Donnerstag, 28. März 2024

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Abseits der EU-Milliarden
Kreative Flüchtlingshilfe in der Türkei

In der Türkei versorgen viele kleine Hilfsorganisationen Schutzsuchende in Flüchtlingslagern. Auf Finanzhilfen der Europäischen Union müssen sie dabei verzichten. Denn die Anträge sind zu komplex und die Bürokratie viel zu aufwendig.

Von Karin Senz | 18.03.2019
Ein Flüchtlingsmädchen mit Plastiktüte geht durch ein UN-Camp in Syrien.
Syrische Flüchtlinge in einem Camp nahe der türkischen Grenze. (AFP / Delil Souleiman)
Anne O'Rourke steht an der Eingangstür einer heruntergekommenen Fabrikhalle. Hosgeldiniz, sagt sie immer wieder auf Türkisch. Damit begrüßt sie türkische Männer aus der Nachbarschaft, die meisten sind obdachlos. Hier kochen syrische Frauen jeden Tag 250 Essen - nicht nur für syrische Flüchtlinge, sondern für alle, die Hilfe brauchen, erklärt die Irin. Sie lebt schon seit vielen Jahren in der Region Izmir.
"Normalerweise bekommen die Syrer die Hilfe. Aber jetzt können sie der Gemeinde etwas zurückgeben", sagt O'Rourke. "Das ist gut für ihr Selbstwertgefühl. Und es ist auch für die Gemeinde gut, dass die sieht, das die Frauen sich integrieren und teilhaben wollen, dass sie helfen wollen."
Der Fokus liegt aber auf syrischen Frauen und deren Kindern. In einem Nebenraum ist ein improvisierter Kindergarten eingerichtet mit roten Luftballons an der Decke. Die Kleinen sitzen mit ihrem syrischen Betreuer im Kreis.
Von EU-Milliarden bekommen sie nichts ab
Firda aus Aleppo lebt mit ihren beiden Jungs und ihrer kranken Mutter schon seit schon seit einigen Jahren in der Türkei - ihr Mann ist in Deutschland und kümmert sich nicht mehr. "Allein als Frau im Armen-Viertel von Izmir - das ist nicht leicht", erzählt die 32-Jährige. Vor allem wenn Männer das mitkriegen, dann beobachteten sie sie. Aber Gott sei Dank sei noch nie was passiert.
Die Hilfsorganisation TIAFI ist für sie wie eine Familie. Sie fühlt sich geborgen - und kann noch ein bisschen Geld verdienen. Sie nähen hier Taschen und Rucksäcke und verkaufen sie im Internet über den baden-württembergischen Verein "3 Musketiere". Geld sei immer knapp, seufzt Anne O'Rourke. Mit den Spenden kommen sie kaum über die Runden. Und von den EU-Milliarden bekommen sie nichts ab. Die Anträge seien zu kompliziert, die Bürokratie für eine kleine Hilfsorganisation wie TIAFI viel zu aufwendig.
"Wir haben hier nicht erst ein Büro aufgemacht, schreiben keine Berichte oder machen Statistiken", erklärt sie. "Wir sind hier für die Leute da, geben ihnen etwas zu essen. Wir versuchen, für sie Unterkünfte zu finden, begleiten sie ins Krankenhaus, versuchen Plätze für ihre Kinder in den Schulen zu finden und ihnen beim Türkisch lernen zu helfen."
Psychologen kommen regelmäßig vorbei
Sie bleibt vor einer Reihe Bilder an einer Wand stehen. Kinder haben sie gemalt. Auf einem ist einmal ein kleiner Junge zu sehen, wie er fröhlich am Strand spielt, und einmal, wie er tot am selben Strand liegt. Immer sind die Bilder düster, sagt sie, mit noch mehr Bomben.
Regelmäßig kommen arabisch-sprechende Psychologen in die alte Fabrikhalle, um mit den traumatisierten Kindern und ihren Müttern zu arbeiten - ehrenamtlich.
Die kleine Person mit dem großen Herzen greift sich eine Schneekugel von einem Tisch mit Spielzeug und dreht sie um. Kinder haben sie aus einem Marmeladenglas gebastelt. Die Irin lächelt gedankenversunken, während die goldenen Schnipsel im Wasser zu Boden tanzen. "Ich dachte an einem Punkt, es hört auf, Europa würde eine Lösung finden. Aber es gibt wohl im Moment keine Lösung. Jeder versucht nur, Grenzen hochzuziehen. Das ist alles", sagt sie.
Eines der Kinder drückt sich an ihr Bein, sie schenkt ihm ein Lächeln und streicht ihm liebevoll über dem Kopf.