Streit um Borges-Erbe

"Niemand darf wegen so etwas ins Gefängnis"

Maria Kodama, Witwe des argentinischen Autors Jose Luis Borges, bei einer Veranstaltung in Madrid.
Maria Kodama, Witwe des argentinischen Autors Jose Luis Borges, bei einer Veranstaltung in Madrid. © picture alliance / dpa / Sergio Barrenechea
Von Victoria Eglau · 06.07.2015
Maria Kodama, Witwe des berühmten Schriftstellers Jorge Luis Borges, wacht mit Argus-Augen über das literarische Erbe ihres Mannes. Deshalb hat sie den jungen Autoren Pablo Katchadjian verklagt, weil dieser Teile einer Borges-Erzählung verwendet hat. Andere Autoren solidarisieren sich jetzt mit ihm.
Vor der argentinischen Nationalbibliothek in Buenos Aires: Schriftsteller und andere Unterstützer haben sich zu einem Solidaritätsakt für Pablo Katchadjian versammelt. Der 38-jährige Autor muss sich einer Klage der Witwe des legendären Schriftstellers Jorge Luis Borges erwehren. Der Hintergrund: Katchadjian hatte Borges‘ Erzählung Das Aleph mit eigenen Texteinschüben versehen. Das experimentelle Werk veröffentlichte er 2009 in einer Auflage von zweihundert Exemplaren, unter dem Titel El Aleph engordado – auf Deutsch "Das gemästete" oder "Das dick gewordene Aleph". Pablo Katchadjian wies in dem Buch darauf hin, dass es auf der Borges-Erzählung basiere. Wie dem auch sei, Maria Kodama, Borges' Witwe, verklagte ihn zwei Jahre später wegen Plagiats - für den Autor ein Absurdum:
"Plagiat bedeutet, dass man einen Text kopiert und dies heimlich tut. Etwas ganz anderes ist, wenn man – wie ich – offen darauf hinweist, welchen Text man verwendet hat. All jene, die mein Buch gelesen haben, haben es als literarischen Text auf Grundlage einer Borges-Erzählung gelesen, und nicht als geraubtes Buch."
Doch für die bekannte Witwe von Jorge Luis Borges hat Katchadjian die Erzählung geraubt und sogar zerstört.
"Eine schreckliche Sache. Ohne jede Erlaubnis hat er das Werk eines anderen genommen und mehr als verdoppelt. Bei dem Titel 'Das gemästete Aleph' wäre Borges in Ohnmacht gefallen! Er, der jedes Wort in seinem Werk mit so viel Sorgfalt auswählte."

In erster Instanz kein Plagiat

Pablo Katchadjian hatte den 4.000 Wörtern des Originals 5.600 eigene hinzugefügt, aber keine Wörter entfernt und auch am Aufbau der Borges-Erzählung nichts verändert. Die argentinische Justiz hatte ihm zunächst Recht gegeben und befunden, es handele sich bei seinem Buch nicht um ein Plagiat.
Doch Kodama und ihr Anwalt gingen erfolgreich in die Berufung. Katchadjian droht nun ein Strafprozess und rein theoretisch könnte er sogar zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden, auch wenn dies wenig wahrscheinlich erscheint. Rund 250 Schriftsteller haben sich mit dem Autor solidarisch erklärt, darunter die argentinische Bestsellerautorin Claudia Pineiro:
"Es handelt sich hier um eine literarische Prozedur, niemand darf wegen so etwas ins Gefängnis. Es mag ein Fall für eine Zivilklage sein, aber keinesfalls für ein strafrechtliches Verfahren."

Argentinisches Urheberrecht "komplett antiquiert"

Auch das internationale PEN-Zentrum hat sich zu Wort gemeldet: Die Klage gegen Katchadjian verletzte grundlegende Standards der Meinungsfreiheit, heißt es in einer Erklärung. Das argentinische Gesetz zum Schutz des geistigen Eigentums von 1933 wird darin als komplett antiquiert bezeichnet. Tatsächlich gehört das Gesetz zu den restriktivsten der Welt. Luisa Valenzuela, die Vorsitzende des örtlichen PEN-Zentrums:
"Unser Gesetz zum Schutz des geistigen Eigentums ist nicht elastisch. PEN Argentinien fordert, es auf den Prüfstand zu stellen. Parodien, Intertextualität und andere Experimente müssen möglich sein."
Für die Borges-Witwe Maria Kodama handelt es sich bei Katchadjians Experiment nicht um Intertextualität, sondern schlicht um einen unethischen Angriff auf eine der bekanntesten Erzählungen ihres Mannes. Die 78-Jährige nimmt die Aufgabe, die ihr der vor fast 30 Jahren verstorbene Schriftsteller übertrug, so ernst, dass manche es für übertrieben halten. Die Verteidigung von Borges‘ literarischem Erbe ist Kodamas Mission.
"Ich trage nicht nur Verantwortung für ein Werk von weltweiter Bedeutung, sondern auch für ein Werk, bei dessen Entstehung ich zum großen Teil dabei war. Ich verteidige die Arbeit jenes Mannes, der die Hälfte meiner Seele ist."
Pablo Katchadjian bezeichnet die Situation, in die ihn Kodamas Klage gebracht hat, als zugleich katastrophal und komisch. Er wünscht sich, dass der Trubel bald vorbei ist. Und verteidigt sein literarisches Experiment:
"Borges ist ein Schriftsteller, den ich sehr schätze. Gerade deshalb würde ich mir wünschen, dass er nicht auf einem Heiligenpodest steht, sondern dass man mit ihm in einen Dialog treten kann."
Mehr zum Thema