"Stolze Augen Books"

Nicht-weißen Autor*innen eine Stimme geben

07:11 Minuten
Eine junge schwarze Frau mit Lederjacke und schwarzer Hose steht vor einer Hauswand mit Briefkästen und Firmenschildern.
"Wenn eine Story sich um Rassismus dreht, dann wird das oft verschönert und nicht so schlimm dargestellt." Das wollen die Mitarbeiterinnen von "Stolze Augen Books" wie Wandi Wrede ändern. © Deutschlandradio / Natalie Putsche
Von Natalie Putsche · 04.10.2021
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Die Lebensrealität von People of Colour ist in der deutschen Literatur unterrepräsentiert. Der Kölner Verlag „Stolze Augen Books“ will das ändern, nicht-weiße Autorinnen und Autoren sichtbar machen und sie ihre Geschichten erzählen lassen.
Ein Backsteinbau auf einem Industriegelände in Köln-Rodenkirchen. Zwei kleine recht kahle Räume.
"Hier im ersten Raum haben wir unsere ganzen Bücher", erklärt Wandi Wrede, eine der sechs Macherinnen bei "Stolze Augen Books".
"Das sind die Bücher, das ist Verpackungsmaterial ohne Ende. Hier werden auch Instagram-Videos gedreht von den Büchern, und hier auch unsere Signatur-Süßigkeit, die wir immer in die Bestellung mit reinpacken."
Wandi Wrede greift in einen Karton mit Bonbons, die tatsächlich aussehen wie das Auge, das Verlagskennzeichen.
"Da sind wir auch super stolz drauf. Und dann haben wir noch unsere Sticker, die wir auch vor Kurzem haben machen lassen. Das ist unser Verpackungsraum. Hier wird viel gearbeitet. Das machen insbesondere Mila und Vivi aus dem Team. Die sind mindestens zweimal die Woche vor Ort. Dann haben die hier das Büro, wo die gegenübersitzen. Und dann kann man da noch sehen: Unser erstes Exemplar, das wir herausgegeben haben, hängt auch schon an der Wand."
"Texte nach Hanau" heißt das Buch.
"Genau. Unser Baby. Und dann 'Samira' jetzt."

Ein Aufklärungsbuch für People of Colour

Und schon sind wir wieder drüben im kleinen Verpackungsraum.
"Das sind jetzt offene Exemplare, damit man auch reinschauen kann, aber in der Regel kommen die schon verpackt", erzählt Wandi, die beim Verlag verantwortlich ist für Social Media. Und damit eben auch für das Bewerben der Bücher und Autoren.
"Das Buch ‚Samira‘ ist ein Aufklärungsbuch, wo man People of Colour sehen kann und wo einfach verschiedene Familienkonstrukte dargestellt werden. Das war für mich ein Tabu, ein ‚gibt es nicht‘. Wo ich aufgewachsen bin, hieß es oft: ‚Das ist nicht richtig, wenn andere Familienkonstrukte entstehen, außer Mutter, Vater, Kind.‘ Dementsprechend ist das so ein Buch, das man sich schon vorher gerne gewünscht hätte."
"Samira und die Sache mit den Babys" lautet der Titel des Buches von Susan AlSabah und Özlem Sakalkesen. Es ist ein Kinderbuch ab fünf Jahren. So der Verlagstext: "Das Buch verbindet Wissen rund um Schwangerschaft und Geburt mit Grundlegendem zum eigenen Körper und stellt hierbei binäre Denkmuster, patriarchale Mythen und gewaltvolle Bezeichnungen in Frage."
"Und deswegen glaube ich, dass das Buch auf jeden Fall in jedem Kinderzimmer sein sollte."

Enttäuscht von herkömmlichen Verlagen

"Alle Gründungspersonen des Verlages sind und waren bei dem Verein Holla aktiv", beginnt eine der zwei Gründerinnen, Jamilah Bagdach, von der Entstehung des Verlags zu erzählen.
"Holla e.V. ist das Zentrum für Intersektionale Gesundheit in Köln mit Schwerpunkt auf Rassismus und Sexismus.* Durch diese Arbeit ist einfach mit jedem Projekt deutlicher geworden, dass Menschen, die in Deutschland durch Rassismus diskriminiert sind und Intersektionalität erleben, ein extremes Bedürfnis haben, sich mitzuteilen, auch vor allem, weil die Lebensrealität in der Gesellschaft extrem unterrepräsentiert ist.
Das im Zusammenspiel damit, dass wir mit Autor*innen of Colour und schwarzen Autor*innen in Kontakt waren und immer wieder verschiedene Geschichten gehört haben, davon, dass sie ihr Buch verlegen wollten und am Ende aber nicht das Buch erschienen ist, was sie wollten, weil einfach der Verlag die Lebensrealität der Autor*innen permanent hinterfragt hat. Da wussten wir, okay, dann gründen wir einen Verlag."

Ein Verlag von BIPocs für BIPocs

"Was sind die Geschichten, die von den Autoren an euch herangetragen werden?"
"Dass man versucht, Geschichten anzupassen, sodass sie in der Gesellschaft ‚akzeptiert‘ werden und Leute nicht vor den Kopf stoßen."
Zum Beispiel?
"Sei es eine Story, sei es eine Illustration, oft Figuren, die angepasst werden. Wenn eine Figur eine dunkle Hautfarbe hat, dann wird die ein bisschen heller gemacht. Dann heißt es: Das passt dann mehr in die Gesellschaft. Oder wenn eine Story sich um Rassismus dreht, dann wird das oft verschönert und nicht so schlimm dargestellt, weil das natürlich im Gegenzug heißt, dass irgendwas schiefläuft."
Der Kölner Verlag ist die erste BIPoC-Verlagsgesellschaft in Deutschland. Und die jungen Verlegerinnen können sich nur zu gut in die Menschen und deren Geschichten hineinversetzen:
"Wir haben ja einen Verlag von BIPoCs für BIPoCs."

Gegen das Vergessen von rassistischen Anschlägen

Vor allem das Arbeiten an "Texte nach Hanau" sei daher sehr emotional gewesen, "weil viele Texte reinkamen, die super emotional waren".
"Uns war wichtig, dass einerseits in unserer ersten Veröffentlichung so viele Menschen mit so vielen Lebensrealitäten wie möglich die Möglichkeit haben, sich mitzuteilen und andererseits aber auch gegen das Vergessen von rassistisch motivierten Anschlägen anzugehen. Deswegen der Titel, deswegen ein Sammelband", sagt sie.
"In ‚Texte nach Hanau‘ gibt es einen Text, da wird von Baba gesprochen. Das hat mich sehr an meine Familie erinnert, an meine Mama und ihr In-Deutschland-Leben als Frau aus Ghana. Die Schwierigkeiten, die sie hatte, als sie nach Deutschland gekommen ist und versucht hat, sich hier anzupassen und einen Platz zu finden, und viele Sachen hingenommen hat, die man nicht hinnehmen sollte."
Wandi ist 24 und studiert Soziologie, jobbt nebenbei und nutzt ihre restliche Zeit für die Verlagsarbeit. Man kann sagen, alle sechs Verlegerinnen arbeiten im Moment noch ehrenamtlich für den Verlag, denn aktuell gehe es noch um das Decken von Kosten. Sie selbst verdienen noch nichts.

Ein Vorbild für andere Unternehmen sein

"Unsere Zukunftsvision ist natürlich, größer zu werden, zu wachsen, bekannter zu werden", sagt Jamilah Bagdach. "So viele Bücher wie möglich zu veröffentlichen und auch ein Vorbild zu sein für andere Unternehmen, denn es ist an der Zeit, dass es Normalität ist, rassismussensibel und intersektionalitätsbewusst zu arbeiten."
Gerade sind die Kartons voll mit "Samira", dem Kinderbuch. Aber schon für Anfang des nächsten Jahres ist eine neue Veröffentlichung geplant und auch die Geschichte von Samira ist noch nicht auserzählt.
"Samira, die Hauptfigur, ist die, die auch wachsen wird."
Also eine Serie?
"Das ist das Ziel dahinter. Einfach weil das eine Geschichte ist, die nicht bei 'Samira und die Sache mit den Babys' enden soll. Samira wird wachsen und wird weitere Fragen haben, und die werden im Laufe der Jahre aufgeklärt."
*Redaktioneller Hinweis: Wir haben einen falschen Vereinsnamen korrigiert.
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