Stress lass nach!

Von Udo Pollmer · 07.06.2009
Gewichtszunahme ist nicht nur abhängig von der Art der Ernährung. Auch Hormone haben Einfluss auf das Körpergewicht. Die Ausschüttung von Stress- oder Ärgerhormonen führt unter bestimmten Bedingungen zur Fettbildung - vor allem am Bauch.
Unser Thema: die heimlichen Dickmacher. Aber nicht die versteckten Kalorien in den Diätwürstchen oder der Zahnpasta, sondern solche, die mit dem Essen rein gar nichts zu tun haben. Das letzte Mal sprachen wir über den Einfluss der Sexualhormone auf das Gewicht. Heute soll es wieder um Hormone gehen, aber solche, auf die wir durchaus etwas Einfluss nehmen können.

Welche sind das? Es geht um Stresshormone, genauer gesagt um Ärgerhormone, weil sie im Falle von Ärger, von Verzweiflung gebildet werden. Der Mensch ist durchaus auch auf Stress ausgelegt, solange er Herr des Geschehens ist. Gefährlich wird es, wenn die Hormone in scheinbar aussichtsloser Situation dauerhaft ausgeschüttet werden. Hier ist insbesondere das Cortisol zu nennen. Dieses Hormon kennen die meisten Menschen ja als Medikament. Da heißt es dann Cortison. Dieses Cortison ist bei längerer Einnahme höchst umstritten, einfach weil die Patienten davon dick werden, vor allem am Bauch. Und weil parallel zur Gewichtszunahme das Risiko für Diabetes und Herzinfarkt steigt. Der Arzt spricht dann vom Cushing-Syndrom.

Das würde ja bedeuten, dass man dieses Cushing-Syndrom nicht nur durch Cortisolpillen bekommen würde sondern auch durch Ärger? Genau das ist der Fall. Wer sich über Monate oder gar über viele Jahre in schwieriger, ja aussichtsloser Position befindet, schüttet massiv Cortisol aus und nimmt am Bauch zu. Das ist nebenbei bemerkt der Grund, warum Übergewicht am Bauch mit Diabetes und Herzinfarkt verknüpft ist. Nicht das Gewicht ist die Ursache, sondern die Cortisolproduktion. Ärger ist die wichtigste Ursache von Diabetes Typ 2, also dem Altersdiabetes. Einen Zusammenhang mit der Ernährung wurde bisher nicht gefunden.

Aber die geschädigten Gelenke der Dicken kommen doch vom Gewicht und nicht von den Hormonen? Das klingt logisch, stimmt aber nicht ganz. Die meisten Menschen mit Gelenkproblemen haben ihre Arthrose auch in den Händen und nicht nur an den Fußgelenken. Wenn die Gelenkprobleme in den Händen einen anderen Grund haben, warum dann nicht auch anderswo. Zweitens: Wenn Sie joggen belasten Sie Ihre Gelenke unendlich viel stärker als wenn Sie mit massivem Übergewicht über die Straße watscheln. Würde die Idee von der Belastung der Gelenke als Ursache stimmen, müsste Sport verboten werden. Der Grund ist viel simpler: Jeder Mediziner weiß natürlich, dass Cortison die Knochen ruiniert – und damit natürlich auch körpereigenes Cortisol.

Das heißt, das Problem sind nicht die Kalorien, sondern der Ärger? Im Prinzip ja. Doch vorher ist hier noch eine kleine Unterscheidung nötig. Schlanke Menschen reagieren auf Ärger mit Gewichtsverlust. Wer hingegen zur Korpulenz neigt, der nimmt unter Ärger zu. Diese Unterscheidung ist wichtig, weil viele Hagere die biologischen Reaktionen der Dicken nicht begreifen und umgekehrt. Aber die beiden sind stoffwechseltechnisch unterschiedlich darauf. Wenn man einen Dünnen in den Urlaub schickt, dann nimmt er meist zwei Kilo zu, wenn die Reise erholsam war. Einen Dicken kann man vier Wochen lang auf Schlemmerurlaub schicken – wenn er zurückkommt ist er vier Kilo leichter. Vorausgesetzt natürlich, er hat beim Schlemmen kein schlechtes Gewissen.

Auch schlechtes Gewissen sorgt für den Kummerspeck? Ja – weil das massiven Stress bedeutet. Wir müssen essen – und viele haben bei jeder Mahlzeit Angst, zu viel zu essen, zu fett zu essen usw. Wer das schlechte Gewissen verliert, nimmt ab. Viele verzweifelte Dicke haben so zehn oder zwanzig Kilo verloren, weil ihnen eines schönen Tages aus purer Verzweiflung die Kalorien piepegal waren. Es sind nicht die Kalorien – weil der Körper das problemlos über den Wärmehaushalt ausgleichen kann – sondern die Hormone.

Können wir die Cortisolausschüttung beeinflussen? Wichtig ist die Fähigkeit, Wege zu finden, den Ärger emotional in eine nützliche Kraft zu verwandeln. Gerade sensible Menschen, die sich für ihre Umwelt, für ihre Familie aufopfern, brauchen ein klein wenig Zeit für sich selbst, um sich runterzudrehen, sich zu erden. Übrigens können dabei Lebensmittel eine große Hilfe sei: Genussmittel wie Schokolade oder Kaffee senken das Cortisol. Ebenso fette Speisen und natürlich die Lieblingsgerichte.

Literatur:
Björntorp P, Rosmond R: Obesity and cortisol. Nutrition 2000; 16: 924-936
Wang M: The role of glucocorticoid action in the pathophysiology of the metabolic syndrome. Nutrition & Metabolism 2005; 2: e3
Buwalda B: Behavioral and physiological responses to stress are affected by high-fat feeding in male rats. Physiology and Behavior 2001; 73: 371-377
Epel ES et al: Stress and body shape: stress-induced cortisol secretion Is consistently greater among women with central fat. Psychosomatic Medicine 2000; 62: 623–632
Rosmond R: Stress-Related Cortisol Secretion in Men: Relationships with Abdominal Obesity and Endocrine, Metabolic and Hemodynamic Abnormalities. Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism 1998; 83: 1853-1859
Valsamakis G et al: 11ß-Hydroxysteroid Dehydrogenase Type 1 Activity in Lean and Obese Males with Type 2 Diabetes Mellitus. Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism 2004; 89: 4755-4761
McVeigh K et al: Serious psychological distress among persons with diabetes – New York City, 2003. MMWR 2004; 53:1089–1092
Atanasov G et al: Coffee inhibits the reactivation of glucocorticoids by 11ß-hydroxysteroid dehydrogenase type 1: A glucocorticoid connection in the anti-diabetic action of coffee? FEBS Letters 2006; 580: 4081-4085
McLean JA et al: Cognitive dietary restraint is associated with higher urinary cortisol excretion in healthy premenopausal women. Americna Journal of Clinical Nutrition 2001; 73: 7-12
Pecoraro N et al: Chronic stress promotes palatable feeding, which reduces signs of stress: feedforward and feedback effects of chronic stress. Endocrinology 2004; 145: 3754-3762