Straßenraum neu denken

Auf geht's zu Fuß!

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Nahaufnahme eines Fußgängers, dessen Beine sich in einer Pfütze spiegeln.
Der Fußgänger hat die größte Aufmerksamkeit für den öffentlichen Raum, sagt Bertram Weisshaar. © Unsplash / Jonas Jacobsson
Von Manuel Waltz · 28.01.2020
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Zufußgehen ist eine unterschätze Art der Fortbewegung. Dabei schärft es die Wahrnehmung, ist gesund und umweltfreundlich. In der Leipziger Stadtverwaltung hat man das erkannt - und leistet sich einen Fußverkehrsbeauftragten.
"Nur da, wo der Mensch geht, ist er ganz Mensch und ganz bei sich und seiner Aufmerksamkeit", sagt Bertram Weisshaar.
Er ist Spaziergangswissenschaftler und läuft gerade durch das Kolonnadenviertel in Leipzig, ein Wohn- Künstler und Kneipenviertel am südlichen Rand der Innenstadt. Hier hat er sein Atelier und hier forscht er auch.
"Die Theorie dahinter ist: Die Art und Weise, wie wir uns fortbewegen, bedingt das Bild der Welt, das wir haben", erklärt er.

Fahrzeuge besetzen die Aufmerksamkeit

Und dieses Bild sei am eindrücklichsten, wenn man zu Fuß gehe, so sein Fazit: "Sobald ich mit Fahrzeugen zu tun habe, auch wenn ich als Fußgänger auf eine große Kreuzung komme, muss ich ja wieder auf diese Fahrzeuge achten. Also die okkupieren einfach unsere Aufmerksamkeit. Deswegen hat der Fußgänger die größte Aufmerksamkeit für den öffentlichen Raum, für die Umgebung."
Dabei müsse man aber zwei Arten des Gehens unterscheiden. Einmal den zweckgebunden Weg, zum Einkaufen beispielsweise. Und das Spazierengehen.

Verkehrswende ohne Fußgänger? Gemessen an ihrer Zahl ist die Bedeutung der Fußgänger in der Verkehrspolitik gering. Dabei brauchen sie "nur" geeignete Wege. Genau das ist das Problem, denn der knappe Verkehrsraum ist umkämpft. Kommen Fußgänger bei der Verkehrswende unter die Räder? Hören Sie hier den Beitrag von Anh Tran. Audio Player

"Da geht man nicht aus einem Zweck heraus, sondern aus Lust", sagt Bertram Weisshaar. "Man will sich freie Zeit gönnen. Also man verlässt vielleicht den Schreibtisch, man ist mal nicht erreichbar, lässt das Telefon zu Hause, lässt die ganzen Verpflichtungen hinter sich zu Hause, ist einfach mal für ein Stunde stillgelegt. Im Gehen."
Porträt von Bertram Weisshaar vor einer Grünfläche in Leipzig.
Nur als Fußgänger sei man ganz bei sich, sagt Spaziergangswissenschaftler Bertram Weisshaar.© Manuel Waltz
Diese Zerstreuung sei enorm wohltuend, biete Zeit für die Psyche, sich zu entspannen, sagt der Spaziergangswissenschaftler. Dazu passt auch der Rat der Weltgesundheitsorganisation mehr zu gehen. Täglich mindestens 10.000 Schritte! Das Problem: Oft sind gerade die Städte wenig attraktiv für Fußgänger.

Mehr Attraktivität durch Bäume, Brunnen und Bänke

Das soll in Leipzig Friedemann Goerl ändern, er ist, wie es offiziell heißt, der Fußverkehrsverantwortliche der Stadt.
"Ein attraktiver Weg für Fußgänger muss sich auch ganz viel über Gestaltung auch wiederfinden", sagt er. "Also er braucht Bäume, dass es verschattet ist. Unsere Städte im Zeitalter der Klimakrise werden immer heißer, es sind aufgeheizte Räume, die wir auch bewusst runterkühlen müssen mit Verschattung und Bäumen."
Gerade weil die Gesellschaft altere, müsse man immer mehr Bänke und andere Möglichkeiten bereitstellen, um sich auszuruhen.
"Ich habe auch das Problem, dass ich auch daran denken muss auch Trinkbrunnen in Städten aufzustellen", sagt Friedemann Goerl. "So was gab es mal in unseren Städten, an jeder dritten Straße gab es Handschwengelpumpen, wo man sich Wasser pumpen konnte vor hundert Jahren. So was gibt es nicht mehr. So etwas fangen wir langsam wieder an auch sozusagen mitzudenken."

Fußgängerlobbyist im Kampf um knappen Straßenraum

Goerl gehört zur Stadtverwaltung, versteht sich aber schon als Lobbyist für die Fußgänger. Das sei auch ein Kampf um den immer knapper werdenden Raum in der Stadt, aber:
"Insgesamt hat Fußverkehr eigentlich auch viele Freunde. Jeder ist zu Fuß unterwegs. Da gibt es weniger diese Grabenkämpfe und Verteilungskämpfe: Ich will dem das nicht gönnen, weil, ich benutze es ja gar nicht. Selbst ein Autofahrer oder eine Autofahrerin, die läuft auch zu Fuß und auch ein Radfahrer ist auch zu Fuß unterwegs."
Der Fußverkehrsverantwortliche ist bei der Bauplanung dabei, achtet darauf, dass Bordsteine abgesenkt werden und setzt sich für Gehwege ein, die breiter sind als die vorgeschriebenen zwei Meter fünfzig. Er versucht, die gefühlte und die tatsächliche Sicherheit von Fußgängern zu verbessern, ein Zebrastreifen hier, eine Ampel da. Viel Klein-Klein sei das und nur selten ein herausragendes Leuchtturmprojekt.
Die Verbesserungen seien aber dennoch deutlich spürbar, das erfahre er immer wieder, wenn er beispielsweise zu Bürgerspaziergängen einlädt. Dennoch hat er Größeres vor Augen. Er will, dass man auch bei Fußwegen in Achsen denkt, Fußverkehr als fließender Verkehr, der einen in sich verbunden Weg durch die Stadt finden kann.
"Wir müssen auch dorthin kommen, dass man solche Netze hat", sagt Friedemann Goerl. "Das wollen wir in Leipzig mit sogenannten Flaniermeilen auch vorantreiben, dass ich auf bestimmten Achsen auch mal den Vorrang habe, dass ich nicht an jeder Kreuzung alle hundert Meter die Fahrbahn übertreten muss."

Ein Ausdruck von Widerstand und Zeitreichtum

Auch Bertram Weisshaar will den Fußverkehr fördern und ihm mehr Gewicht geben. Denn Fußverkehr sei Entschleunigung. Das Kolonnadenviertel, wo er sein Atelier hat, soll bald autofrei werden, schon heute ist es verkehrsberuhigt. Das merke man den Menschen hier an, findet Weisshaar.
"Und anders herum kann man es auch beobachten, wenn man sich Freitagnachmittag einmal an eine größere Kreuzung stellt und einmal so die Perspektive einnimmt, als hätte man mit dem Ganzen nichts zu tun", sagt er. "Dann muss man ja sofort lachen, wie die Menschen sich mit ihren Fahrzeugen aufführen. Und man kann das auch bei sich selber beobachten. Sei es, wenn man auf ein Fahrrad steigt. Oder gelegentlich fahre auch ich Auto. Also man hat es sofort eilig."
Das sei ein Spiegel unserer Gesellschaft: immer unter Strom, immer in Eile. Man könne daher meinen, Spazieren sei aus der Zeit gefallen, ein Anachronismus.
"Auf der anderen Seite hochaktuell, weil von uns ja permanent Funktionieren erwartet wird", sagt der Spaziergangswissenschaftler. "Und man könnte so sagen, das ist so etwas Widerständiges bei dem Spaziergänger. Der nimmt sich plötzlich heraus, er funktioniert mal nicht."
Um fit zu werden für eine große Wanderung, hat Bertram Weisshaar eine Zeit lang jeden Weg zu Fuß erledigt: kein Fahrrad, kein Auto, keine öffentlichen Verkehrsmittel.
"Und dann sagen mir immer ganz viele Menschen, wenn ich das erzähle: Ja das muss man sich ja leisten können, so viel Zeit habe ich gar nicht. Und in der Tat ist das Gehen jetzt Ausdruck von Zeitreichtum. Man muss es sich heute leisten können, zu gehen. Und die Armen, die fahren mit dem Auto."
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