Streit um Infos über Schwangerschaftsabbruch

"Die Entscheidung muss bei der Frau liegen"

Eine junge Frau sitzt mit ihrem Laptop auf dem Bett.
Manchmal hilft Google auch nicht weiter, denn in Deutschland dürfen Ärzte nicht auf ihren Websites über Schwangerschaftsabbrüche informieren. © Unsplash / Andrew Neel
Klaus Steigleder im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 11.12.2018
Sind Informationen über einen Schwangerschaftsabbruch Werbung für eine Straftat? Oder muss der entsprechende Paragraf 219a abgeschafft werden? Der Ethiker Klaus Steigleder findet, pragmatische Informationen dürften nicht unter Strafe stehen.
Liane von Billerbeck: Der Streit um den Paragrafen 219a, der erinnert manche sicher an die Kämpfe vor Jahrzehnten im Westen um den Paragrafen 218. Jetzt geht es aber darum, dass Ärzte, Ärztinnen informieren können dürfen, dass sie Abtreibungen vornehmen, was ja untersagt ist. Und das könnte die Regierungskoalition schwer in Bedrängnis bringen, wie Mathias von Lieben erklärt:
"Es ist die Woche der Entscheidung in der großen Koalition beim Streit über den umstrittenenen Paragraphen 219a. In der SPD steigt der Druck auf die Vorsitzende Andrea Nahles endlich zu einer Lösung zu kommen. Es sei ausgeschlossen dass der Paragraph 219a bleibt wie er ist, sagt z.B. der Vize Ralf Stegner dem Tagesspiegel, es müsse eine Änderung und ernsthafte Bemühung der Partei um eine Einigung geben. Und tatsächlich im Koalitionsausschuss am Mittwoch, soll nun über den umstrittenen Paragraphen gestritten werden. Nach Informationen der Zeitung der Funke-Mediengruppe haben Justizministerin Katarina Barley und Familienministerin Franziska Giffey für die SPD gemeinsam mit Kanzleramtschef Helge Braun, Gesundheitsminister Jens Spahn und Horst Seehofer für die Union bereits einen Kompromissvorschlag ausgehandelt. Eine mögliche Lösung könnte sein, dass Gesetz nicht anzufassen, aber Ärzten in der Beratungspraxis betroffener Frauen mehr Spielraum zu geben."
Und wie dieses Dilemma, dieses ethische Dilemma gelöst werden kann – ein Gesetz nicht anfassen, aber den Ärzten mehr Spielraum geben –, darüber will ich jetzt reden mit Professor Klaus Steigleder. Er lehrt Angewandte Ethik an der Ruhruniversität Bochum und ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Klaus Steigleder: Guten Morgen!
von Billerbeck: Sollten Informationen darüber, welche Ärztin, welcher Arzt Abtreibungen vornimmt, im Netz publiziert werden und frei zugänglich sein?
Steigleder: Unbedingt. Die Entscheidung für oder gegen eine Fortsetzung der Schwangerschaft muss letztlich bei der Frau liegen. Und eine Frau, die sich zum Schwangerschaftsabbruch entschlossen hat, für die drängt die Zeit. Deshalb muss es eigentlich auf einfache Weise möglich sein, erfahren zu können, wo sie einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen kann.
von Billerbeck: Herr Professor Steigleder, ich bin aus dem Osten, für mich haben bestimmte Teile dieser Debatte sehr vorgestrige Momente, und ich frage mich manchmal, warum diese Debatte um die Informationen zum Schwangerschaftsabbruch jetzt wieder solche Dimensionen annehmen.

Streit um drei grundlegende Positionen

Steigleder: Ich denke, das hängt natürlich einmal mit dem konkreten Fall zusammen, der jetzt in den Medien diskutiert wurde, vor den Gerichten verhandelt wurde. Das hat die Öffentlichkeit darauf aufmerksam gemacht, dass hier ein Problem besteht. Auf der anderen Seite ist das natürlich eine sehr fundamentale Debatte. Es gibt hier im Grunde drei grundsätzliche Positionen.
Die eine Position sagt, ein menschlicher Embryo besitzt die gleiche moralische Bedeutsamkeit wie wir auch, wie ein geborener Mensch, und deshalb ist ein Schwangerschaftsabbruch Mord. Die andere Position sagt, ein menschlicher Embryo besitzt eigentlich gar keine moralische Bedeutsamkeit oder nur eine sehr geringe moralische Bedeutsamkeit, und deshalb besteht gar kein moralisches Problem.
Und eine Zwischenposition, die meines Erachtens die einzig vertretbare ist, sagt, ein menschlicher Embryo oder Fötus besitzt eine herausragende moralische Bedeutsamkeit, aber nicht die gleiche Bedeutsamkeit wie die Schwangere.
Insofern kann es Konflikte geben, die aufgelöst werden müssen, die man schwer auflösen kann. Und deshalb muss letztlich die Frau die Möglichkeit haben, mit ihrem Gewissen das zu entscheiden.
von Billerbeck: Da spricht der Ethiker und der Praktiker zugleich, wenn ich Ihnen da lausche. Wie kann man denn das nun ganz konkret machen? Sie haben gesagt, es muss diese Informationen geben, aber eine Ärztin ist verurteilt worden zu, ich glaube, 6.000 Euro Schadensersatz, die das auf ihrer Internetseite getan hat. Welche Information ist denn ethisch befürwortbar?

Keine Werbung, aber Information

Steigleder: Ich denke, befürwortbar ist die Information, die sagt, wo man einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen kann oder eine Information einer Ärztin oder eines Arztes, dass sie einen solchen Abbruch vornimmt. Was meines Erachtens nicht befürwortbar ist, und was auch, glaube ich, niemand vorhat, ist, dass man jetzt solche Informationen irgendwie bewirbt, dass man irgendwie zu Schwangerschaftsabbrüchen animiert oder so. Aber ich denke, das hat auch niemand vor.
von Billerbeck: Aber wer soll das tun? Der Staat, der den Schwangerschaftsabbruch ja als Straftat benennt, ihn nur nicht verfolgt? Oder die Beratungsinstanzen, wo Frauen hingehen müssen, wenn sie denn einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen? Wen sehen Sie da in der Verantwortung?

"Pragmatische Information nicht unter Strafe stellen"

Steigleder: Ich denke, dass letztlich die Verantwortung darin besteht, diesen Paragrafen 219a zu ändern. Das könnte man ja sehr moderat tun, indem man eben die bloße Information nicht unter Strafe stellt. Die konkreten Regelungen sind ein mühsam erkämpfter Kompromiss. Der Kompromiss läuft aber im Grunde darauf hinaus, dass man pragmatisch doch zulässt innerhalb eines bestimmten Zeitraums, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Dann sollte man auch entsprechende pragmatisch Informationen darüber nicht unter Strafe stellen.
von Billerbeck: Für wie pragmatisch halten Sie dann die Regierungskoalition, die ja da gerade sehr unter Druck steht, wenn wir im Hinterkopf behalten, dass ja das Thema Abtreibung weltweit politisch stark instrumentalisiert wird und es auch bei uns heftige Abtreibungsgegner gibt, die vor Kliniken demonstrieren et cetera. Wie weit, meinen Sie, kommt dieser von Ihnen vorgeschlagene pragmatische Kompromiss durch?

"Lösungen mit Zwischentönen sind schwierig"

Steigleder: Das ist natürlich schwer zu sagen, und das ist letztlich eine politische Entscheidung, wo natürlich die Parteien auch abwägen, inwieweit sie da ihre Anhänger betreffen oder nicht betreffen. Insofern verstehe ich natürlich die konkrete Schwierigkeit, hier zu einer Lösung zu kommen. Die Lösung wäre meines Erachtens aber eine relativ kleine und moderate Lösung.
Man muss sich, glaube ich, klar sein, dass einfache Lösungen, also im Sinne der Beurteilung des Schwangerschaftsabbruchs, zum Beispiel fundamentalistische Lösungen, sehr bequem sind. Lösungen mit Zwischentönen sind schwierig und scheinen es in dieser Zeit auch sehr schwer zu haben.
von Billerbeck: Klaus Steigleder war das, Professor für Angewandte Ethik an der Ruhruniversität Bochum. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Steigleder: Gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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