Storytelling in der Wissenschaft

Der Forscher als Held und Abenteurer

Eine Illustration zeigt einen Mann der mit einem Fernrohr auf einer stilisierten Weltkugel steht: Ein zweiter Mann steigt über Wolken zu ihm hinauf.
Seit der Renaissance wird das Forschen gern mit dem Reisen verglichen. © imago / Ikon Images
Von Anja Krieger · 03.01.2019
Mit einer guten Geschichte ein Thema lebendig erzählen: Der Kommunikationstrend Storytelling wird nicht nur im Journalismus kontrovers diskutiert. Wissenschaftler warnen etwa auch davor, komplexe Zusammenhänge zu unterhaltsam zu vermitteln.
"Wenn ich im U-Boot abtauche, dann gehöre ich zu den wenigen Menschen, die jemals die Tiefsee persönlich erkundet haben – es sind ja weniger als Menschen, die im All waren – und dann ist das Publikum schon mal gefesselt, da steht jetzt eine Frau, war im U-Boot, ist in die größten Tiefen abgetaucht, und wenn es da ein Loch im U-Boot gegeben hätte, wäre sie jetzt tot, und trotzdem macht die das."
Antje Boetius leitet das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Beim Projekt "Wissenschaft im Dialog" setzt sie sich für neue Formate der Wissensvermittlung ein.

In die Tiefe des Meeres eintauchen

Die Tiefseebiologin beginnt oft mit ihren eigenen, persönlichen Erfahrungen, wenn sie Menschen für ihre Forschung begeistern will:
"Dieser Moment: Dann bin ich Experte für die, aber gleichzeitig auch nahbarer. Weil das ist alles mit dabei: ein bisschen was mit 'den Menschen darin erkennen', die Spannung, das Gruseln. Und dann kann ich denen wirklich auch Hardcore Zahlen aus meinem Umfeld vermitteln: Wieviel Energie haben die Tiefseetiere zum Fressen, wie vielfältig ist das Tiefsee-Leben – das gelingt alles viel leichter, wenn ich es so sage, weil sie dann mit mir sozusagen auf Reisen gehen."
Porträtaufnahme von Antje Boetius
Antje Boetius versucht, mit persönlichen Geschichten Menschen für die Forschung zu begeistern. © Manfred Schulz / MPI Bremen
Eine spannende Person treffen, mit ihr auf Reise gehen und mitfiebern bei dem, was sie erlebt – das sind wichtige Elemente von Geschichten, ob real oder erfunden. Und weil sie sich so gut eignen, Menschen in ihren Bann zu ziehen, ist das sogenannte Storytelling zum Trend in der Kommunikation geworden. Das gilt auch für die Vermittlung von Wissenschaft.
Journalisten, Pressereferenten und Wissenschaftler bedienen sich der Muster von Geschichten, um das, was in der Forschung passiert, spannend rüberzubringen - ob im Fernsehen, in einer Pressemitteilung oder bei einem Science Slam.

Ist Wissenschaft immer spannend?

Die Literaturwissenschaftlerin Julika Griem beobachtet diesen Trend zum Storytelling jedoch mit Skepsis:
"Geschichten sind ganz bestimmte Formen der Beschreibung von Wirklichkeit. Sie sind Strukturen, die einen Anfang, eine Mitte, ein Ende haben, die einzelne Ereignisse und Handlungen auf nicht nur chronologische, sondern auch kausale Weise verbinden, und die auf ein Ende hin erzählt sind. Und, ganz wichtig für diesen Bereich, Geschichten sollen spannend sein. Und genau an dem Punkt hab ich versucht zurückzufragen, ist Wissenschaft denn immer spannend? Oder gibt es nicht ein Problem, wenn wir versuchen, sie um jeden Preis spannend und unterhaltsam zu machen?"
Die Vizepräsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft macht sich Sorgen, dass der Trend zum Storytelling die Kommunikation von Wissen zu sehr vereinfacht. Als Philologin weiß sie, was eine gute Geschichte traditionell braucht: Die Möglichkeit zur Identifikation mit einer Heldenfigur, die dann auf eine abenteuerliche, aufregende und meist einsame Reise geht.
Die Literaturwissenschaftlerin Julika Griem liest am 17.09.2018 auf einem Podium der Lit Cologne Spezial dem internationalen Literaturfestival in Köln.
Julika Griem sieht beim Storytelling weniger spektakuläre Wissenschaftsbereiche benachteiligt.© picture alliance / dpa / Horst Galuschka
Das aber entspreche nicht der Realität des Betreibens von Wissenschaft. Und es benachteilige manche, eher unspektakuläre Bereiche der Forschung, so Julika Griem:
"Ich würde sagen, da geht ganz viel verloren an alltäglichem Gewurstel, an kollektiver Tätigkeit, an Kollaboration. Der Abenteurer ist meistens allein, er hat zwar ein paar Helferfiguren, aber die stehen nicht im Zentrum des erzählten Geschehens. Und ich glaube, dass man in der Darstellung von Wissenschaft zum Beispiel auch die vielen in den Blick nehmen sollte, die an der Arbeit beteiligt sind, und dass man vor allem auch deutlich machen sollte, dass vieles zufällig passiert, vieles am Rand passiert und dass vieles erst nach langer Zeit passiert, in der es auch mal langweilig war, in der man warten musste, in der man Zeit totschlagen musste – und all das sind Dinge, die die Abenteuer-Erzählung eigentlich ausblendet."

Das klassische Abenteurer-Image hat seine Grenzen

Das Bild vom Wissenschaftler als einsamer, meist männlicher Abenteurer existiert mindestens seit der Renaissance, als Entdecker wie Christoph Kolumbus zu ihren großen Fahrten aufbrachen. Seitdem wird das Forschen gern mit dem Reisen verglichen, dem Aufbruch in eine Terra Incognita, eine unbekannte Welt, bei denen der Abenteurer schwierigen Bedingungen trotzt und so neue Erkenntnisse für die Menschheit gewinnt.
Nicht jeder Fachbereich eignet sich aber so gut für eine solche Erzählung, findet Julika Griem:
"Was wollen Sie denn machen mit einer Frau, die in der Sozialpsychologie tätig ist und erstmal einfach nur Daten sammelt und Interviews macht, oder mit anderen Kolleginnen, die im Archiv arbeiten, die Texte interpretieren, oder die auch einfach sehr langwierige, vielleicht Laborzusammenhänge in den Lebenswissenschaften mit bearbeiten. Da fällt es eben nicht so leicht, die wissenschaftliche Tätigkeit auf diese klassische Weise als Abenteuer zu erzählen."
Wandbild mit der Darstellung von Christoph Columbus an der Westseite des Parque Peralta in der Provinzhauptstadt Holguin auf Kuba. Das Wandbild zeigt die Entwicklung von Kuba, den Zeiten der Ureinwohner bis zum Ende der Sklaverei.
Wandbild mit der Darstellung von Christoph Kolumbus: Weltentdecker haben das Image des Wissenschaftlers geprägt.© imago / epd-bild / Klaus Honigschnabel
Statt Emotionen, Stories und einer "Kultur des Spektakels" in Form von Kinder-Unis oder Chemie-Olympiaden will Julika Griem das Publikum lieber herausfordern und mit der ganzen Komplexität der Wissenschaft konfrontieren. Auch die alltäglichen Realitäten und die institutionelle Basis der Forschung müssten dabei noch stärker ins Licht rücken, findet sie – sonst gerate die Wissenschaft in Gefahr, idealisiert und falsch dargestellt zu werden.
"Zärtliche Überforderung" nennt Griem diese Herangehensweise. Wissenschaft brauche keinen "barrierefreien Abenteuerspielplatz", erklärte sie auf dem Forum für Wissenschaftskommunikation im vergangenen Jahr.

Zärtliche Überforderung vs. Barrierefreiheit

Jan Steffen, der als Referent für Kommunikation und Medien am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel arbeitet, gehört zu den Zuhörern, die sich an dieser Formulierung reiben:
"Was spricht eigentlich gegen Barrierefreiheit in der Wissenschaftskommunikation? Ich selbst arbeite ja für eine öffentlich geförderte Wissenschaftseinrichtung. Und mein Anspruch ist deshalb, und auch von eigentlich allen Kolleginnen und Kollegen die ich kenne, möglichst transparent zu kommunizieren und möglichst viele Menschen zu erreichen."
Aus der zärtlichen Überforderung, befürchtet Steffen, könne schnell eine Kommunikation werden, die sich nur noch an Menschen richte, die ohnehin offen sind für geistige Herausforderungen. Und das habe gesellschaftliche Auswirkungen. Denn wenn man die Menschen nicht mehr abhole, baue man Barrieren auf:
"Das würde meiner Meinung nach letztendlich zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft führen, also in Bildungs-/Wissenschaftsnah, die sich für unsere Themen interessieren, die sich sanft überfordern lassen, und Bildungs-/Wissenschaftsfern, die das eben nicht tun, die wir dann einfach verlieren. Und ich glaube das Letzte, was wir gebrauchen können, ist eine weitere Spaltung der Gesellschaft."

Keine Angst vor Herausforderung des Publikums

Wie einfach oder komplex darf die Vermittlung von Wissen also sein? Und stellt der Trend zum Storytelling manche Disziplinen und Forschertypen ins Rampenlicht und andere in den Schatten? Meeresforscherin Antje Boetius sieht sich nicht im Vorteil gegenüber den Wissenschaftlern anderer Fachbereiche.
Wer die Frage und Methode seiner Forschung sowie das, was sie den Menschen bringe, klar formuliere, kann jede Art von Wissen erfolgreich vermitteln, findet sie – von Mikroorganismen in der Tiefsee bis zu Gesängen des Mittelalters. Und das dürfe die Zuhörerinnen und Zuhörer auch gerne mal fordern:
"Das ist ganz wichtig: Das Publikum soll Momente haben, wo es denkt, das hab ich ja noch nie so gehört, das hab ich noch nie so gesehen, das ist eine für mich ganz neue Methode, ach so geht das! Diese Heureka-Momente, diese Momente dieses Aha-Effektes, das ist was Wunderbares für alle Menschen – das kennen wir schon, wenn wir Kinder sind, dieser Moment, wo wir irgendwas sehen, und als Kind denken, jetzt hab ich was rausgefunden, was keiner weiß, oder ich zum ersten Mal so gedacht hab, das fühlt sich richtig super gut an.

Für eine Vielfalt der wissenschaftlichen Erzählweisen

Boetius plädiert dabei für eine Vielfalt der wissenschaftlichen Formate und Erzählweisen – je nachdem wer gerade mit wem über was spricht. Es ist eben nicht dasselbe, ob jemand einen Radiobeitrag produziert oder eine Kinderuniversität veranstaltet, eine Pressemitteilung oder ein Buch schreibt.
Wie in allen dokumentarischen Formaten gilt aber immer, dass das Berichten und Erzählen nie die Wirklichkeit überholen oder verzerren darf. Es muss die Fakten korrekt wiedergeben, und die Bedingungen und Methoden von Erkenntnis in den Blick nehmen – auch jenseits von Abenteuer und bahnbrechender Erfolge.
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