Sachbuch

Treusorgende Kuckucke und tolle Tauben

Ein Baßtölpel beim Brüten
Ein Baßtölpel beim Brüten © dpa/picture alliance/Hinrich Bäsemann
Von Susanne Harmsen · 03.05.2014
Der Ornithologe Josef H. Reichholf zeigt in seinem Buch mit viel Sachwissen auf, welche Wunderwesen Vögel sind. Ein Lesevergnügen auch für Laien.
Sie sind überall, kein Ort ist unerreichbar, sie leben am Südpol genauso wie auf dem Gipfel des Himalayas: Vögel sind Überlebenskünstler. Sie fressen was für andere giftig ist. Nisten, wo es unmöglich scheint. Umwandern die Welt im Jahresrhythmus. In seinem neusten Buch "Ornis" feiert Josef H. Reichholf jetzt diese Wunderwesen mit großer Begeisterung. Herausgekommen ist so ein Lesespaß – nicht nur für Ornithologen.
Denn was Josef H. Reichholf hier leicht verständlich erklärt, sucht man sonst in dicken Fachbüchern: Wie Vögel überhaupt fliegen können, warum sie Eier legen, welchen Sinn Prachtgefieder oder Gesangsrekorde haben. Fast schon nebenbei erklärt er Fragen, wie, was früher da war, Huhn oder Ei, und verlangt zudem keinerlei Vorkenntnisse von seinen Leserinnen und Lesern. Eigentlich ist es so wie immer, wenn dieser begnadete Wissenschaftler und Sachbuchautor zur Feder greift.
Der Autor räumt auf mit Vorurteilen
Mit seiner detaillierten Schilderung einzelner Arten und ihrer erstaunlichen Leistungen begeistert er so für die oft kleinen unscheinbaren Mitbewohner der Städte, Dörfer und Wälder. Amseln, Star und Schwalbe bekommen plötzlich eine ganz neue Bedeutung, werden wichtige Hauptfiguren im menschlichen Alltag. Augen auf, heißt es da. Und so lernt man, wie Vögle auf die Klimaerwärmung reagieren, wo man sie am besten ungestört beobachtet und warum so viele Vorurteile falsch sind.
Frau Kuckuck ist keine schlechte Mutter, wenn sie ihre Eier von anderen ausbrüten lässt. Vielmehr kann sie ihre Jungen gar nicht selbst großziehen, da die die giftigen Raupen noch gar nicht vertragen, die erwachsene Kuckucke hauptsächlich vertilgen. Und die als "fliegende Ratten" verfemten Tauben lobt Josef H. Reichholf, indem er von deren enormer Flug- und Orientierungsleistung berichtet sowie von ihrer Fähigkeit, selbst im Großstadtwinter noch Junge aufzuziehen.
Ein Buch, das vor Sachwissen strotzt
Wie schon in seinen früheren Büchern versteht der Vogelkundler es dabei, Zusammenhänge herzustellen: Brutverhalten, Ernährung, Federkleid einer Vogelart hängen eng mit dem jeweiligen Lebensumfeld zusammen. Das alles ist wichtig: Denn Hauptfeind Nummer eins für Reichholfs Lieblingstiere ist der Mensch. Von 10.000 Vogelarten weltweit ist jede achte heute vom Aussterben bedroht. Einige Hundert Arten sind schon ausgerottet. Und so gilt es die Vögle weltweit zu schützen. Aber das gelingt nur, wenn möglichst viele Menschen sich auskennen. Genau darum geht es dem engagierten Zoologen.
Und so strotzt dieses Buch vor Sachwissen. Josef H. Reichholf selbst leitete über dreißig Jahre die Sektion Ornithologie der Zoologischen Staatssammlung in München und lehrte Ornithologie an der Universität. "Ornis" ist damit so etwas wie die geballte Zusammenfassung seines gesamten Sachverstandes. Auch das ein Grund, sich über dieses Buch zu freuen.

Josef H. Reichholf: Ornis. Das Leben der Vögel

C.H.Beck Verlag, München 2014

272 Seiten 19,95 Euro

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