Straßenkunst

Häkeln gegen Hässlichkeit

Strickerei in einem Berliner Viertel.
Strickerei in einem Berliner Viertel. © muse_store, Berlin
Von Philip Artelt  · 20.11.2013
Guerilla-Stricken heißt eine neue Kunstform, bei der junge Berliner Straßenlaternen, Parkbänke und Fahrradständer mit Strickereien verschönern. Was als junge Form des Protests in den USA begann, ist inzwischen mitten in der Gesellschaft angekommen.
Friedenau. Berlin. Fünfstöckige Altbauten, ruhige Straßen, kleine Gärtchen. Schöne Spießigkeit in Reinform und ausgerechnet hier: Hier ist eine Hochburg der Strick-Guerilla. Hier trägt man - Verzeihung - hier trägt Laterne Wollpullover, Straßenschild Zipfelmütze und Parkbank Strickstrümpfe.
Gefällt mir, ja. Diese Fassaden, diese Verzierungen.
Reporter: Nein, ich meinte die Strickereien.
Ach das! Entschuldigung! Diese Pfosten sind auch bestrickt. In meiner Straße ist das auch. Ich weiß nicht, wer das macht, aber ich finde das schön!
Ein Prachtexemplar der neuen Strickkunst steht vor dem Büro von Bettina Kabot. Dort steht ein fast vollständig eingestricktes Fahrrad, bunt geringelt, sogar das Schloss und die Trinkflasche tragen ein Wollkleid:
Bettina Kabot, 47 Jahre alt, hat BWL studiert und richtet beruflich Museums-Shops ein:
Ach durch Gespräche kam man darauf, dass man wieder mehr handarbeitet. Und da kam ich auf die Idee, weil ich auch selber Lust hatte, wieder was selber Kreatives zu machen, aber nicht für mich, sondern im öffentlichen Raum mit Leuten zusammen Bäume zu stricken. Zu bestricken.
Seitdem sitzen acht bis zehn Frauen - und ein Mann - einmal im Monat zusammen und stricken für ihren Stadtteil. Der Trend kommt aus Amerika. Guerilla-Stricken heißt er, oder Yarn-Bombing. Paramilitärische Begriffe, die eine junge Protestkultur beschreiben. Statt Graffitis oder Farbbeuteln: Stricken. Eine Idee, die auch die Gegner von Stuttgart 21 gut fanden. Sie umstrickten teilweise die Absperrungen des Bahnhofes. Bunte Wollkunstwerke als Ausdruck einer oppositionellen Haltung?
Die Guerilla-Stricker aus Berlin-Friedenau umgarnen die Welt lieber völlig unpolitisch.

Das Guerilla-Stricken zieht immer mehr Einzelkämpfer an. Andrea Kasper zum Beispiel. Sie hat die Strickereien in ihrem Viertel gesehen und prompt eine meterlange Pudelmütze mit Herzchen gestrickt - für ein Verkehrsschild. Und auch sie hat nichts von dieser jungen Protestler-Generation an sich: 46 Jahre alt, Steuerberaterin, stilvolle Wohnung, großer Fernseher:
Ein Prachtexemplar der neuen Strickkunst.
Ein Prachtexemplar der Strickkunst© muse_store, Berlin
Es dient nicht dem Weltfrieden, es dient einfach nur dazu, die zig verranzten Pfähle, an denen Zettel hängen, ein bisschen bunter sind. Als ich das das erste Mal gesehen habe, musste ich einfach schmunzeln und war guter Laune, und ich denke, dass auch hier der eine oder andere vorbeigeht, lächelt und was Nettes gesehen hat.
Ist es wirklich eine Generation von Lehrern, Bankangestellten und Steuerberatern, die sich hier in unseren Städten austobt? Tendenziell über Mitte vierzig, unpolitisch und einfach strickbesessen?
Oder steckt da doch ein bisschen Protest dahinter? Juliane Pegels, Stadtforscherin:
Ich denke auch, dass da bisschen was schlummert. Ich habe auch mit jemandem gesprochen, der sagt, Nein nein, es ist nicht politisch, man liest es auch, nein, es ist kein politisches Statement, es ist kein Protest. Auf der anderen Seite sind die Begründungen, warum sie es tun, ja, sie handarbeiten gerne, aber mal ganz ehrlich, sie könnten auch Pullover oder Teddybären für ihre Enkel stricken.
Stattdessen verschönern die Guerilla-Stricker den öffentlichen Raum: Straßen, Parks und Häuser. Juliane Pegels sieht dahinter eine Nachricht: Hey, schaut unsere Stadt mal mit anderen Augen an!
Eine Nachricht, die ankommt, manchmal auch bei den Falschen: Immer wieder brennen die handgemachten Kunstwerke in Friedenau - Unbekannte fackeln bestrickte Eisenpoller und Fahrräder ab. Auf den Straßen wird ein Kampf ausgetragen, ein Kampf darum, wem die Stadt gehört. Die Guerilla-Stricker sind ein Teil davon, ob sie wollen oder nicht.
Ich glaube, das ist ein Anfang von einer neuen Ära. Vielleicht ist das ein bisschen mutig gesehen, aber vielleicht ist das für uns Stadtplaner ein bisschen eine Ohrfeige oder ein blauer Brief. Dass die Wege, die wir bisher beschritten haben, wie wir Städte bisher geplant haben, und mit welchen Akteuren wir bisher zusammengearbeitet haben, dass das offensichtlich nicht ganz der richtige Weg ist. Dass eine ganze Menge Interessen und Belange von anderen Menschen, von anderen Gruppierungen, nicht wirklich Beachtung gefunden haben.
Zwei rechts, zwei links: Die Berliner Guerilla-Strickerin Andrea Kasper arbeitet jedenfalls schon an ihrem neuen Werk: Vor ihrem Haus steht schon ihr nächstes Zielobjekt: ein Parkschild, das in Hertha-Farben bestrickt werden soll:
Mit Wimpel, genau. So, wie sich das hier in Berlin gehört.