Streitgespräch über Urteil

Wie gerecht ist das Kopftuch-Verbot auf der Richterbank?

10:19 Minuten
Rückenansicht von drei Frauen mit bunten Kopftüchern.
Objekt wiederholter Rechtsstreitgkeiten: das Kopftuch. © picture alliance / Geisler-Fotopress / Christoph Hardt
Khola Maryam Hübsch und Birgül Akpinar im Gespräch mit Axel Rahmlow · 27.02.2020
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Rechtsreferendarinnen darf verboten werden, im Gerichtssaal Kopftuch zu tragen. Ein Urteil im Sinne der Neutralitätspflicht, findet CDU-Politikerin Birgül Akpinar. Journalistin Khola Hübsch widerspricht: Eine Gruppe werde systematisch ausgegrenzt.
Axel Rahmlow: Ein Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen – das ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Geklagt hatte eine Frau aus Hessen. Jedes Bundesland regelt das Thema für sich. Und in Hessen ist es so, dass muslimische Referendarinnen in ihrer Ausbildung grundsätzlich ein Kopftuch tragen dürfen.
Nicht aber, wenn sie zum Beispiel Sitzungen leiten oder Beweise aufnehmen, dann nämlich, so sind es die Regeln in Hessen, dann handeln sie als Repräsentantinnen des Staates. Und das Bundesverfassungsgericht sagt jetzt dazu: Ja, das verletzt zwar die Glaubensfreiheit der Klägerin, aber wegen des Grundsatzes der staatlichen Neutralität ist das auch vertretbar, so dieser Beschluss. Und den möchten wir diskutieren.
Zum einen mit der Journalistin und Autorin Khola Maryam Hübsch, zum anderen mit Birgül Akpinar. Sie ist Mitglied im Landesvorstand der CDU in Baden-Württemberg und Vorsitzende des Netzwerks Integration der CDU.
Frau Akpinar, ein Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Ist das ein gutes Urteil?
Birgül Akpinar: Ich begrüße das Urteil und für mich ist es auch definitiv nachvollziehbar. Aber auf der anderen Seite zeigt es auch, dass wir hier ein Gerichtsurteilsmosaik haben, weil die Bundesländer auch unterschiedlich entscheiden. Und ich denke, es ist auch wichtig, dass wir auf Bundesebene hier eine Entscheidung herbeiführen sollten.

Menschengruppe werden "systematisch ausgegrenzt"

Rahmlow: Frau Hübsch, Sie sind ja selbst überzeugte Kopftuchträgerin. Sie können das Urteil, schätze ich mal, nicht gut finden. Aber können Sie es in der in der Argumentation des Gerichtes nachvollziehen?
Khola Maryam Hübsch: Nein, ich finde es nicht nachvollziehbar und ich finde auch das Neutralitätsverständnis, was da zu Grunde gelegt wird, das ist schwierig. Denn es geht eigentlich mit dem Neutralitätsbegriff darum, ein pluralistisches, weltoffenes Verständnis zu haben, dass der Staat also keine Religion ausgrenzt, keine bevorzugt, keine privilegiert, keine diskriminiert.
Aber das, was hier gemacht wird, ist, dass eine Menschengruppe aufgrund ihres Glaubens systematisch ausgegrenzt wird. Und ich halte diesen Neutralitätsbegriff auch für vorgeschoben. Da wird Neutralität mit Normalität verwechselt.
Porträt der Journalistin Khola Maryam Hübsch
Kritisiert das Gerichtsurteil zum Kopftuch auf der Richterbank: die Journalistin Khola Maryam Hübsch.© picture alliance / dpa / Erwin Elsner
Was ist Neutralität, könnte man fragen. Und das, was hier vorausgesetzt wird, ist, dass die Konventionen der Mehrheit quasi als neutral begriffen werden. Und damit können wir auch gar nicht aufbrechen, was dann als neutral empfunden wird.
Wenn wir immer wieder die Erfahrung machen, dass Richterinnen ein Kopftuch tragen oder Lehrerinnen ein Kopftuch tragen, empfinden wir das als normal. Und dann könnten sie auch beweisen, dass sie neutral urteilen können, dass sie ihrer Kompetenz neutral und verfassungskonform nachgehen können. Und das wird eben verhindert, indem es solche Verbote dann gibt.

Die Neutralitäts- und Objektivitätspflicht des Staates

Rahmlow: Frau Akpinar, könnte das Kopftuch dazu beitragen, dass solche Verbote gar nicht mehr nötig sind, weil es eben dann irgendwann mehr Normalität auch suggeriert, wenn es erst einmal in den Gerichtssälen drin ist?
Akpinar: Ich denke schon. Es ist ja auch so, dass wir zunächst ein säkularer Staat sind. Und das wird immer wieder vergessen oder man versucht, es immer wieder auszuhebeln, indem man sagt: Naja, wir haben die Religionsfreiheit. Natürlich ist es ein Grundrecht, die Religionsfreiheit.
Aber wir haben auch die negative Religionsfreiheit neben der positiven Religionsfreiheit. Und das wird viel zu wenig berücksichtigt. Aber ich denke, der Staat hat hier wirklich eine Neutralitäts- und Objektivitätspflicht. Und das sehe ich genauso bei Staatsanwältinnen, Richterinnen und auch Anwältinnen.
Wie gesagt: Da hat auch jeder Bürger, der vor Gericht steht, bei so einem Verfahren auch das Recht auf Neutralität. Und das ist ganz arg wichtig, dass die Rechte des Bürgers unter anderem geschützt werden. Aber auch die Neutralitäts- und Objektivitätspflicht des Staates.
Rahmlow: Aber die Frage, die Frau Hübsch auch aufwirft, ist: Was ist eigentlich Neutralität? Kann ein Kopftuch nicht auch neutral sein?
Hübsch: Genau. Man könnte auch die Frage stellen, wie neutral ist eigentlich…
Akpinar: Ich sehe keine Neutralität des Kopftuches.
Rahmlow: Frau Hübsch zuerst.

Ein Kopftuch ist "keine Gefahr für die Neutralität des Staates"

Hübsch: Man könnte auch die Frage stellen: Wie neutral ist denn eine kopftuchlose Richterbank aus der Sicht einer kopftuchtragenden Angeklagten. Also, man kann das auch umstellen. Und ich finde auch da diesen Begriff "säkularer Staat"… Das hatten wir ja schon einmal, als es um die Diskussion ging: Darf eine Lehrerin mit Kopftuch unterrichten. Es war 2015. Da hat derselbe Senat entschieden, dass eine Frau, dass sie in Deutschland eben keine strikte Trennung von Staat und Religion haben.
Wir sind kein laizistischer Staat, und es wurde damals festgehalten, dass ein Kopftuch keine Gefahr für die Neutralität des Staates ist. Und ich verstehe gar nicht, warum das jetzt dieses Mal als Argument wieder neu hervorgeholt wird, obwohl wir das auch 2015 eigentlich schon geklärt hatten.
Rahmlow: Frau Akpinar.
Akpinar: Ja, gut. Hier sagt ja auch das Gericht... Da wurde ja auch in den ganzen Artikeln, die darüber berichtet haben: Da ist man ja immer wieder ganz kurz auf das Urteil 2015 eingegangen. Aber man sah auch hier einen sehr großen Unterschied. Jemand, der für den Staat arbeitet, und dabei bleibe ich auch, hat, wie gesagt, auch eine Objektivitäts- und Neutralitätspflicht. Und die kann man auch von einem Staatsbediensteten erwarten.
Und jetzt stellen wir mal diese Situation vor, wenn wir jetzt einen Richter haben… Ich möchte nicht vom Thema, vom Themenkomplex Kopftuch abgehen. Aber hier geht es auch um andere religiöse Symbole, die unter anderem auch eine Rolle spielen.
Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Richter mit einer Kippa und auf der Klägerbank sitzt ein Palästinenser. Ja, wie wird das… Was wird man tun? Was wird derjenige, der jetzt Palästinenser ist, der fühlt sie jetzt von einem Richter, der jetzt eine Kippa trägt, benachteiligt – oder er sagt: Ich fühle mich durch irgendwelche anderen Richter… Befindlichkeiten hier gestört. Was machen wir dann? Was machen wir?

Antrag auf Befangenheit wegen einer Richterin mit Kopftuch

Sie haben zum Beispiel… Ich selber bin Alewitin. Ich stell mir das jetzt folgendermaßen vor: Ich sitze da auch auf dieser Klägerbank. Eine Frau mit Kopftuch sitzt dort und soll ein Urteil über mich fällen. Was wird passieren, wenn ich einen Antrag auf Befangenheit oder meine Anwältin oder mein Rechtsbeistand einen Antrag stellt auf Befangenheit? Was tun Sie dann? Was tun Sie, wenn ich sage: Ich fühle mich durch die Richterin, die ein Kopftuch trägt, hier benachteiligt.
Hübsch: Also ich denke, da spielen zwei Aspekte eine Rolle. Das eine ist, warum unterstellt man quasi… Es ist eine Form von Zuschreibung, dass man davon ausgeht, jemand, der Religion sichtbar vor sich herträgt oder sichtbar macht, ist keinesfalls in der Lage, neutral zu agieren. Weil: Es gibt ja genauso, Sie wissen, berühmte Richter. Da ist allgemein bekannt, dass sie tiefreligiös katholisch sind zum Beispiel. Oder es gibt Richter: Privat sympathisieren sie mit der AfD – und trotzdem ist das in Ordnung.
Da unterstellen Sie, dass das möglich ist, trotzdem neutral ein Urteil zu fällen. Und wenn man aber Bedenken hat, dann gibt es ja die Einzelfallprüfung und dann gibt es ja die Möglichkeit, einen Befangenheitsantrag zu stellen.
Aber ich finde es eben problematisch, dass man von vorneherein diesen Verdacht äußert: Jemand, der ein religiöses Bekenntnis trägt, der auch sich aus spirituellen Gründen verpflichtet fühlt, ein Kopftuch zum Beispiel zu tragen oder eine Kippa oder einen Turban, der ist gar nicht in der Lage, zu urteilen und neutral zu agieren. Und das ist, glaube ich, ganz, ganz problematisch.
Akpinar: Ja, sie gehen jetzt davon aus: Das, was man auf dem Kopf trägt, das heißt schon lange nichts. Und dann kann man auch davon ausgehen, dass diese Person auch oder die Dame dann in dem Fall auch neutral sein kann. Für mich stellen sich aber neben der juristischen Fragen natürlich auch theologische Fragen.
Aber diese Fragen kann der Staat nicht beantworten und soll sie auch nicht beantworten, weil der Staat nicht in der Pflicht steht, hier ein Urteil zu fällen. Aber was für mich viel wichtiger ist, was hinter diesem Kopftuch steckt, wissen Sie. Und da geht es darum, was für ein Männerbild steckt dahinter? Was für ein Frauenbild steckt dahinter? Und warum trägt die Frau das Kopftuch? Das ist für mich eigentlich die wesentliche Frage, über die wir gesellschaftspolitisch diskutieren sollten.
Und ob die Frauen Kopftuchpflicht hat oder nicht, da gibt es – das wissen Sie selber, Frau Hübsch – die unterschiedlichsten theologischen Ausführungen, die entsprechenden Rechtsschulen, die im Islam ganz unterschiedliche Fatwas und auch Urteile dazu dann auch abgeben. Aber wie gesagt, es geht grundsätzlich für mich erstmal um die Frage, warum die Frauen ein Kopftuch trägt und darüber…

"Rassismus verschleiert - mit einem feministischen Argument"

Rahmlow: Frau Hübsch, vielleicht wollen Sie darauf noch kurz reagieren?
Hübsch: Ja, genau, ich muss einhaken, weil: Ich finde, eine Woche nach den rassistischen Anschlägen in Hanau, ist das ehrlich gesagt…
Akpinar: Das ist eine Totschlagsargumentation.
Hübsch: Ich finde das, ehrlich gesagt, wirklich beschämend. Weil: Man muss die Zusammenhänge sehen. Wenn immer wieder ein Stück Stoff, das von muslimischen Frauen getragen wird, auf diese Art und Weise problematisiert wird, durch Verbotsgesetze, aber auch durch diese Zuschreibung, die sie eben implizit vorgenommen haben: problematisches Männerbild, problematische Frauenbild.
Damit übernehmen sie eine theologische Auslegung von Extremisten oder von bestimmten fanatischen Gruppen. Und das ist nicht die Auslegung, die in der… Das ist nicht das Motiv vieler junger Frauen, warum sie ein Kopftuch tragen, vieler muslimischer Frauen in Deutschland.
Aber Sie übernehmen dieses politisches Konstrukt und befördern damit eine Kultur in unserem Land, die dazu führt, dass muslimische Frauen diskriminiert werden. Und das ist ein empirischer Fakt. Wir werden auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Berufsmarkt diskriminiert.
Und da wird auch Rassismus verschleiert mit einem feministischen Argument. Es wird gesagt: Es geht um die Unterdrückung der Frau. Aber letztendlich unterdrücken sie die Frauen gerade dadurch, das sie ihn den Zugang zum Arbeitsmarkt…
Akpinar: Frau Hübsch…
Rahmlow: Frau Akpinar, Sie hatten das erste Wort, deswegen muss ich Frau Hübsch das letzte Wort lassen. Uns geht gerade die Zeit ein bisschen aus. Ich danke Ihnen beiden, dass Sie Zeit für uns hatten.
Akpinar: Schade, ich hätte aber gerne noch… Ich finde, dass, wenn man etwas kritisiert und auch den Islam kritisiert, dass man sofort in eine rechte Ecke gestellt wird und die Rassismus-Keule rausgezogen wird, das ist nicht in Ordnung.
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