Donnerstag, 28. März 2024

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Borjans zu kommunalen Investitionen
"Wir laufen hier wirklich auf ein Desaster zu"

Norbert Walter-Borjans (SPD) hat im Dlf eine Kehrtwende in der Finanzpolitik gefordert. Jahrelang sei auf wichtige Investitionen zugunsten der schwarzen Null verzichtet worden, kritisierte der Ex-Finanzminister von NRW. Zudem müsse man die aufgelaufenen Schulden von den Schultern der belasteten Kommunen nehmen.

Jürgen Zurheide im Gespräch mit Norbert Walter-Borjans | 19.10.2019
Nordrhein-Westfalens Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) spricht am 10.05.2017 in Berlin zu den aktuellen Aktivitäten der Steuerfahndung in NRW. Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/ZB | Verwendung weltweit
Norbert Walter-Borjans kandidiert für den Bundesvorsitz der Sozialdemokraten (dpa-Zentralbild)
Jürgen Zurheide: Die Bundesregierung hat die Wachstumsprognose zurückgenommen: Nur noch um 0,5 soll die Wirtschaft in diesem Jahr wachsen. Trotz dieser Zahl drohe allerdings kein Konjunkturrisiko. Das sagt und glaubt die Bundesregierung. Viele Wirtschaftswissenschaftler sehen das anders, sie mahnen an, es muss, soll mehr investiert werden, vor allem übrigens in den Kommunen, denn da entscheidet sich ja wirklich, was vor Ort passiert. Viele Kommunen können das aber nicht, weil sie überschuldet sind. Über all das wollen wir reden, und dazu begrüße ich den früheren nordrhein-westfälischen Finanzminister Norbert Walter-Borjans, SPD, bei uns am Telefon. Guten Morgen, Herr Walter-Borjans!
Norbert Walter-Borjans: Guten Morgen, Herr Zurheide!
Zurheide: Die Investitionen in Deutschland sind seit 20 Jahren rückläufig, die volkswirtschaftliche Investitionsquote, trotz vieler sozialdemokratischer Finanzminister. Was machen Sie, was macht Ihre Partei da falsch?
Walter-Borjans: Dass wir uns zu sehr in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten haben treiben lassen von denen, die die Kreditaufnahme zum einzigen Kriterium für erfolgreiche Haushaltsführung gemacht haben. Wir sind genauso dieser Geschichte hinterhergelaufen und haben gesagt, wenn wir nicht die schwarze Null predigen, dann glaubt man uns nicht, dass wir anständig mit Geld umgehen – und das Ergebnis sehen wir. Man hat verzichtet auf wichtige Investitionen, vor allen Dingen auch auf Ersatzinvestitionen, einfach zu reparieren, zu erneuern, was diese Bundesrepublik an Infrastruktur hatte und was sie braucht. Und das ist dringend notwendig, dass wir da umkehren.
Ich habe das im Übrigen über Jahre der Zeit als Finanzminister immer wieder zum Thema gemacht, allerdings dann auch mit dem entsprechenden negativen Widerhall.
Zurheide: Jetzt habe ich gerade schon angesprochen, in den Kommunen ist das besonders deutlich, ich bringe nur mal eine Zahl, 2001 haben die Kommunen rund 20 Prozent der Gelder, die sie zur Verfügung hatten, investiert, 2018 waren es nur noch 13 Prozent. Ich könnte jetzt zynisch sagen, das Ergebnis sehen wir in den Schulen.
Wie muss endlich und wie müssen die Kommunen Geld bekommen, dass sie das umkehren können, weil sie es müssen?
Walter-Borjans: Ja, die Kommunen haben ja nicht deswegen so wenig investiert, weil sie so viel Lust am Konsumieren hatten, sondern die Kommunen haben im Wesentlichen Ausgaben, die ihnen durch Bundesgesetze vorgegeben sind. Ein ganz wichtiger Teil liegt im sozialen Bereich, etwa die Kosten der Unterkunft, die gezahlt werden müssen. Das heißt, die können überhaupt nicht bestimmen, wie viel sie da ausgeben müssen pro Kopf. Und dann kommt aber dazu, dass die Kommunen sehr, sehr unterschiedliche Sozialstrukturen haben, auch durch den Strukturwandel, und das bedeutet, dass wir Kommunen haben, die auf dieser Seite kaum Belastungen haben, natürlich dann auch viel investieren können, dadurch auch noch viel Steuern auf kommunaler Ebene einnehmen, und andere, die all das nicht haben, aber die großen Lasten. Und das heißt, wir brauchen zweierlei: Wir müssen die aufgelaufenen Schulden von den Schultern dieser belasteten Kommunen wegnehmen, wir müssen aber gleichzeitig auch dafür sorgen, dass das Loch nicht morgen wieder neu entsteht, das heißt, dass vom Bund und auch von den Ländern an die Kommunen das gezahlt wird, was sie an Ausgaben haben, die sie gar nicht selbst beeinflussen können.
Walter-Borjans: Wir laufen hier wirklich auf ein Desaster zu
Zurheide: Also die Altschulden der Kommunen liegen im Moment bei rund 130 Milliarden Euro. Die sind zwar leicht, aber nur leicht gesunken. Und wir alle wissen, Sie haben es gesagt, dass das in manchen Städten schlimmer ist als in anderen. Wann passiert denn da endlich was? Denn darüber diskutieren wir ja nicht erst seit gestern.
Walter-Borjans: Na ja, es gibt jetzt ja eine Initiative des Bundesfinanzministers, an diese Sache heranzugehen, und man merkt ja jetzt auch, das Ganze passiert in einem Umfeld, in dem auch die, die es immer am härtesten kritisiert haben, erkennen, dass wir hier wirklich auf ein Desaster zulaufen. Das ist ja nicht nur ein Desaster im Sinne von materiellem Niedergang, maroden Straßen, kaputten Schulen, sondern es hat ja auch immer was zu tun mit der Form des Zusammenlebens, die dann da stattfindet. Wenn ich verwahrloste öffentliche Räume habe, dann ist eine solche Stadt, eine solche Gemeinde weit hinter denen, was die Chancen angeht, zurück, die ganz andere Möglichkeiten haben, im Übrigen, wo es auch eine zum Teil ruinöse Konkurrenz der Kommunen untereinander gibt.
Berlin-Weißensee: Die Proteste an den Schulen weiten sich aus. Nach dem geplanten Lehrerstreik am 12. April 2000 wollen die Schüler zu einem großen Sternmarsch im Mai aufrufen. Andere hoffen, dass ihre marode Schule wenigstens teilweise saniert wird.
Oft scheiterten Investitionen an den Zuweisungen von Bund und Ländern, sagte Norbert Walter-Borjans im Dlf (picture alliance / dpa / Berlin Picture Gate)
Also es gibt jedenfalls, im Moment scheint es jedenfalls so zu sein, einen doch sehr breiten Konsens, dass das der Punkt ist, die Kommunen sind der Punkt, an dem man anpacken muss, und auf zweierlei Seite, eben die Lasten, die sie schon haben, die aufgelaufen sind, zu reduzieren, der anderen Teil, der hängt noch ein bisschen, dass man dann auch so klar sieht und sagt, dann muss ich in Zukunft auch fairer bezahlen.
"Wir brauchen Geld für besseren Nahverkehr"
Zurheide: Jetzt ist bei der Grundsteuer der Kompromiss diese Woche geschlossen worden, immerhin 14 Milliarden für die Kommunen, das soll mehr oder weniger bleiben. Das ist sicherlich ein erster Schritt. Aber die Frage an Sie: Reicht das?
Walter-Borjans: Na ja, der Punkt ist ja auch da wieder: Es geht ja nicht darum, die kommunalen Einnahmen zu stärken, die am Ende wieder bei den kleinen Leuten liegen bleiben, also etwa bei den Mietern, sondern dass wirklich auch die Einnahmen der Kommunen steigen, die sie dann für genau diesen Kreis, ich sage jetzt mal, die breite Bevölkerungsschicht, auch einsetzen können.
Ein Straßenbauer in orange-farbener Arbeitskleidung bringt eine neue Asphaltdecke auf einer Straße in Freiburg auf.
In die Infrastruktur müsse dringend investiert werden, sagte Norbert Walter-Borjans im Dlf (dpa picture alliance / Patrick Seeger)
Also wir brauchen Geld für besseren Nahverkehr. Auch das ist in Städten mit einer schwierigen Sozialstruktur schlechter, das heißt, da sind mehr Menschen auf Bus und Bahn angewiesen, aber die Busse und Bahnen fahren seltener und sind im schlechteren Zustand. Also insofern ist die Grundsteuerreform ja nicht gedacht gewesen, um die kommunalen Kassen über Mieter wieder stärker zu füllen, sondern sie ist im Auftrag des Bundesverfassungsgerichts fairer gestaltet worden. Und im Wesentlichen wird das nicht dazu führen, dass aus dieser Quelle enorm viel mehr Geld in die kommunalen Kassen fließt.
Investitionen sind eine Frage der Zuweisung von Bund und Ländern
Zurheide: Aber was würden Sie politisch oder was wollen Sie politisch - ich bringe das jetzt mal, Klimawende, Sie haben es gerade angesprochen. Da gibt es in Wien, was vielseitig gelobt wird, ein Ticket, einen Euro pro Tag, 365 Euro pro Jahr, und Busse und Bahnen fahren da auch so, dass Menschen das wirklich nutzen können.
Wie wollen Sie eine Stadt wie Duisburg in die Lage versetzen, so was umzusetzen, um eine der Kommunen anzusprechen, die es gerne würde, aber nicht kann? Was müssten und was wollen Sie da ändern?
Walter-Borjans: Im Wesentlichen ist das ja immer eine Frage bei den Kommunen auch der Zuweisungen von Bund und Ländern. Die Kommunen haben nur als Stellschrauben, die Sie selbst stellen können, die Grundsteuer und die Gewerbesteuer, und wenn arme Kommunen genau an diesen beiden Schrauben drehen und unattraktiver für Wirtschaft werden und auch für die Bevölkerung, die da zur Miete wohnt, dann ist das ja nicht gerade ein guter Beitrag, die auf dieselbe Stufe zu bringen wie reiche Gemeinden.
Also es wird am Ende darum gehen, dass Bund und Länder ihre kommunalen Zuweisungen genauer danach ausrichten: Welche Lasten haben die Kommunen? Wir haben das in der Zeit, in der ich Finanzminister war in Nordrhein-Westfalen, mit einem Stärkungspakt für die Kommunen getan. Wir haben einen relativ hohen beitraglichen, historisch hohen Beitrag aus dem Landeshaushalt an die Kommunen überwiesen, aber wir haben auch immer darauf hingewiesen, dass der Bund sich in diesem Punkt einen schlanken Fuß macht: Der sonnt sich in Überschüssen, was Steuereinnahmen und niedrige Zinsausgaben angeht. Und die Kommunen sitzen aber da und haben Schulden, deren Zinsen jeden Tag sich ändern können, weil es sind praktisch Dispokredite. Die können nicht so schön Geld leihen für 30 Jahre und minus 0,8 Prozent Zinsen, sondern die müssen damit rechnen, wenn die Zinsen steigen, dass sie jeden Tag plötzlich eine so hohe Ausgabensteigerung haben, dass die nächsten Schwimmbäder, öffentlichen Parks und anderes schon wieder zu schließen sind.
Zurheide: Ist aber die konkrete Frage: Was muss der Bundesfinanzminister ändern? Den kennen Sie ja, glaube ich, ganz gut.
Walter-Borjans: Den kenne ich, wir sind auch immer im Gespräch. Wie gesagt, was die Entschuldung angeht, da ist ja was in Bewegung gekommen. Aber es geht darum, dass zum Beispiel die Zuweisungen für die Kosten der Unterkunft, aber eben auch gegebenenfalls Anteile an der Umsatzsteuer oder eben andere Formen von direkten Zuweisungen über die Länder, zusammen mit den Ländern an die Kommunen, dass die aus dem Bundeshaushalt erfolgen müssen.
Zurheide: Ein letzter Punkt, den möchte ich noch ansprechen: Bei der Pendlerpauschale gibt es wieder so interessante Entwicklungen, dass die gegeben wird. Der Satz pro Kilometer wird erhöht. Aber damit entlasten Sie diejenigen, die viel verdienen, höher als andere. Das hätte man auch anders regeln können. Warum schafft die SPD nie, so etwas durchzusetzen, was sie vielleicht im Zweifel will?
Walter-Borjans: Na ja, das ist ja eine Debatte, die wir im Augenblick im Zuge auch der Kandidaturen für die Parteispitze heftig diskutieren. Es ist immer wieder dasselbe Spiel in dieser Großen Koalition, das muss man ganz klar sagen, dass dann, wenn Lasten ins Hier und Jetzt übernommen werden müssen – das ist der Fall, wenn wir die Klimakrise nicht immer auf die Schultern der jungen und der zukünftigen Generationen verlegen wollen und wenn wir nicht andere Regionen der Welt ausbeuten wollen –, dann müssen wir hier mehr tragen, und das heißt, es wird heute und hier teurer. Nur dann ist die Frage: Trägt das der Pendler, trägt das der Rentner, oder müssen wir nicht dann an der Stelle dann auch sagen, es müssen sehr hohe Vermögen und Einkommen stärker beitragen? Und dann kriegt eben jeder einen gleich großen Betrag zurück.
Und dann kommt eben ein Kompromiss zustande, in dem die konservative Seite Wert darauf legt, das darf nicht passieren, die Kostensteigerung, die kommen wird, wird abgedämpft durch eine steuerliche Abzugsmöglichkeit, und das heißt immer, je höher mein Einkommen, desto stärker fällt die Dämpfung aus.
Walter-Borjans: Koalitionen leben auch immer von Kompromissen
Zurheide: Ja, aber meine Frage war, warum setzen Sie das nicht anders durch in der Koalition?
Walter-Borjans: Ja, weil natürlich Koalitionen immer auch von Kompromissen leben. Ich selbst kritisiere, dass wir hier im Kompromiss zu weit gegangen sind. Ich möchte, dass das korrigiert wird, und ich möchte auch, dass wir in Zukunft in solchen Auseinandersetzungen genau diese Verteilungsfrage, auf welche Schultern werden die Lasten, die nötig sind, verteilt, dass die stärker in den Vordergrund für sozialdemokratische Politik gerät.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.