Stipendium fürs Nichtstun

Das Ideal der Folgenlosigkeit

06:02 Minuten
Ein Mann schläft in einem Park auf einer Wiese.
Im Schlaf Geld verdienen: Ob sich dieser Mann schon für das Hamburger Stipendium fürs Nichtstun beworben hat? © imago images / Mc Photo
Friedrich von Borries im Gespräch mit Axel Rahmlow · 19.08.2020
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Rein gar nichts tun und dafür belohnt werden. Nicht an Erfolg denken, sondern einfach nur sein: Die Hamburger Hochschule für bildende Künste möchte Menschen zu diesem Gedankenexperiment animieren und gewährt dafür ein Stipendium über 1600 Euro.
Bartleby überrascht seinen Chef eines Tages mit Arbeitsverweigerung, begleitet von dem Satz: "Ich möchte lieber nicht." Insgeheim würden viele Menschen sich wohl gerne so verhalten wie der Protagonist in Herman Melvilles Erzählung "Bartleby, der Schreiber".
Ein Stipendium der Hamburger Hochschule für bildende Künste (HFBK) will das Nichtstun belohnen. Als eine Art künstlerische Intervention gedacht, sollen drei Menschen je 1600 Euro bekommen und dafür ... nichts tun.
Wer das Geld bekommen möchte, muss zuvor aber gut begründen, warum er oder sie nichts tun möchte, beziehungsweise, was genau er oder sie denn nicht mehr tun will.

Sich vom Stress befreien und positiv denken

Initiator dieses Projekts einer "Schule der Folgenlosigkeit" ist der Architekt und Designtheoretiker Friedrich von Borries, Professor an der HFBK.
Er sichtet alle Bewerbungen und stößt auf die unterschiedlichsten Motivationen: Ein Bewerber wolle die Zeit nutzen, um in Ruhe über sein Mannsein und Genderfragen nachzudenken. Ein anderer wolle sich in Konsumverzicht üben, eine Bewerberin wolle sich vom Stress befreien und lernen, positiv zu denken.
Warum dieses Stipendium? "Folgenlosigkeit ist ein regulatives Ideal, genauso wie Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit. Also, etwas, nach dem wir streben sollten", sagt von Borries.

Über Nachhaltigkeit nachdenken

Das Projekt möchte Menschen zu einem Gedankenexperiment animieren, erläutert der Designtheoretiker: "Wo kann ich eigentlich den Pfad, Spuren zu hinterlassen, Erfolg zu haben und mehr zu erreichen, verlassen, um vielleicht selber glücklicher zu sein, aber auch um ein nachhaltigeres, ökologisch sinnvolleres Leben zu führen?"
Mit dem Begriff Nachhaltigkeit werde auf problematische Weise umgegangen: Ein grüner Kapitalismus, der erneuerbare Energieformen statt Benzin propagiere, nur damit die Leute, davon abgesehen, so weitermachen könnten wie bisher, sei "eine Lüge".
Im Übrigen sei Nichtstun paradoxerweise eigentlich harte Arbeit, so von Borries weiter - das wisse jeder, der schon einmal versucht habe, an wirklich nichts zu denken. Er selbst, sagt er, würde gerne "weniger wollen". Und die Ironie und innere Widersprüchlichkeit des Stipendium-Projektes sei: "Ich muss gerade wahnsinnig viel tun, damit es ein erfolgreiches Stipendium des Nichtstuns gibt."
(mkn)

Interessenten können sich noch bis zum 15. September 2020 für das Stipendium fürs Nichtstun bewerben. Nähere Infos finden Sie hier.

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