Strafmündigkeitsdebatte

"Herr Wendt hat keine Ahnung"

06:58 Minuten
Nordrhein-Westfalen, Mülheim: Eine Schaukel hängt an einem Gerüst auf einem Kinderspielplatz.
In der Nähe dieses Kinderspielplatzes in Mülheim soll eine junge Frau von fünf Zwölf- bis 14-Jährigen vergewaltigt worden sein. © picture alliance/Roland Weihrauch/dpa
Christian Pfeiffer im Gespräch mit Anke Schaefer · 09.07.2019
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Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, fordert eine Herabsetzung der Strafmündigkeit auf zwölf Jahre. Kriminologe Christian Pfeiffer hält diesen Vorschlag für "absurd".
Fünf Minderjährige zwischen zwölf und 14 Jahren sollen am vergangen Freitag in Mülheim an der Ruhr eine junge Frau vergewaltigt haben. Jetzt werden Forderungen laut, das Alter für die Strafmündigkeit auf zwölf Jahre zu senken. Vorgebracht werden sie unter anderem von Rainer Wendt, dem Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft.
Wendts Vorstoß ruft heftigen Widerspruch hervor, etwa vom Kriminologen Christian Pfeiffer: Wenn man sich die Fakten anschaue, sei Wendts Forderung geradezu absurd, sagte er im Deutschlandfunk Kultur. Denn Pfeiffer zufolge ist gerade die Kriminalität bei Kindern und Jugendlichen stark rückläufig – in den letzten zehn Jahren um 42 Prozent.
"Ich denke, Herr Wendt hat keine Ahnung davon, was mit verhaltensauffälligen Kindern wirklich geschieht", so der frühere Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. "Die kommen auch vor einen Richter, aber das ist dann das Vormundschaftsgericht."

Pfeiffer: Wendt will sich wohl als AfD-Innenminister profilieren

Erfahrene Familienrichter würden Kontakt mit den Eltern aufnehmen, das Jugendamt werde eingeschaltet, unter Umständen auch Sachverständige. Und schlimmstenfalls würden den Eltern die Kinder weggenommen.
"All das bietet unser Jugendhilferecht", so Pfeiffer. "Herr Wendt tut so, als ob wir nur passiv warten, bis dann endlich das Strafrecht zuschlagen kann. Was für eine verzerrte Sicht! Man hat den Eindruck, er möchte sich als Innenminister für eine AfD-Landesregierung in Ostdeutschland profilieren."
Der Kriminologe Christian Pfeiffer in einer Gesprächssituation. 
Der Kriminologe Christian Pfeiffer.© dpa / picture alliance / Ole Spata
Pfeiffer warnt ferner davor, zu viel Fokus auf die Tatsache zu legen, dass alle fünf Tatverdächtigen in Mülheim bulgarischer Nationalität sind:
"Wir haben eine echte Herausforderung durch die vielen Migranten, die hier nach Deutschland gekommen sind", räumte er ein. "Aber wenn jetzt alle nur auf diese Bulgaren starren, lohnt es sich doch mal, nüchtern hinzugucken: Wir hatten im Jahr 2018 64 Kinder, die in irgendeiner Weise an Vergewaltigungen mitgewirkt haben. Aber nur zwölf waren Ausländer, 52 waren Deutsche."
(uko)

Christian Pfeiffer ist einer der bekanntesten deutschen Kriminologen. Der 75-Jährige war bis zu seiner Pensionierung Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Außerdem bekleidete das SPD-Mitglied zwischen 2000 und 2003 den Posten des niedersächsischen Justizministers. Pfeiffer ist Autor mehrerer Bücher, vor allem zum Thema Jugend und Gewalt. Zuletzt erschien von ihm die Studie "Zu Entwicklung der Gewalt in Deutschland. Schwerpunkte: Jugendliche und Flüchtlinge als Täter und Opfer" im Auftrag des Bundesfamilienministeriums (gemeinsam mit Dirk Baier und Sören Kliem).

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