Stromautobahn "Südlink"

Die Bürger von Sinntal geben nicht auf

Sinntal Ortsteil Schwarzenfels, Burg Schwarzenfels
Die hessische Gemeinde Sinntal liegt mitten im Naturpark Spessart - die geplante Stromtrasse "Südlink" ist nach Meinung von Bürgern und Kommunalpolitikern eine Bedrohung für Flora und Fauna. © picture alliance / dpa / Friedel Gierth
Von Ludger Fittkau · 10.02.2017
Windenergie aus dem Norden soll in den Süden. Dazu sind Stromtrassen nötig. Doch wer entscheidet, wo der beste Weg für eine solche Trasse ist? Die Bürger von Sinntal wehren sich weiterhin gegen die geplante Stromautobahn Südlink - auch in der unterirdischen Variante.
Es ist schön in Sinntal – auch im Winter. Schneebedeckte Wiesen in einer sanften Hügellandschaft, im Hintergrund bewaldete Höhen. Das gelbe Straßenschild weist den Weg in Orte wie Flieden oder Schlüchtern. Sinntal, eine Gemeinde mitten im Naturpark Spessart mit rund 9000 Einwohnern über mehrere Dörfer verteilt, wirbt um Neubürger mit dem Slogan "Natürlich zuhause im Grünen". Die neue Stromautobahn "Südlink" von der Küste nach Bayern will man hier nicht – auch nicht als Erdkabel, sagt der junge Sinntaler Bürgermeister Carsten Ullrich:
"Man hat es ja so dargestellt, mit der Erdverkabelung sind alle Widerstände gebrochen und jetzt kann der Südlink kommen. Wo mir von vorneherein klar war, das wird so nicht sein. Weil wir nicht darüber reden, dass da ein kleines Erdkabel in einen Graben gelegt wird, sondern wir reden über eine Schneise, über einen Korridor von 40 Metern Arbeitsbreite, wo massive Kabel vergraben werden, was wiederum Auswirkungen auf die Natur in der unmittelbaren Umgebung hat."
Doch genau die intakte Natur im Spessart ist das Kapital der Gemeinde Sinntal. Im Gemeindegebiet gibt es viele Ferienwohnungen, Wander-und Radwege durchziehen die Region. Dennoch hat der Stromnetzbetreiber Tennet die Region Sinntal nun als geeignet für die Verlegung von Hochspannungskabel unter der Erde eingestuft. Bürgermeister Carsten Ullrich ist damit ganz und gar nicht einverstanden:
"Ja, wir haben hier eine sehr enge Tallage, durch die man sich mit dieser Maßnahme durchzwängen müsste. Aber nicht nur die Enge ist das Problem, sondern auch im Querschnitt das, was man da antrifft. Die verschiedenen Naturschutzgebiete, Landschaftschutzgebiete, Flora-Fauna-Habitat-Gebiete, die dort vorzufinden sind."

Schwierige Güterabwägung

Unterstützung bei ihrem Widerstand gegen Südlink auch in der Erdkabel-Variante bekommt die Gemeinde Sinntal auch aus dem zuständigen Landratsamt des Main-Kinzig-Kreises, zu dem die Kommune gehört. Susanne Simmler ist dort Dezernentin:
"Wir befinden uns hier quasi mitten im Spessart. Hier haben wir gemeinsam mit der Kommune vor Ort aber auch mit den Bürgerinnen und Bürgern sehr viele sogenannte Raumwiderstände erhoben. Ich will nur mal einen nennen, der für mich auch einer der wichtigsten ist, das ist das Thema Trinkwasser. Wir haben in diesem Bereich die Trinkwasserversorgung für das Sinntal, in dem dort zwei Brunnen sind, ein dritter ist vorhanden. Und da muss man abwägen zwischen dem Schutzgut Mensch, dem Schutzgut Natur und einem 'ich will das nur einfach nicht bei mir haben'. Das sind wir nicht. Wir sagen ganz klar: Ja, es braucht diesen Transport von Norden nach Süden, aber müssen deutlich gucken, welche Schutzgüter wir berücksichtigen müssen. Und die sind bei uns sehr häufig."
Der Main-Kinzig-Kreis hat deshalb gemeinsam mit der Gemeinde Sinntal ihre amtliche Stellungnahme gegen die geplante Stromtrasse Südlink beim Netzbetreiber Tennet eingereicht. Insgesamt 36 der sogenannten "Raumwiderstände" sind in diesem Papier aufgelistet. Die genannten Problempunkte für das Erdkabel sind vielfältig: Sie reichen vom Lebensraum des Biebers im Bereich der Ortsteile Jossa und Sinn über die Bergwiesen der Ortschaft Ziegelhütte bis zum Magerrasen bei Weichersbach oder zu zwei Waldgürteln im Bereich Güntershof/Grieshof. Viele dieser Punkte haben die Sinntaler Bürger selbst in die Stellungnahme eingebracht, betont Bürgermeister Carsten Ullrich:
"Die Bevölkerung ist sehr sensibel gegenüber diesem Thema. Es gibt eine sehr, sehr aktive Bürgerinitiative. Die Versammlungen sind sehr gut besucht gewesen, mit stellenweise 400 Besuchern und mehr. Wo die Bürger sich zum einen informiert haben, aber hinterher auch ihre Hausaufgaben gemacht haben. Wir haben jeden eingeladen und aufgefordert in seinem Umfeld Hemmnisse, Widerstände und Gründe zu benennen, die gegen die Verlegung des Südlinks in diesem Bereich sprechen. Und aus der Bürgerschaft heraus sind auch sehr viele Eingaben, auch sehr viel qualifizierte Eingaben gekommen."
Bis zum Sommer wertet der Netzbetreiber Tennet nun diese Eingaben gegen mögliche Trassen für die Strom-Erdkabel aus, die auch aus anderen Kreisen und Kommunen in einem Korridor in Osthessen und Thüringen kommen. Dann sollen die Pläne für eine mögliche konkrete Trassenführung offengelegt werden. Die Kommunalpolitiker aus dem Main-Kinzig-Kreis loben den Netzbetreiber dafür, dass die betroffenen Gemeinden diesmal viel früher in die Planungen einbezogen werden. Anders als vor rund drei Jahren, als es zunächst um eine überirdische Trassenführung für Südlink ging, erinnert sich Susanne Simmler:
"Das erste Verfahren, das Tennet aufgesetzt hatte, 2014 und 2015 war unserer Ansicht nach ein intransparentes Verfahren. Das war keine Einbeziehung der kommunalen Ebene gewesen. Es gab auch andere, handwerkliche Fehler. Ich lobe nun ausdrücklich die Tennet für dieses Verfahren, das sie jetzt aufgesetzt haben. Schon im Vorfeld mit uns in Kontakt zu treten. Genauso stellen wir uns dann auch eine Planung vor, an der wir natürlich auch konstruktiv mitarbeiten."

Alternativroute könnte durch die Mittelgebirge führen

Dennoch machen der Main-Kinzig-Kreis und auch die Gemeinde Sinntal keinen Hehl daraus, dass sie sich letztlich gegen die 22 Kilometer lange Erdkabeltrasse durch den Spessart aussprechen werden. Sinntals Bürgermeister Carsten Ullrich hofft, dass das Südlink-Strom-Kabel von der Küste bis nach Bayern am Ende weiter östlich durch die Mittelgebirge gelegt wird:
"Es wird irgendwo einen Sektor geben, wo es eben weniger Widerstände gibt und dieser Sektor ist dann der Sektor, der dann zum Tragen kommt. (…) Wenn man sich die Karte anschaut, dann fällt einem lediglich aus, dass der Korridor durch die Thüringische Rhön wesentlich breiter ist, wesentlich weniger Raumwiderstände im ersten Blick aufzeigt, was nicht heißt, das da keine sind. Aber wenn man so mal drüber guckt, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass das Projekt dort einfacher zu realisieren ist, weil man da dort weniger Raumwiderstände treffen würde."
Kommt Zeit, kommt Rat. Dieses simple Motto ist für den Main-Kinzig-Kreis ganz wichtig, wenn es um die Südlink-Erdkabel geht. Vielleicht ergeben sich ja irgendwann noch ganz andere technische Lösungen, hofft die Kreis-Dezernentin Susanne Simmler:
"Das könnte eine Hoffnung sein. Meine Hoffnung ist nur, dass er wirklich einen transparenten und ergebnisoffenen Prozess gibt. Das ist auch meine Forderung an Bundespolitik, egal welcher Couleur: Es kann nicht sein, dass aus irgendwelchen Überlegungen heraus die kommunale Argumentation nicht beachtet wird. Das ist meine einzige Forderung. Natürlich auch die Hoffnung, vielleicht gibt es sogar technische Neuerungen in den nächsten Jahren, die einen solchen Transport vielleicht sogar anders organisieren könnten. Da wünsche ich allen Technikern und Ingenieuren alles Gute dafür. Das würden wir natürlich begrüßen!"
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