Digitale Selbstbestimmung

Privatsphäre unter Druck

Joel Kjellgren, Facebooks Datenzentrumschef  im schwedischen Lapland, läuft durch die Serverräume.
Joel Kjellgren, Facebooks Datenzentrumschef im schwedischen Lapland, läuft durch die Serverräume. Das Unternehmen wird beim Thema Datenschutz häufig kritisiert. © AFP / JONATHAN NACKSTRAND
Von Ulrike Ackermann · 14.10.2014
Das Internet birgt große Chancen für die Freiheit, aber auch Gefahren, die unsere hart erkämpften Standards aus analoger Zeit aufzuweichen drohen, meint Ulrike Ackermann. Für ihren Schutz müssten wir uns immer neu auf Regeln verständigen.
Einst wurde das Internet als Reich der Freiheit gefeiert – entstanden ohne festen Plan, ohne maßgeblichen Eingriff der Regierungen und weltweit genutzt von Bürgern, die damit ganz neue Formen der Partizipation und demokratischen Kontrolle erlangen könnten. Vom Zugewinn individueller Souveränität war die Rede, die uns die neuen Technologien bescheren würden.
Doch inzwischen wird die Skepsis und Kritik immer lauter. Denn im Zuge der digitalen Revolution ist die über Jahrhunderte hart erkämpfte Privatsphäre – der Hort individueller Freiheit – gehörig unter Druck geraten.
Und das gleich von drei Seiten: von Seiten des Staates, der über seine Bürger so viel wie nur möglich wissen will, um als großer Sozialingenieur zu planen, zu schalten und zu walten und natürlich für ihre Sicherheit zu sorgen.
Spätestens seit dem Terroranschlag am 11. September 2001 in New York und Washington sind diese massiven Einschränkungen der Privatsphäre zu beobachten. Sie zeugen von einem längerfristigen Mentalitätswandel weg vom Wert der Freiheit und hin zum Wert der Sicherheit.
Doch auch die Internet-Monopolisten bringen die Privatsphäre in die Bredouille: denn Suchmaschinen, soziale Netzwerke, virtuelle Kaufhäuser wie Google, Facebook und Whatsapp, MySpace, YouTube, Ebay oder Amazon gründen ihr Geschäftsmodell gerade im Sammeln, Auswerten und Verkaufen der privaten Daten ihrer Nutzer.
Exhibitionismus und Voyeurismus zugleich
Und hier kommen wir zur dritten Seite, die die Privatsphäre unter Druck bringt: nämlich die User selbst, die für die Gratis-Nutzung der sozialen Netzwerke und Internet-Dienste munter ihre persönlichen Daten preisgeben. Mehr noch: Die Lust an der gegenseitigen Zurschaustellung der eigenen Biografie und des Alltagslebens ist Exhibitionismus und Voyeurismus zugleich.
Das eigene Zimmer, ehemals Rückzugsort und von niemanden einsehbar, oder private Parties werden gleichsam zur Bühne, die alle Welt betrachten soll. Diese zunehmend öffentliche Inszenierung des Privaten zeigt, wie sich das Verständnis von Privatsphäre selbst verändert.
Facebook-Chef Mark Zuckerberg ist schon länger der Meinung, Privatheit in der Moderne sei sowieso überbewertet. Stattdessen sind Partizipation und Transparenz die neuen Zauberwörter. Der Druck, alles transparent zu machen und offenzulegen, permanent sichtbar zu sein in der ständigen Kommunikation ist immens gestiegen.
Dauerbeobachtung wird zur Normalität. Nicht nur die gegenseitige soziale Kontrolle wächst, sondern auch der Wunsch, es den anderen gleichzutun. Die digitale Revolution beschert uns ganz neue Prozesse der Vergemeinschaftung, den Kollektivismus des Internets. Im Schwarm zu schwimmen, macht ganz offensichtlich Spaß.
Bewusstsein für digitale Selbstbestimmung schärfen
Also ist die digitale Revolution doch ein zerstörerisches Teufelwerk, das an die Grundlagen der abendländischen Kultur rührt, wie uns konservative und linke Kulturkritiker einreden wollen? Nein, natürlich nicht. Das World Wide Web birgt große Chancen für die Freiheit, aber zugleich Gefahren, die unsere hart erkämpften Freiheitsstandards aus analoger Zeit zu unterminieren drohen.
Es wird in Zukunft vor allem darum gehen, die Wahrnehmung und das Bewusstsein für die Möglichkeiten digitaler Selbstbestimmung zu schärfen: auf Seiten der Nutzer, also den Bürgern, ebenso wie bei den politischen Entscheidungsträgern und wirtschaftlichen Akteuren. In jedem Fall ist es in unserem je eigenen Ermessen, wie wir uns im Internet bewegen.
Um diese Freiheit ebenso zu schützen wie die Potenziale eines freien Internets, brauchen wir Regeln – über die wir uns immer wieder neu verständigen müssen. Aber die Privatsphäre als kreativer Raum für Eigensinn und Lebensexperimente, jenseits sozialer Kontrolle, sollten wir uns auf keinen Fall abspenstig machen lassen!
Ulrike Ackermann
Ulrike Ackermann© privat
Dr. Ulrike Ackermann, geb. 1957, Studium der Politik, Soziologie und Neueren Deutschen Philologie in Frankfurt/Main., ab 1977 Zusammenarbeit mit der Charta 77, dem polnischen KOR, der Solidarnosc und anderen Bürgerrechtsbewegungen in Ostmitteleuropa. Sie war verantwortliche Redakteurin der "Frankfurter Hefte/Neue Gesellschaft", wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hamburger Institut für Sozialforschung, Gründerin und Leiterin des Europäischen Forums an der Berlin-Brandenburgischen Akademie für Wissenschaften. Ulrike Ackermann ist Direktorin des John Stuart Mill Instituts für Freiheitsforschung und Professorin für Politikwissenschaften an der SRH Hochschule Heidelberg. Buchveröffentlichungen: "Sündenfall der Intellektuellen", "Versuchung Europa", "Welche Freiheit. Plädoyer für eine offene Gesellschaft", "Eros der Freiheit. Plädoyer für eine radikale Aufklärung".
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