Stiftung Warentest

Geschmackloses Aromenrecht

Das Bild zeigt ein kleines Stück Voll-Nuss-Schokolade der Marke Ritter-Sport. Es liegt auf einer Verpackung der Schokoladentafel.
Die Stiftung Warentest hat den Prozess gegen Ritter Sport verloren. Stein des Anstoßes war dabei das Vanillearoma Piperonal, das die Warentester in der Voll-Nuss-Schokolade entdeckt hatten. © picture alliance / dpa
Von Udo Pollmer · 25.01.2014
Die Stiftung Warentest hat den Prozess gegen Ritter Sport verloren. Stein des Anstoßes war dabei das Vanillearoma Piperonal, das die Warentester in der Voll-Nuss-Schokolade entdeckt hatten. Die Warentester behaupteten, das verwendete Piperonal sei chemisch hergestellt im Gegensatz zur Angabe des Herstellers, der im Zutatenverzeichnis von ausschließlich natürlichen Aromen spricht. Aber was heißt das schon?
Aromen sollen so natürlich wie möglich sein. Als Nun-plus-ultra gelten Aromaextrakte. Doch in der Sprache der Lebensmitteljuristen bedeutet ein "natürlicher Extrakt" etwas anderes als dem gesunden Menschenverstand. Das neue Aromenrecht hat die Verballhornung der Begriffe auf die Spitze getrieben.
Aromaextrakte werden per Lösungsmittel aus natürlichen Ausgangsstoffen extrahiert. So die offizielle Version. Doch das Wort "Aromaextrakte" ist eine Extrawurst für die deutschen Hersteller - zur Verschleierung. In den anderen EU-Ländern heißt der Begriff korrekt "Aromazubereitung". Denn die Extrakte werden solange listenreich nachbearbeitet, bis das Aromaprofil auch wirklich "passt". Und was heißt schon "natürliche Ausgangsstoffe"?
Man nehme ganz natürliche Käsereste oder Fischüberbleibsel, versetze sie mit Enzymen - führe eine Art künstlichen Verderb durch - und extrahiere den entstandenen Duft. Die Deklaration lautet dann "Gorgonzola Destillat" oder "natürliches Heringsaroma". Viele Aromen wie Pfirsich, Nuss oder Bratkartoffel verdanken wir bekanntlich dem Fortschritt in Biotechnologie und Gentechnik.
Pfirsich aus Fermentationsbrühe
Die Deklaration von Extrakten aus genveränderten Mikroben lautet "Natürliche Aromastoffe", in Klammern steht vielleicht noch "Pfirsichgeschmack" dabei. Da auch dieser "Pfirsich" aus einer Fermentationsbrühe gefischt wurde, besteht die Versuchung, noch schnell das vertrauenserweckende Wort "Extrakt" hinein zu mogeln.
Ein "natürliches Erdbeer-Aroma" sollte zu mindestens 95 Prozent aus Erdbeeren stammen. Wie schön! So bleiben knapp 5 Prozent für andere Aromen. Und auf die kommt es an. Bleiben bei der Herstellung von Erdbeertorten die weniger hübschen Früchte und sonstige Erdbeerbestandteile übrig, könnte man sie ja, statt sie gleich in der Biotonne zu entsorgen, sorgfältig auslaugen.
Dieser "Extrakt" ist geschmacklich eher mausig. Aber mit einer Zugabe von ein paar Prozent Syntheseduft ist die typische Erdbeere gerettet. Auch wenn ein solches Vorgehen lebensmittelrechtlich durchaus fragwürdig ist, so ist der wirtschaftliche Vorteil enorm und wird, wie Untersuchungen zeigen, mit Erfolg ausgenutzt.
Stoffe, die nach bisherigem Recht "naturidentisch" waren, können sich bei geschickter Auslegung in neu gewonnener Natürlichkeit sonnen. Wird beispielsweise Vanillin synthetisch aus den Sulfitablaugen der Papierfabriken hergestellt und zur Abrundung mit Tonkabohnen-Extrakt versetzt, heißt der Mix nun "Vanille Aroma". Andererseits könnte die Bezeichnung "Vanille Aroma" auch für ein Aroma mit synthetischem Äthylvanillin gewählt werden.
Unter "Aroma" finden sich auch Geschmacksverstärker
Greift der Hersteller hingegen zu biotechnologischem Bazillen-Vanillegeschmack, dann wird es mutmaßlich als "natürliche Aromastoffe (Vanille)" auf den Etiketten auftauchen. Verwirrt? Keine Sorge, die vielen feinsinnigen juristischen Unterscheidungen sind analytisch kaum nachprüfbar. Das schützt die Hersteller vor einer Enttarnung durch Behörden oder Warentester.
Unsere Lebensmitteljuristen lassen nix anbrennen. Sie schütteln immer neue Definitionen aus ihren Ärmeln und beglücken damit die Kundschaft. Eine solche Neuerung ist die Möglichkeit angesichts der listigen Deklaration einfach nur "Aroma" draufzuschreiben. Klingt ehrlich - ist es aber nicht. Denn unter der Flagge "Aroma" firmieren inzwischen noch andere Stoffe - die Geschmacksverstärker.
Nachdem Glutamat ins Gerede kam, griffen viele Hersteller zum Hefeextrakt - sozusagen zu Glutamat in Grün - und schrieben winkeljuristisch korrekt drauf: "ohne den Zusatzstoff Glutamat". Seit sich das mit dem Hefeextrakt und seinem Gehalt an Glutamat herumgesprochen hat, steht auf einigen Produkten: "Ohne Hefeextrakt". Jetzt ist wieder Glutamat drin - aber diesmal deklariert als "Aroma" - was es nicht ist.
Wenn der alte Spontispruch "legal, illegal, scheißegal" auf etwas passt, dann auf das neue Aromenrecht. Mahlzeit!
Literatur:
Verordnung (EG) Nr. 1334/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über Aromen und bestimmte Lebensmittelzutaten mit Aromaeigenschaften zur Verwendung in und auf Lebensmitteln sowie zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1601/91 des Rates, der Verordnungen (EG) Nr. 2232/96 und (EG) Nr. 110/2008 und der Richtlinie 2000/13/EG
Haase-Aschoff K: Was ist ein "natürliches Erdbeeraroma". Lebensmittelchemie 2012; 66: 51
Reinheimer M et al: Biotechnologiche Erzeugung von hochwertigen Aromastoffen aus Nebenströmen der Lebensmittelindustrie. Lebensmittelchemie 2012; 66: 61
Oberlandesgericht Düsseldorf: Zur Bewertung eines Erdbeerjoghurts in einem Test der Stiftung Warentest als "mangelhaft" aufgrund einer fehlerhaften Deklaration mit "natürliches Erdbeeraroma". AZ I-14 U 173/11 vom 21. März 2012
Bomgardner MM: The sweet smell of microbes. Chemical Engineering News 25. 7. 2012: 25-29
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