Streit um die Universitätsaula in Leipzig

Moderation: Nana Brink · 30.05.2008
Einst war die Paulinerkirche das Herzstück der Universität Leipzig. Vor 40 Jahren wurde sie vom SED-Regime gesprengt. Nun plant die Universität einen Neubau. Universitätsrektor Franz Häuser verteidigte die Pläne und plädierte für eine strikte Trennung zwischen Wissenschaft und Religion. Christian Wolff, Pfarrer der Leipziger Thomaskirche, bezeichnete die Aufteilung in Aula und Kirche als "unhistorisch".
Nana Brink: Und wir sind jetzt verbunden mit dem Rektor der Universität Leipzig, Prof. Franz Häuser und dem Pfarrer Christian Wolff von der Leipziger Thomaskirche. Einen schönen guten Tag, Ihnen beiden!

Prof. Franz Häuser: Guten Morgen!

Christian Wolff: Guten Morgen!

Brink: Bevor wir ins Detail gehen, die Frage, wie denn dieser Raum aussehen soll, an Sie beide erst mal die Frage, spürt man denn diese Erschütterung noch in der Stadt, oder ist das für die meisten Leipziger Geschichte, Prof. Häuser?

Häuser: Ich kann nicht für die meisten Leipziger sprechen. Aber diejenigen, die sich mit der Universität auseinandersetzen, die die Geschichte der Universität kennen, für die ist das natürlich ein Tiefpunkt in der Geschichte unserer Universität. Interessant ist auch, dass es dann, wenn man mit neu in die Universität gekommenen Wissenschaftlern zum Beispiel durch die Stadt geht, die Aufmerksamkeit natürlich jetzt der Neubau findet und das Interesse und der Erklärungsbedarf für das, was dort vorher stand, groß ist. Wie die Mehrheit oder die meisten Leipziger denken, weiß ich nicht. Aber dass es für diejenigen, die sich dafür interessieren, nach wie vor, ja, ich möchte schon sagen, eine offene Wunde ist, das scheint mir schon so.

Brink: Und Ihre Studenten?

Häuser: Bei den Studierenden ist das etwas gemischt. Man muss einfach sehen, das hängt auch etwas damit zusammen, dass ja ein Großteil der Studierenden in erster Linie kommt, um zu studieren und sich nicht nur für die Geschichte der Universität manchmal nicht so intensiv interessieren, sondern eben für andere Dinge dann auch nicht. Aber es gibt eben unter den Studenten schon viele, auch insbesondere in den kirchlichen Studentengemeinschaften, die sich dafür interessieren.

Brink: Pfarrer Christian Wolff von der Leipziger Thomaskirche, ist Ihnen das Ereignis noch in Erinnerung, oder was spüren Sie, wie tief es noch sozusagen in der Seele in Leipzig verhaftet ist?

Wolff: In Erinnerung ist es mir persönlich nicht, weil ich zu der Zeit nicht in Leipzig lebte, sondern mein Abitur in Düsseldorf machte, aber eben von heute her auch sagen muss, in Westdeutschland war das leider kein Thema. Man spürt heute schon die Erschütterung, insbesondere bei den Menschen, die damals Zeitzeugen waren. Das sind ja noch recht viele. Leider spürt man wenig in der Universität, und das ist das große Problem, sowohl was den Lehrkörper angeht wie auch, was die Studentenschaften angeht. Und das ist sehr bedauerlich. Denn hier geht es auch um ein politisches, geschichtliches Bewusstsein, das äußerst unterentwickelt ist.

Häuser: Ich darf dem natürlich widersprechen, dass man das in der Universität nicht spürt. Herr Pfarrer Wolff, Sie sind doch bei den Diskussionen, die in der Universität geführt werden, auch in den akademischen Gremien gar nicht dabei.

Wolff: Na, ich weiß viel von Diskussionsverweigerung.

Häuser: Na ja, das hängt doch auch damit zusammen, wie die Diskussion geführt wird. Wenn die Diskussion in größerer Toleranz und mit größerem Respekt vor denjenigen geführt wird, die in dieser Universität arbeiten und studieren, sähe das auch anders aus. Aber diejenigen, die heute in der Universität tätig sind, sind keine Täter und möchten deshalb auch gar nicht gerne auf die Anklagebank.

Brink: Meine Herren, ganz kurz, wir sind schon mittendrin in der Diskussion, die ja eine unglaublich spannende ist. Aber lassen Sie uns dem Hörer noch etwas Information an die Hand geben, denn worüber reden wir. Wir reden darüber, dass an der Stelle der alten Universitätskirche, die gesprengt worden ist, eben gerade keine Kirche entsteht, sondern eine Aula, ein Universitätsraum und zugleich vor dem Hintergrund der Geschichte, der Sprengung, auch ein kirchlicher Raum. Und jetzt die Frage an Sie, Prof. Häuser, wie soll denn dieser Raum aussehen?

Häuser: Um das gesamt zu verstehen, muss man mit im Blick haben, dass ja nicht nur damals die Kirche gesprengt worden ist, sondern es ist auch das alte Hauptgebäude, das Augusteum mit gesprengt worden, das zwar im Kriege teilzerstört war, aber auch nicht ganz zerstört war. In diesem Augusteum war die Aula der Universität untergebracht. Es waren renommierte und berühmte Hörsäle untergebracht. Und nun war eben die Idee, auch in DDR-Zeiten hat man immer eine Aula gefordert, dort fehlte es aber offensichtlich an finanziellen Mitteln, und die Überlegung in der Universität nach der politischen Wende ging dahin, dass man dringend eine Aula wieder benötigt. Da brach dann natürlich der Streit auf, dass beides nebeneinander eben nicht geht, eine Rekonstruktion der Kirche und eine große Aula. Und das, was jetzt gebaut wird, ist sozusagen das Ergebnis eines langen Diskussionsprozesses, in dem wir letztlich dann uns dafür entschieden haben, eine große Halle aufzubauen, eine große Halle mit gotischen Anmutungen, und diese gotische Halle dann in unterschiedlichen Nutzungsschwerpunkten aufzuteilen. Es ist auch nicht richtig, wenn in der Anmoderation die Rede ist von einer Nische. Immerhin ist der kirchlich zu nutzende Teil ein Drittel dieser großen Halle mit einer gegenwärtigen Bestuhlung von 275 Plätzen. Das Interesse der Universität bestand dahin, eine Aula zu bekommen. Mit Rücksicht auch auf die Theologische Fakultät und mit Rücksicht auf die Geschichte hat sich dann eben die Lösung, die der Architekt von Egeraat vorgeschlagen hat mit dieser Aufteilung, aber eben in transparenter Form mit einer Glaswand. Und diese Glaswand ist zu öffnen. Das heißt, wenn ein gottesdienstlicher Bedarf entsteht, der über diese 275 Plätze hinausgeht, kann das Gesamtgebäude auch kirchlich genutzt werden.

Brink: Pfarrer Christian Wolff von der Leipziger Thomaskirche, wie sollte der Innenraum für Sie aussehen?

Wolff: Es geht ja um Respekt vor der Geschichte zuallererst. Und es geht nicht um Rücksicht auf irgendjemanden, sondern es geht um die Zukunft dieser Universität und darum, ob diese Universität wie seit 1545 wieder ein geistliches Zentrum haben will. Dass jetzt wieder getrennt wird zwischen Aula und Kirche, das ist ja absolut unhistorisch, weil die Universitätskirche immer auch akademisch, gottesdienstlich und musikalisch genutzt wurde, und zwar ohne Trennwand. Und deswegen ist unsere ganz klare Forderung, auch die Forderung der Landeskirche, erstens, dieses neue Gebäude, architektonisch hervorragend, muss Universitätskirche St. Pauli heißen, im Blick auf die Geschichte als Erinnerungskultur wie auch im Blick auf die zukünftige Nutzung. Zweitens, diese Glaswand ist ein architektonischer, akustischer Unsinn, auch klimatischer Unsinn. Alles, was da gesagt wird, hält den Tatsachen nicht stand. Es ist sozusagen die ideologische Trennung von dem kirchlichen Bereich und dem akademischen Bereich, der einfach nicht geht. Glaube und Vernunft gehören zusammen und müssen in einem fruchtbaren Spannungsverhältnis sich auch entfalten können. Und das Dritte ist, wenn diese Kanzel noch vorhanden ist und restaurierungsfähig ist, kann sie aufgestellt werden. Wichtig aber ist, was in dem Raum geschieht, und zwar in einem ganzen Raum. Die Glaswand, man muss sich das vorstellen, 18 Meter hoch, kann nicht so ohne Weiteres verschoben werden. Weg mit diesem säkularen Lettner, damit der ganze Raum so genutzt werden kann, wie es ursprünglich war und wie es auch heute einer Universität gut ansteht. Weltweit werden wir ja darum beneidet, diese Historie zu haben.

Brink: Prof. Häuser, Sie haben aber gesagt, Sie wollen explizit keine Kirche?

Häuser: Das ist doch so nicht richtig. Das heißt, wir bekommen doch einen Teil dieser großen Halle. Und dieser Teil ist Kirche.

Wolff: Und der andere Teil?

Häuser: Der andere Teil ist Aula.

Wolff: Und wenn die Glaswand offen ist?

Häuser: Dann wird das Ganze in einem Gottesdienst kirchlich genutzt, aber eben nur dann, wenn der entsprechende Bedarf da ist. Was Herr Pfarrer Wolff sagt, ist typisch für diese Diskussion. Sie hatten irgendwann mal gesagt, die Universitätsleitung will dies oder will das. Das ist ja nicht zutreffend. Sondern das ist doch immer das Ergebnis eines Meinungsbildesprozesses, eines demokratischen Meinungsbildungsprozesses in dieser Universität über einen Zeitraum jetzt von 18 Jahren. Die Universitätsleitung transportiert doch nur das, was die akademischen Gremien beschlossen haben und für richtig halten. Und nun passiert Folgendes. Jetzt agt Herr Pfarrer Wolff, er stellt Forderungen an die Universität, das heißt er positioniert sich in eine Rolle, der besser weiß als die Universität, was für sie gut und richtig ist.

Wolff: Ja, nun lebt die Universität nicht im luftleeren Raum. Sie ist Teil dieser Gesellschaft und muss sich schon gefallen lassen, dass ihr Wirken auch kritisch hinterfragt wird.

Häuser: Dagegen spricht ja auch gar nichts. Das machen wir ja. Unser Motto in der Universität heißt "Aus Tradition Grenzen überschreiten".

Wolff: Dann überschreiten Sie mal die Grenze der Glaswand.

Häuser: Ja, sehen Sie, das ist eben Ihre Vorstellung davon. In der Universität war dieser Weg, den ja Herrn von Egeraat dann vorgeschlagen hat, sehr gut zu vermitteln. Und was Sie jetzt an Ingenieuranforderungen da formulieren oder kundtun, das widerspricht eben dem, was uns die Bauleute gesagt haben hinsichtlich der Akustik, hinsichtlich der Klimatisierung und so etwas. Ich meine, ich kann das immer wieder betonen, ich kann das immer wiederholen. Aber es kommt nicht an, und damit müssen wir halt leben.

Wolff: Ja, es kommt deswegen nicht an, weil es einfach stimmt.

Häuser: Ich widerspreche dem einfach.

Wolff: Ich bin ja nun auch zu Hause in einem sehr historischen Kirchenraum. Nach der Lesart müssen wir noch 15 Glaswände in die Thomaskirche einziehen.

Häuser: Sehen Sie, und da ist eben Ihr Missverständnis.

Wolff: Da ist der Punkt, wo das Ganze kippt. Die Glaswand ist eine ideologische Trennmauer, die Sie ziehen.

Häuser: Da ist Ihr Missverständnis.

Brink: Herr Wolff, meine Herren, meine Herren, ich würde gern zum Ende der Diskussion trotzdem noch eine Frage aufwerfen, die ein bisschen über Trennwände und Glaswände hinausgeht, nämlich an Sie gerichtet, Herr Prof. Häuser, die Frage: Ist denn auch doch eine explizit sakrale Nutzung, diesen Bereich auch für Kirche, das Prinzip unseres säkularen Staates bedroht? Das heißt, eine Universität ist eine Universität? Und, Herr Wolff, an Sie die Frage, darf denn die Kirche einer Universität in diesen Zeiten denn auch wirklich so nahekommen?

Häuser: Das ist sicherlich eine berechtigte Frage, die man stellen kann, und die ich mir als Jurist auch stelle und die ich stelle vor dem Hintergrund der Judikatur des Bundesverfassungsgerichtes. Allerdings gibt es in der Universität, und es sind ja auch nur Finanzierungsfragen, die da eine Rolle spielen, in der Universität ist es halt eben so, wir haben aber eine Theologische Fakultät, die auf Staatskirchenvertrag beruht. Und in diesem Kontext sehen wir auch den gottesdienstlich zu nutzenden Bereich. Es kommt hinzu, dass dort wir die Kunstgegenstände, die aus der Paulinerkirche geborgen worden sind, unterbringen, sodass wir eben auch da noch eine zusätzliche Aufgabenstellung haben. Aber im Ausgangspunkt, die Fragestellung, die Sie ansprechen, ist durchaus berechtigt, und sie wird in der Universität auch diskutiert. Und ich sehe meine Aufgabe eben darin, mit diesen Personen, die eben eine ganz andere Auffassung haben, ins Gespräch zu kommen und ihnen klarzumachen, einmal vor der historischen Verantwortung, die die Universität hat, dann als eine Auswirkung kultureller Entwicklungen und mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der Theologischen Fakultät, dass es alles gute Gründe gibt, diesen Weg, wie er jetzt vorgeschlagen ist, zu gehen.

Brink: Herr Wolff.

Wolff: Es geht nicht um die Theologische Fakultät, es geht um die ganze Universität. Und es geht um ein kritisches Verhältnis zwischen Glaube und Vernunft. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Böckenförde hat mal diesen wunderbaren Satz formuliert, dass der freiheitliche und säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann. Und darum geht es, um diese Voraussetzungen zu schaffen, um Menschen zu bilden, um auch den Zusammenhang von Glauben und Bildung aufzuzeigen. Und vor allen Dingen kann ich nur noch mal wiederholen. In der Universität werden junge Menschen ausgebildet. Wir reden von Wertebildung, von der Notwendigkeit heute, dass das wieder stärkere Betonung findet, und schaffen neutralistische Vakuen im Wissenschaftsbetrieb. Das geht nicht, sondern wir brauchen diesen Raum der Universitätskirche St. Pauli, damit dort eine lebendige, kritische Beziehung entsteht zwischen Glauben und Bildung und damit die Nutzung so ist, wie sie immer war, nämlich gottesdienstlich, akademisch, musikalisch.

Brink: Ganz kurz, ein kurzes Schlusswort, Herr Prof. Häuser. Dann müssen wir an dieser Stelle Schluss machen.

Häuser: Ja, hier passiert ja wieder das, hier werden intellektuelle Anforderungen verwechselt mit Architektur. Wir bilden jetzt nach der Wendezeit seit 18 Jahren genau mit dem Anspruch, den Herr Wolff formuliert hat, Studierende aus. Wir wollen, dass sie kritische Geister sind. Wir wollen, dass sie sich mit unserer Geschichte auseinandersetzen. Wir wollen, dass sie sich mit unserer Universität identifizieren. Und ich weiß nicht, ob dieser Weg der richtige ist. Denn es wird ja hier für eine bestimmte Konfession geworben.

Brink: Entschuldigen Sie, meine Herren, an dieser Stelle sind die Argumente erst mal so ausgetauscht. Wir werden die Debatte natürlich weiterverfolgen und vielen Dank erst mal. Wir sprachen mit dem Rektor der Universität Leipzig Prof. Franz Häuser und dem Pfarrer Christian Wolff von der Leipziger Thomaskirche. Und Anlass war die Sprengung der Uni-Kirche in Leipzig vor 40 Jahren und die, wie Sie gemerkt haben, sehr heftige Debatte um den Neubau der Universität heute.