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um Abgrenzungen der Ansprüche an ein Berufsbild im Wandel, wie etwa Qualitätskriterien oder Genderfragen.

Hinter diesen Kategorien verstecken sich praktische Entwicklungen wie die Erkenntnis, dass in den letzten zehn Jahren die Zahl der hauptberuflichen Journalisten sich um zehn Prozent auf 48.000 verringert hat, dass der Teilzeitjournalismus zunimmt, dass ein Trend der Etablierten zur bloßen Informationsvermittlung erkennbar sei, dass es eine Entwicklung zum Drei-Klassensystem im Journalismus gebe, dass Frauen in Medien auf dem Vormarsch sind und dass zunehmend Journalisten mehr sich selbst als ihre Stories in den Medien präsentieren.

Letzteres war fraglos besonders deutlich im letzten Bundestagswahlkampf zu beobachten, als die von den Autoren als "Alphatiere" bezeichneten Hauptstadt-Medienstars sich selbst ohne Mandat und nachvollziehbare öffentliche Legitimation quasi als Ersatzpolitiker gerierten. Raus aus der Souffleur-Box, rauf auf die Bühne. Hilfestellung bei diesem Mummenschanz lieferten die Medien selbst. Der Journalist x interviewt den Journalisten Y. Gipfel dieser Selbstreferentialität waren die Talkshows, die als wohlfeiles Genre des Infotainment die Plattformen boten.

Auch andere Entgrenzungen werden von den Autoren aufgezeigt: Zum Beispiel der Fall des Society Reporters des "Süddeutsche Zeitung Magazins", Tom Kummer, der mit selbst fabrizierten Interviews mit Hollywood-Größen glaubte, eine neue Dimension ausgemacht zu haben, den "Borderline-Journalismus".

Die Kummer Fälschungen: Einzelfall oder Symptom?, überschrieb "Die Zeit" ein Streitgespräch mit Ex-"Tempo"-Chefredakteur Markus Peichl, einem der Erfinder des Zeitgeist-Journalismus’. Inzwischen einige Jahre später kennen wir die Antwort. Der selbsternannte Borderline-Journalist Tom Kummer ist mit seinen Fakes nicht allein geblieben. Im Jahre 2004 flogen neben vielen anderen Jayson Blair ("New York Times") und Jack Kelly ("USA Today") auf - zwei Großfälscher, die in systematischem Stil und über längere Strecken ihre Stories erdichtet hatten.

Aber auch der ganz banale graue Alltag des deutschen Journalisten ist nicht frei von "kleinen Schummeleien".

Da sitzt der politische Korrespondent vor dem Fernsehapparat und schaut PHOENIX statt "vor Ort" zu sein, da wird aus Radio-Interviews zitiert, obwohl man davon nur eine karge Agentur-Fassung kennt, da werden Zitate aus anderen Medien übernommen – ungeprüft und ohne die Quelle zu nennen, da sind Reportagen das Ergebnis von "Recherchen" in der Suchmaschine Google.

Überhaupt das Internet. Hier weisen die Autoren verdienstvoll auf das große Missverständnis der "Demokratisierung" des Berufes, weil jeder Blogger sich Journalist nennen und ohne Kontrolle oder redaktionellen Filter medial arbeiten darf. Auch eine Entgrenzung, der vorläufig Tür und Tor geöffnet sind.

In den USA, wo sich die Weblogs als eigene Kommunikationsform offenbar durchgesetzt haben, sind gerade auch mit der Kehrseite der Medaille eines neuen "Bürgerjournalismus" bereits interessante Erfahrungen gemacht worden. Sie betreffen in erste Linie das Fehlen von professionellen Kontrollinstanzen, so dass zum Beispiel versteckte PR ungehindert passieren kann - was vor allem Probleme im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit der Internetkommunikation aufwirft.

Gleichzeitig sägt dies aber am Stuhl der etablierten Nachrichtenmedien – etwa, wenn die Bloggergemeinde einer Anchorman-Institution wie Dan Rather (CBS) schlampige Recherche bei einer Geschichte über die angebliche Bevorzugung Präsident Bushs in der Texanischen Nationalgarde nachweist.

Doch nicht nur im Internet mutieren Journalisten oder solche, die sich dafür halten, zu eifrigen PR-Managern. Inzwischen, so hält die Studie auch fest, sind vor allem aus ökonomischen aber auch Zeitgründen Journalisten in die PR-Falle getappt:

Die kargen Honorare für freie Journalisten verstärken die Problematik weiter; sie erhöhen den Druck und schwächen die Abwahrkräfte. In Extremfällen führt die Doppelfunktion von Journalisten dazu, dass PR-Texte übergangslos zu redaktionellen Texten werden: Freie Journalisten formulieren Texte im Auftrag eines Unternehmens und bieten sie den Redaktionen, für die sie arbeiten, als journalistische Texte an. Wenn es gut läuft, können sie dafür sogar zwei Mal kassieren - mit einem Honorar vom Unternehmen und einem von ihrer Redaktion.

Neben diesen sehr anschaulichen Bildern des Wandels eines Berufsbildes liefert die Studie mit Schautafeln und empirischen Daten eine Fülle von Grundlagen im Sinne einer kritischen Bestandsaufnahme des deutschen Journalismus’. Ergebnis: Umbruch allenthalben!

Einziger Wermutstropfen dieser umfangreichen Expertise: Eine genauere und umfassende Analyse des Hörfunkjournalismus und der dort Tätigen fehlt. Leider.


S. Weischenberg, M. Malik, A. Scholl:
Die Souffleure der Mediengesellschaft -
Report über die Journalisten in Deutschland

UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz 2006.
S. Weischenberg, M. Malik, A. Scholl: Die Souffleure der Mediengesellschaft
S. Weischenberg, M. Malik, A. Scholl: Die Souffleure der Mediengesellschaft© UVK Verlagsgesellschaft
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