Strawinskys Oper "The Rake's Progess"

Wüstling bei der Türkenbab

22.10.2016
Nichts für zarte Gemüter und politisch Überkorrekte, aber ein prächtiger Opernstoff: das Leben des Wüstlings Rake, das William Hogarth im 18. Jahrhundert in einer Serie von Druckgraphiken erzählt und das Igor Strawinsky auf die Opernbühne gebracht hat. Titelheld in der Aufführung der Finnischen Nationaloper in Helsinki war der Tenor Steve Davislim. Eivind Gullberg Jensen dirigierte.
Es geht um Betrug und Liebesverrat, um One Night Stands im Bordell – und auch um das, was kürzlich als "Locker Room Talks" im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlk(r)ampf für Aufsehen gesorgt hat. Tom Rakewell ist ein Tunichtgut, der in den Tag hinein lebt, das Geld verprasst und sich nicht festlegen will. Der englische Maler und Graphiker William Hogarth hat diesem Anti-Helden eine Serie von Kupferstichen gewidmet, die es an Drastik nicht mangeln lässt.
Zwei Jahrhunderte später formten die beiden Schriftsteller W. H. Auden und Chester Kallman aus dieser visuellen Vorlage ein Opernlibretto für Igor Strawinsky. Die Sittenlosigkeit der Vorlage wird dabei jedoch durch die Einführung einer zusätzlichen Person, des mysteriösen "Nick Shadow", zu einer metaphysisch aufgeladenen "Faust"-Handlung aufgewertet, die den Wüstling Tom Rakewell letztlich als Opfer teuflischer Machenschaften zeigt. Trotz seines Lebenswandels hält er eigentlich immer an seiner ersten Liebe (mit dem schönen Namen "Anne Trulove") fest und erhält am Ende für seine Verfehlungen mit dem Tod im Irrenhaus eine Strafe, die dem moralischen Gerechtigkeitsempfinden mehr als Genüge tut.
"The Rake’s Progress", entstanden in den Jahren 1947 bis 1951, ist eines der letzten und wichtigsten neoklassizistischen Werke des Komponisten Igor Strawinsky. Unbekümmert zitiert sich Strawinsky durch die Musikgeschichte, es finden sich Anklänge oder wörtliche Zitate von Mozart, Händel, Rossini und vielen anderen. Wie Strawinsky dieses Stil-Pasticcio gestaltet, zeugt von der Virtuosität seines Komponierens und macht die Oper zu einem lange unterschätzten Meisterwerk.
Bereits im vergangenen Frühling hat die Finnische Nationaloper das Werk neu herausgebracht, außer dem britischen Tenor Steve Davislim in der Titelrolle gestalteten die hervorragenden einheimischen Kräfte des Hauses die Aufführung. Die musikalische Gesamtleitung hatte der norwegische Dirigent Eivind Gullberg Jensen.
Finnische Nationaloper Helsinki
Aufzeichnung vom 9. April 2016
Igor Strawinsky
"The Rake's Progress"
Oper in drei Akten und einem Epilog frei nach William Hogarths Kupferstichen gleichen Namens
auf ein Libretto von Wystan Hugh Auden und Chester Kallman

Steve Davislim, Tenor - Tom Rakewell
Hanna Rantala, Sopran - Anne Trulove
Jaakko Kortekangas, Bariton - Nick Shadow
Päivi Nisula, Mezzosopran - Baba
Koit Soasepp, Bass - Vater Trulove
Mika Pohjonen, Tenor - Sellem
Merle Silmato, Alt - Mutter Goose
Juha Eskelinen, Bass - Wärter des Irrenhauses
Chor und Orchester der Finnischen Nationaloper
Leitung: Eivind Gullberg Jensen