Stilist des Krieges

Heinz Ludwig Arnold im Gespräch mit Ulrike Timm · 22.09.2010
Mit Büchern wie "In Stahlgewittern" wurde Ernst Jünger weltberühmt und zugleich von vielen als Propagandist des Krieges verabscheut. Für Jünger war der Krieg einfach nur die Fortsetzung eines Abenteuers, meint Heinz Ludwig Arnold, in den 1960er Jahren Jüngers Privatsekretär.
Ulrike Timm: Bumm,bumm, hui,hui, bauz,bauz – das sind Wortfetzen, die man eher in einem Comic suchen würde, als dass man sie bei Ernst Jünger vermutet. Ernst Jünger, 1998 gestorben mit 102 Jahren, war einer der umstrittensten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Seine Anhänger verehren seinen hohen Stil, in Frankreich etwa wird er bis heute überaus geschätzt. Seine Gegner empören sich darüber, dass der Krieg für ihn für die Faszination des Kämpfens per se stand, eine Ästhetik hatte. Ernst Jünger, Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg, legte mit seinem bekanntesten Buch "In Stahlgewittern" den Grundstein für diesen zwiespältigen Ruhm. Kalt sei es, und in aller Kälte brillant. Heute nun erscheinen die Kriegstagebücher 1914 bis 1918 von Ernst Jünger, also sozusagen das Rohmaterial für die spätere geschliffene Form. Und aus diesem Anlass sind wir verbunden mit dem Publizisten Heinz Ludwig Arnold, der zeitweise Sekretär von Ernst Jünger war. Schönen guten Morgen, Herr Arnold!

Heinz Ludwig Arnold: Guten Morgen, Frau Timm!

Timm: Herr Arnold, bumm, bumm, bauz, bauz, oder auch ein anderes Zitat, "die Feldküche kam angewackelt und brachte einen Scheißfraß" – solche Worte aus den Kriegstagebüchern haben in das Werk des späteren Schriftstellers nicht hineingefunden. Sind das die Worte eines, ja, 19-jährigen Jungspunds, für den der ganze Krieg ein Abenteuer war?

Arnold: Na ja so was, was man in einem Tagebuch notiert dann im Krieg, muss ja dann nicht in den stilisierten Bericht eingehen. Aber die Frage nach dem Abenteuer, ja, es war vielleicht sogar die Fortsetzung eines Abenteuers. Jünger ist ja aus dem Elternhaus ausgebrochen in die Fremdenlegion, um endlich aus diesem wilhelminischen Mief rauszukommen, und hat das ja in einem seiner schönsten Bücher beschrieben, in den "Afrikanischen Spielen". Der Krieg, den hat er dann, als er in ihn zog, begrüßt als gewaltige Schule, aus der die jungen Männer gekräftigt herauskamen. Das war so damals die Ideologie. Aber sicher ist bei Jünger keine militärisch-soldatische Komponente besonders stark, sondern Jünger hat sich immer als Krieger, als Kämpfer empfunden, eben nicht als einen Soldat. Aber das Abenteuer, das sieht man in diesen Tagebüchern sehr, das war schon sehr präsent.

Timm: Ich zitiere noch mal was, Herr Arnold: "Die Stimmung war fidel" oder auch "Der Anblick der von Granaten Zerissenen hat mich vollkommen kalt gelassen." Das sind Worte, die jeden einigermaßen friedliebenden Menschen schwer auf die Palme bringen. Hatte Jünger eigentlich je Abscheu vor dem Krieg, Kritik?

Arnold: Ja, er nicht, weil er ihn ja als Bewährung begriffen hatte. Und er schrieb immerhin am 25.04., ich hab mir das mal jetzt für den Anlass rausgesucht, 1915 angesichts einer Gruppe getöteter und verwester Franzosen: "Es war ein unheimlicher, schauerlicher Totentanz, wie ihn schlimmer keine mittelalterliche Fantasie hätte erfinden können". Also er reflektierte schon das Ganze, aber immerhin, das charakterisiert ihn, das ist keine Selbststilisierung, glaube ich, wenn man ihn kennt, sondern das war so. Er war mutig, wenn er sich so im Kugelhagel eine Zigarette anzündet, dann wollte er damit seine Leute beruhigen.

Auf der anderen Seite, es gibt das, da zieht er sich die Gasmaske auf, setzt sich an den Grabenrand und liest Gedichte von Droste-Hülshoff. Also es war schon immer was von dem, was gesagt wurde, Ästhetisierung seiner eigenen Rolle dabei, wenn er, sagen wir mal jetzt sehr drastisch, in der Scheiße lag. Was er ja auch so formuliert hat.

Timm: Aber es ist auch mächtig verquer, Sie brachten eben die Zigarette als Stichwort: Es steht auch drin, dass er sich am liebsten eine Zigarettenspitze aus zwei Menschenknochen geschnitzt hätte. – Da wird einem doch schlecht?

Arnold: Ja, allerdings. Aber das war eben damals so, dieser Krieg hat die Leute ja zerfetzt. Und so, wie Jünger in den Krieg hineingegangen ist, ist er ja auch nicht herausgekommen. Das muss man ja sagen. Er wurde dann ja auch zu einem Schriftsteller. Das kann man, vielleicht muss man nicht unbedingt sagen, dass er den Krieg nur ästhetisiert hat, er hat ihn, er hat sich einfach an ihm abgearbeitet.

Timm: Und Deutschland hat sich Jahrzehnte lang an Ernst Jünger abgearbeitet, weil es eben diese beiden Seiten gibt: den Kriegsschilderer, der alles Menschliche doch sehr eiskalt außer Acht lässt, und den Stilisten, der in den 80er-Jahren insbesondere auch Linksintellektuelle begeistert hat für seine kulturkritischen Schriften. Wie ging denn überhaupt dieser Übergang vonstatten vom, ja vom furchtlosen Haudegen zum Schriftsteller, dem man zumindest die Anerkennung niemals verweigern kann?

Arnold: Nein ich sagte ja: Der hat sich in fünf Berichten in Kriegsbüchern am Krieg im wahrsten Sinne des Wortes abgearbeitet, "Stahlgewitter", "Wäldchen 125" und so weiter. Sein widerlichstes Buch für mich ist die Ideologie in "Der Kampf als inneres Erlebnis". Das finde ich nun wirklich abstoßenswert, aber die anderen Bücher sind wirklich die Versuche neutraler Berichte. Nur: Das, was vor 100 Jahren oder 90 Jahren geschrieben worden ist, können wir heute nach zwei Weltkriegen in dem Sinne wirklich nicht mehr wahrnehmen, das ist ganz klar. Aber für ihn selbst war dieser neutrale Bericht – anders als dann der Bericht aus dem Zweiten Weltkrieg, das waren ja Tagebücher –, sondern dieser quasi neutrale Bericht war eine Möglichkeit, sich zu distanzieren, aber es genau so darzustellen, wie er es empfunden hat.

Und das wurde ja von den Gegnern, von den Franzosen, die das später nach '18 gelesen ha ..., also nach 20, als es erschienen war, gelesen haben, von, sogar von den Briten, die zu Jünger nie ein gutes Verhältnis hatten, sehr geschätzt. Und sogar Erich Maria Remarque hat Jüngers "Stahlgewitter" geschätzt und positiv rezensiert. Aber in seinem eigenen Buch – "Im Westen nichts Neues" –, der ja auch den Krieg dargestellt hat, hat er genau das Gegenteil hineininterpretiert, oder seine Interpretation war ganz anders.

Jünger schrieb: Der Krieg hat die Generation der Jungen gestählt. Und Remarque schrieb: Der Krieg hat diese Generation zerstört. Und dieser Riss geht bis heute durch. Und man hat dieses, das man heute empfindet, dass der Krieg die Generationen zerstört, ist unsere Empfindung heute durch diese Erfahrung von zwei Weltkriegen. Das war damals die Jüngersche Erfahrung, dass angeblich, angeblich dieser Krieg die Jugend gestählt habe.

Timm: Sie haben mit 26 Jahren in den 60ern zum ersten Mal über Ernst Jünger geschrieben. Was hat Sie denn an ihm so fasziniert?

Arnold: Na ja, ich kam aus einem autoritären Elternhaus, er war für mich als 18-, 19-Jährigen eine Vaterfigur. Und ich las ihn, fing an allerdings auch mit den "Afrikanischen Spielen", das ist ein Buch, was aus dem Elternhaus rausführt. Und das war dann das Merkwürdige, dass ich dann … in der Schule unterstützt wurde, ich hatte einen Lehrer, der Jünger schätzte. Und dann wurde ich eingezogen zum Wehrdienst. Und ich hab dann gedacht, der Jünger, der hat zwei Weltkriege, der muss doch die Schnauze voll haben jetzt vom Krieg, und hab an Jünger geschrieben, was er denn davon hielte, wenn ich den Wehrdienst verweigern wollte. Das war 1959, also das war ein paar Jahre nach Gründung der Bundeswehr, da war es noch nicht üblich, dass man den Wehrdienst verweigerte.

Er schrieb mir nicht persönlich zurück, sondern seine Frau schrieb mir einen sehr langen Brief, einen wunderbaren Brief, in dem aber der Kern war, dass Jünger natürlich selbstverständlich auch heute seinen Wehrdienst leisten würde, wenn er in meinem Alter wäre.

Aber ich lernte ihn natürlich dann sehr nah kennen über Albert von Schirnding, der sein Sekretarius gewesen war, der das nicht mehr machen konnte, dann rückte ich da auf und ich war eben dann sein Feriensekretär. Mich zog es einfach in die Literatur. Ich hab dann aus dem Hause Jünger heraus quasi meine ... mit 22 Jahren meine Zeitschrift "text + kritik" gegründet, hatte Bücher übersetzt und herausgegeben, und saß an einer langweiligen Dissertation.

Da faszinierte es mich, über Jünger eine kleine Biografie zu schreiben, auch um mit dem Stoff und mit diesem Werk fertig zu werden. Denn damals als 26-Jähriger war ich im Grunde schon über Jünger hinaus, war in andere literarische Werke versenkt oder hatte mich mit denen auseinander ... Hans Henny Jahnn zum Beispiel, nicht, und der steht nun wirklich auf der ganz anderen Skala des Literarischen.

Timm: Heinz Ludwig Arnold, Sie waren in den 60er-Jahren so was wie sein Feriensekretär. Das muss doch eine interessante Beziehung gewesen sein: Ein junger Mann, nicht unkritisch, aber verehrend, und dieser Haudegen – wie war das, mit ihm zusammenzuarbeiten, wie haben Sie ihn erlebt?

Arnold: Also das war nicht in dem Sinne aufregend. Denn Jünger – das weiß man eben auch selten – war eher ein schüchterner, zurückhaltender, öffentlichkeitsscheuer Mann, und eher auch in sich gekehrt. Er war wohl distanziert, das muss man sagen, aber er war nicht kalt. Kalt wirkt er im Werk und darüber wurde ja geschrieben, Theweleit hat darüber geschrieben, Lethen hat darüber sehr intelligent geschrieben. Da im Werk wollte er die äußerste Distanz, weil er immer gesagt hat, ich kann mich doch hier nicht als Mitleidsmenschen darstellen, ich muss doch sagen, was ich sehe und wie schlimm diese Welt ist, und also muss ich so darüber streiten, ohne hinter jedem Satz solcher Beschreibung zu sagen, es tut mir leid.

Aber zum anderen – und über das, was ich eben gesagt hab, kann man ja durchaus streiten –, aber es gab überaus kindliche Züge auch. Also wir sind jeden Tag zwei, drei Stunden durch die Wilflinger Wälder gelaufen und wanderten da, und dann kamen wir in die Kiesgrube, machten da Feuerchen und schossen dem Steinbruch Felsen aus der Wand. Also und über die Erfolge solcher Wandschüsse, um so Felsen aus so einer Wand zu lösen, berichtete er mir dann auch immer in Briefen, wie weit er da gekommen war. Also das war schon auch sehr schön, muss ich sagen.

Timm: Lassen Sie uns noch mal zurückkommen zu den Kriegstagebüchern, die heute erscheinen. Ernst Jünger war ja jemand, der ständig neue Fassungen seiner Texte schrieb, sie immer weiter perfektioniert hat. Jetzt sind diese Kriegstagebücher ein sehr schnörkelloses, ein sehr martialisches Staccato, zudem versteht man darin durchaus den Krieg als Kick. Wäre er eigentlich ärgerlich über die Veröffentlichung seines Rohmaterials?

Arnold: Also da bin ich sicher, dass er das nicht wäre. Dafür war seine Frau dann zu sehr Philologin, um das nicht goutieren zu können. Ich würde fast sogar sagen, er wäre vielleicht sogar stolz darauf, dass man nun prüfen kann, wie sehr er sich als Autor, als bewusster Stilist, der er ja war, in den "Stahlgewittern" und fast in jeder Fassung stilistisch neu etwas erarbeitet hat. Und das Produkt, wenn man das erste Kapitel der zweiten Auflage – die erste Auflage, die hat ja sein Vater als Privatdruck finanziert, dann kam der Verlag Mittler und hat sie dann übernommen, die wurde aber schon bearbeitet –, wenn man das erste Kapitel mal nimmt und das erste Kapitel in der heute gängigen Fassung in den gesammelten Werken, da blieb kein Wort bei dem anderen fast.

Timm: Man hört ja auch bei Ihnen heraus, Herr Arnold, diese zwei Seiten des Schriftstellers, die sein Bild ja auch geprägt haben. Zum einen mal haben Sie am Anfang unseres Gesprächs Abscheu geäußert über Darstellungen vom Krieg, wo man sagen kann, ja wozu die Kunst? Und zum anderen hört man bei Ihnen Verehrung für den Schriftsteller ganz deutlich heraus. Wie ist das eigentlich: Diese frühen Kriegstagebücher, die ja nun sehr eindeutig einen jungen Soldaten zeigen, der ganz gerne morden geht. Finden Sie es eigentlich wichtig, dass die jetzt erschienen sind, oder würden Sie meinen, man hätte die auch versenken können?

Arnold: Also eins will ich noch ...

Timm: ... können ja auch in falsche Hände kommen ...

Arnold: ... ja, ja. – Nein, die können gar nicht in fal ... , die kann jeder lesen, dann kann er sehen, wie entsetzlich das war. Vor 100 Jahren liest sich das und schreibt sich das anders als heute, sag ich noch mal nach der Erfahrung. Aber gerne morden gegangen ist Jünger bestimmt nicht, aber es gab damals Situationen, wo sich die Gegner gegenübergelegen haben, sich erkannt haben – damals kannte, heute wird der Krieg anonym geführt, damals kannte man sich noch, die haben wirklich da die Engländer oder die Franzosen gegenübergelegen, haben versucht, sich gegenseitig abzuknallen aus fast sportiven Gründen. Das kann man, da kann man sich heut nur an den Kopf fassen!

Aber zurück – ich sagte das nur, weil Sie sagen, er geht gerne zum Morden. Nein, Jünger ist nie gern zum Morden gegangen, das war was anderes. Es wirkt heute so, aber das muss man differenzieren. Und das wäre vielleicht auch gerade der Grund, warum diese Bücher so interessant sind heute. Erst mal für die Philologen, das ist klar. Aber vielleicht auch für die Psychologen, die herausfinden wollen, wie so ein jugendliches Gehirn und ein jugendlicher Charakter im Krieg damals funktioniert hat. Das ist ja im literarisierten Bericht schon zu sehr stilisiert, und dafür gibt das viel Material her.

Timm: Der Publizist Heinz Ludwig Arnold zum heutigen Erscheinen der Kriegstagebücher 1914 bis 1918 von Ernst Jünger. Ich danke Ihnen ganz herzlich fürs Gespräch!

Arnold: Bitte sehr!