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FIFA-Urteil
"Ende von Blatter, aber kein Neuanfang"

Mit der Sperre für acht Jahre sei die Ära von Joseph Blatter sicher vorbei, sagte der Philosoph und Sportwissenschaftler Gunter Gebauer im Deutschlandfunk. Allerdings blieben die Strukturen der FIFA. Deren Probleme könnten gelöst werden, wenn sich die großen Fußballverbände vom Weltverband abspalten würden.

Gunter Gebauer im Gespräch mit Jochen Spengler | 21.12.2015
    Der suspendierte FIFA-Präsident Joseph Blatter nach der Entscheidung der Ethik-Kommission, ihn für acht Jahre zu sperren.
    Der suspendierte FIFA-Präsident Joseph Blatter nach der Entscheidung der Ethik-Kommission, ihn für acht Jahre zu sperren. (picture alliance / dpa / Patrick B. Kraemer)
    Gebauer betonte, die ganzen FIFA-Strukturen seien so angelegt, dass sie zur Korruption einluden. "Es ist eine reine Bereicherungsmaschine." Er frage sich, ob nicht die Schweiz nun am Zuge sei. Die FIFA genieße enorme Privilegien und das Land sei erst nach Druck aus den USA gegen Funktionäre vorgegangen.
    Nach Ansicht des Sportwissenschaftlers hängt Blatter so sehr an der Position, weil er damit verbinde, Herrscher über den Fußball auf der ganzen Welt zu sein. "Damit ist ihm eine Bedeutung zugesichert, die eigentlich nur mit der des Papstes konkurriert."
    Statt die FIFA zu reformieren, gebe es in den ökonomisch erfolgreichen Fußballverbänden Überlegungen, sich von der FIFA abzuspalten. Die Alternative sei eine neue, ökonomische Organisation, die wie jeder andere Verband auch von außen kontrolliert werde. Das komme auch für die Bundesliga infrage. Diese habe "ein großes Interesse, sich von diesem ganzen Kladderadatsch zu trennen."

    Das Interview in voller Länge:
    Jochen Spengler: Acht Jahre Sperre für den langjährigen Präsidenten des Weltfußballverbandes FIFA, für Sepp Blatter, und den Chef des Europäischen Verbandes UEFA, Michel Platini. So lautet das Urteil der Ethik-Kommission der FIFA gegen die beiden Funktionäre, die derzeit bereits von ihren Ämtern suspendiert sind.
    Wir wollen nun noch einen etwas größeren Bogen schlagen und über die Zukunft des Weltfußballs sprechen. Dazu begrüße ich am Telefon in Berlin den Sportphilosophen Professor Gunter Gebauer. Guten Tag, Herr Gebauer.
    Gunter Gebauer: Guten Tag, Herr Spengler.
    Spengler: Schafft das Urteil des FIFA-Ethikrats heute einen Neuanfang bei dieser kriminellen Vereinigung, oder kommt das Urteil zu spät?
    Gebauer: Ich glaube, es ist das Ende. Das hat Philipp May ja eben auch klar gemacht. Das Ende einmal von Blatter, aber auch das Ende einer Ära, der Ära Blatter. Dass so jemand sich hinstellen konnte, "Ich bin der Präsident" sagen und meint damit, ich bin der Gott, ich bin derjenige, der alles machen kann, das hat er 40 Jahre lang, sagen wir mal, versucht - und die letzten 20 Jahre lang mit Erfolg. Diese Ära ist sicher vorbei, aber einen Neuanfang sieht man nicht.
    Spengler: Bleiben wir noch einen Moment bei Blatter. Der ist ja nun schon 79 und will immer noch nicht aufgeben. Warum gibt der nicht endlich Ruhe?
    Gebauer: Ja, weil er, glaube ich, mit diesem Begriff Präsident sein verbindet, dass er der Herrscher über den Fußballsport in der ganzen Welt ist, dem wichtigsten Sport, jedenfalls aus der Sicht vieler Länder. Damit ist ihm eine Bedeutung zugesichert, die eigentlich nur noch mit der Bedeutung des Papstes konkurriert.
    Spengler: Kommen wir auf die FIFA. Sie haben gesagt, ein Neuanfang ist das noch nicht. Was bräuchte es denn für einen Neuanfang?
    Gebauer: Das ist im Grunde genommen einfach zu sagen, aber nur unendlich schwer durchzusetzen. Die ganzen FIFA-Strukturen sind so angelegt, dass sie eigentlich zur Korruption geradezu einladen. Es ist so: Jedes Land hat eine Stimme. Jeder Delegierte bekommt traumhafte Sitzungsgelder, First-Class-Flüge und Aufenthalte in Luxushotels und wird, wenn er dann Mitglied eines höheren Gremiums wird, des Exekutivkomitees, fürstlich eingesetzt für alle möglichen Dinge, fürstlich bezahlt. Das ist eine reine Bereicherungsmaschine. Und dieses Komitee mit Blatter bisher an der Spitze und er ganz entscheidend wichtig - viele Dinge hat er zum großen Teil sogar alleine gemacht - kann dann dieses Milliardenvermögen, das die FIFA hat, oder die Milliarden-Einnahmen, die die FIFA jährlich einnimmt, an die einzelnen Mitgliedsländer verteilen, und zwar nicht an die Länder. Das wird offiziell zwar so gesagt, das seien die Verbände. In Wirklichkeit bekommen diese Gelder in der Mehrzahl der Fälle bestimmte Delegierte, die von irgendwelchen kleinen Ländern nach Zürich kommen und das Geld mitnehmen, angeblich zur Entwicklung des Fußballsports in ihrem Land. Aber wenn man genau hinschaut, gibt es mindestens 40, 50 Länder, in denen so gut wie gar kein Fußball gespielt wird. Da kann man sich vorstellen, in welchen Taschen das Geld verschwindet.
    Spitzenclubs und Sponsoren gefragt
    Spengler: Gibt es irgendwelche Anzeichen, dass sich an diesem System irgendetwas ändern könnte?
    Gebauer: Na ja. Dieses System wird ja finanziert. Das generiert ja das Geld, weil es Geldgeber gibt. Es produziert ja nicht selbst etwas; es stellt sozusagen Bilder zur Verfügung, verkauft diese, ist Besitzer des Fußballs in der Welt, und dieser Fußball hat im Augenblick einen immensen Wert. Daran, an der Geldgenerierung, sind beteiligt dann die Sponsoren, die TV-Anstalten, die großen Spitzenclubs, die davon auch profitieren, die Veranstalter von großen Ereignissen wie Fußball-WM und so weiter. Bei der WM kann man jetzt nicht sehr viel Hoffnung haben. Die nächste findet in Russland statt und die übernächste soll in Katar stattfinden. Das sind keine Länder, die jetzt unbedingt für Erneuerung stehen. Ganz im Gegenteil! Aber ich denke, die Sponsoren müssen ja sehen, dass ihr Produkt nachhaltig beschädigt ist, und ich denke, auch die Spitzenclubs, die Spitzenfußball anbieten, gerade in Europa, wo der reichste Fußball der Welt gespielt wird, müssen ja darum bangen, dass etwas an ihnen auch hängen bleibt. Im Grunde genommen auch die Fernsehanstalten müssen befürchten, dass ihr Produkt dadurch beschädigt wird. Und das Einzige, was ich mir vorstellen kann, ist, dass von außen her Druck ausgeübt wird von diesen Instanzen, weniger von den Medien, aber viel stärker von den Sponsoren und den Spitzenclubs, die ja auch schon rumoren, auch schon ihren Unmut bekannt gegeben haben. Und dann frage ich mich, ob nicht die Schweiz endlich mal am Zuge ist. Schließlich ist die FIFA in Zürich angesiedelt und genießt enorme Privilegien. Bislang hat die Schweiz so gut wie nichts getan. Sie hat jetzt diesen merkwürdigen Deal von zwei Millionen Franken kontrolliert, der dann auch zum Eklat geführt hat. Das ist aber das Einzige, was die Schweiz da geleistet hat, und das auch nur, weil die amerikanische Justizministerin sie angetrieben hat. Das konnte sie gar nicht mehr verhindern. Dieser enge Schulterschluss zwischen Schweiz, sprich in diesem Fall bestimmte Positionen in der Regierung und in der Administration, und dem "Schweizer des Jahres", wie die "Weltwoche" getitelt hat, nämlich Blatter, der ist ja nun wohl endlich beendet.
    Auch die Bundesliga ist gefragt
    Spengler: Könnte denn die Schweiz, könnten nicht korrupte Verbände, sagen wir, in Europa, könnten dann vielleicht Sponsoren, die Interesse daran haben, dass ihr Name nicht in Verbindung mit einer kriminellen Organisation genannt wird, könnten die so viel Druck ausüben, wie Sie sagen, dass beispielsweise ein nicht korrupter neuer FIFA-Präsident gewählt wird?
    Gebauer: Die Wahl selber müsste ja wieder von den Delegierten gemacht werden. Außerdem können da nur diejenigen gewählt werden, die sich zur Wahl stellen. Und wenn man sich anschaut, wer sich da zur Wahl stellt, dann muss man eigentlich seine Hoffnung sinken lassen. Ich könnte mir eher vorstellen, dass das, was man schon hört aus den Ligaverbänden, aus den Spitzenclubs, dass daran gedacht wird, dass sich der ökonomisch ertragreiche Fußball, da wo das große Geld gemacht wird, dass der sich abspaltet von der FIFA, dass er eine eigene Organisation bildet, die jetzt nicht mehr verbunden ist mit Amateurvereinen, mit Jugend- und Kindersport und so weiter - das ist ja alles unter dem Dach der FIFA -, dass man dort einen sauberen Schnitt macht, eine ökonomische Organisation gründet, die dann auch entsprechend kontrolliert wird, was die FIFA eben nicht wird, dass sie ein klares Satzungsrecht bekommt und eine Kontrolle ihrer Finanzen und ihrer Satzung und ihrer Beschlüsse, wie das eigentlich bei jedem anständigen Wirtschaftsverband und bei jedem anständigen Sportverein auch der Fall ist.
    Spengler: Herr Gebauer, Teil eines solchen neuen Verbandes wäre dann zum Beispiel die englische Premier League, oder wer?
    Gebauer: Die englische Premier League, natürlich die spanische Primera División will dann mitmachen ...
    Spengler: Die Bundesliga?
    Gebauer: Die Bundesliga, denke ich, kann ich mir sehr gut vorstellen, hat ein großes Interesse, sich von diesem ganzen Kladderadatsch zu trennen. Und man könnte sich vorstellen, dass unter Druck der Sponsoren dann auch die FIFA - und das müsste eigentlich jetzt eine Forderung sein - quasi unter Kuratel gestellt wird, dass es sozusagen einen Konkursverwalter von außen gibt. Das wird die FIFA nie zulassen, aber ich denke, es müssten Wege gesucht werden, auch juristische Wege, finanztechnische und ähnliche - da ist die Schweiz gefragt -, die FIFA jetzt von außen zu kontrollieren. Immerhin hat die amerikanische Justizministerin vorgemacht, wie man so etwas kann. Inzwischen sitzt ja praktisch das halbe Exekutivkomitee im Gefängnis.
    Spengler: Das waren die Ansichten von Professor Gunter Gebauer, Sportphilosoph. Vielleicht finden Ihre Vorschläge ja bei irgendjemandem Anklang und wir haben dann so eine Art Konkurrenzorganisation zur FIFA. Danke für das Gespräch, Herr Gebauer.
    Gebauer: Gerne, Herr Spengler.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.