Für Menschen mit geistigen Einschränkungen

Stadtrundfahrt ohne Fremdwörter

Teilnehmer der Stadtrundfahrt in einfacher Sprache sitzen im Bus.
Teilnehmer der Stadtrundfahrt in einfacher Sprache © Tina Hüttl
Von Tina Hüttl · 28.10.2017
Die Berliner Stadtführerin Rita Hübenthal-Montero bietet Touren für Menschen mit geistiger Behinderung an. Gewöhnliche Stadtrundfahrten enthalten meist zu viele Infos. Deshalb formuliert sie in leichter Sprache, beschreibt Kompliziertes einfach. Die Teilnehmer schätzen das.
Die Sonne sinkt hinter dem Bahnhof Zoo. Ideale Bedingungen für eine Stadtrundfahrt durchs beleuchtete Berlin.
Die Stimmung unter den 50 Teilnehmern, den rund 20 Betreuern und Stadtführerin Rita Hübenthal-Montero ist gut, gelöst.
Der Einfachheit halber bleiben alle hier beim du. Und auch die Sprache ist dem Niveau der Teilnehmer angepasst:
"Mit meinem Kollegen haben wir uns vorbereitet, indem wir rumgefahren sind und das muss man jetzt versuchen, in leichter Sprache zu transferieren. Man muss sich auch überlegen, dass viele Menschen so Transferleistungen nicht bringen können."
Seit fast 20 Jahren führt Rita Touristen durch Berlin, meist spanische Gruppen. Mindestens ebenso lange arbeitet die ausgebildete Erzieherin auch in einem Wohnheim mit Behinderten. Nun hat sie beide Berufe zusammengeführt, weil normale Stadtführungen für Menschen mit geistigen Einschränkungen oft viel zu viele Infos enthalten, zu kompliziert und zu langatmig sind.
Rita: "Das ist schon ein Lücke im Angebot."
Heute zahlt jeder Teilnehmer zehn Euro, die meisten leben in einer Wohngemeinschaft des Unionhilfswerks, für das Rita arbeitet.

Die Teilnehmer sind voll dabei

Der Bus zuckelt durch den Feierabendverkehr, ganz langsam über den Kurfürstendamm, die Klienten, wie hier die Teilnehmer mit geistigen Einschränkungen heißen, sitzen im Stockdunkeln, gruppiert um Tische oder zu zweit. Innen hat Busfahrerin Anne die Lichter ausgemacht, damit die Lichter der Geschäfte draußen umso mehr glitzern.
Ritas Ironie sorgt für Spaß, die Zuhörer sind hellwach und voll dabei. Auf Höhe des KaDeWe übernimmt Ritas Kollege Vlado das Mikrophon.
Vlado stellt viele Fragen: Wie viele Einwohner zählt Berlin? Welche Stadt hat noch eine ältere U-Bahn? Die Stimmung ist ein bisschen wie bei der Quizshow, alle rufen durcheinander. Rita verteilt Hanuta an die Gewinner, alle bekommen was.
Einander gegenüber sitzt ein Pärchen, Andrea und Thomas: "Schatzi und Schatzi", so nennen sie sich liebevoll. Thomas weiß viel, murmelt Jahreszahlen, Begriffe vor sich hin. Eine echte Herausfordernd an der Stadtführung, sei es, sagt Rita, während die Gruppe eine erste Toilettenpause einlegt, sich auf die verschiedenen geistigen Fähigkeiten einzustellen.
"Ich setze meistens die Stadtrundfahrten bei einem Niveau von Zehnjährigen an. Man muss aber auch dazu wissen, dass sind alles Erwachsene, die haben eine lange Lebenserfahrung, man kann die auch nicht wie Kinder ansprechen. Meine Erfahrung ist auch, dass in jeder Gruppe immer Leute dabei sind, die wirklich unheimlich viel wissen. Detailwissen oder Inselbegabungen haben. Und deswegen habe ich auch vor, thematische Führungen anzubieten."

Regeln für einfache Sprache

Rita hat wieder das Mikro übernommen. An die strengen Regeln für leichte Sprache, die ein gleichnamiger Verein definiert hat - nur Hauptsätze, kein Konjunktiv - hält sie sich nur beim Schreiben. Beim Sprechen ist ihr wichtig, Fremdwörter zu vermeiden, Kompliziertes einfach zu beschreiben, sei es die Lichtprojektion am Fernsehturm, die Geschichte des Roten Rathauses oder des Berliner Doms.
Der Bus kommt nur langsam voran. Am Ende der zwei Stunden sind alle froh am Potsdamer Platz auszusteigen, um eine riesige Wiese mit bunten Blumen zu bestaunen, die auf den Asphalt projiziert ist.
"Sie macht das total hammergeil, ja, anders kann man es nicht sagen. Frauenpower ist immer gut!"
Benny ist 33, er hüpft zur Musik, sein Kapuzenpulli in bunte Farben getaucht. Manchmal, erzählt er, ist er leider depressiv – doch gerade sehr, sehr glücklich, dass es so eine besondere Stadtrundfahrt gibt.
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