Steuergelder für die Forschung in Unternehmen

Kleiner Einsatz, große Früchte

Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD)
Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) © picture alliance / dpa / Swen Pförtner
Stephan Weil im Gespräch mit Dieter Kassel · 21.09.2016
Das Land Niedersachsen will dafür sorgen, dass die Forschung in kleinen und mittleren Unternehmen künftig auch mit Steuergeldern finanziert wird. Das sei im gesamtwirtschaftlichen Interesse, sagte Ministerpräsident Stephan Weil.
Auf Initiative des Landes Niedersachsen drängt der Bundesrat darauf, dass die Forschung in kleinen und mittleren Unternehmen künftig auch mit Steuergeldern finanziert wird.
Warum aber soll der Steuerzahler die Entwicklung von Produkten finanzieren, mit denen die Unternehmen dann später Gewinne machen?
Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil sagte dazu im Deutschlandradio Kultur, die Politik sehe mit Sorge, dass es in kleinen und mittleren Unternehmen zu wenig Investitionen in die Zukunft gebe.

Forschungsförderung kann zu mehr Steuereinnahmen führen

Man wolle nun Anreize dafür setzen, dass mehr Zukunftskonzepte entwickelt würden. Das sei in den allermeisten europäischen Ländern inzwischen gang und gäbe. Als beispielhaft stellte Weil die steuerliche Forschungsförderung in Österreich heraus.
Dass der Steuerzahler für Forschung und Entwicklung in der Privatwirtschaft zahlen soll, verteidigte Weil. Es gebe ein großes, gemeinsames Interesse aller daran, dass die Betriebe nicht nur heute erfolgreich seien, "sondern das auch in zehn oder zwanzig Jahren sein können".
Anreize für Zukunftskonzepte kosteten "nicht allzu viel Geld", trügen aber, "wenn es klappt", viele Früchte. Für Niedersachsen rechnet Weil mit einem "überschaubaren zweistelligen Millionenbetrag". Einiges davon komme dann später auch wieder über mehr Steuereinnahmen zurück. (ahe)

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Der Bundesrat, also das Ländergremium hat eine Initiative angenommen, die auf die niedersächsische Landesregierung zurückgeht. Eine Initiative, die vorsieht, die Forschung und Entwicklung in privaten Unternehmen, zumindest in kleinen und mittleren, künftig durch Steuergelder zu forschen. Wie erwähnt, das Ganze ist natürlich noch nicht beschlossen, es muss jetzt den Bundestag noch beschäftigen, aber es geht zurück auf eine Initiative der niedersächsischen Landesregierung. Deshalb wollen wir über diese Pläne jetzt mit dem Ministerpräsidenten von Niedersachsen, dem SPD-Politiker Stephan Weil sprechen. Einen schönen guten Morgen, Herr Ministerpräsident!
Stephan Weil: Guten Morgen!
Kassel: Die Kosten für Forschung und Entwicklung muss ja eigentlich ein privates Unternehmen selber aufbringen. Das ist ein selbstverständlicher Teil der Gesamtkalkulation. Warum gehen Sie denn offenbar davon aus, dass zumindest einige Unternehmen in Deutschland das schlicht nicht können?
Weil: Jedenfalls passiert es nicht. Wir sehen mit einer gewissen Sorge, dass wir gerade bei kleineren und mittleren Unternehmen zu wenig Investition in die Zukunft derzeit haben, und zwar schon seit etlichen Jahren. Das gilt nicht für die großen Unternehmen. Die wissen, was sie wollen, und die investieren auch. Aber bei kleineren und mittleren, da gibt es eine spürbare Zurückhaltung und das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass innerhalb dieser Unternehmen zu wenig getan wird, um Konzepte für die Zukunft zu entwickeln. Und dafür Anreize zu setzen, das ist eigentlich in den allermeisten europäischen Ländern gang und gäbe, in Deutschland nicht und ich glaube, wir müssen das auch machen.
Kassel: Ist das Problem denn in Niedersachsen besonders groß oder warum ging die Initiative ausgerechnet von Hannover aus?
Weil: Nein, das ist in Niedersachsen nicht größer und nicht kleiner als in anderen Bundesländern, aber es ist groß genug. Wir stehen in einem sehr engen Austausch mit unserer Wirtschaft und es fällt eben tatsächlich auf, diese Diskrepanz zwischen dem Investitionsverhalten großer Unternehmen und kleinerer und mittlerer. Es mag dafür auch Gründe geben.
Also, viele kleinere und mittlere Unternehmen sind zum Beispiel noch nicht wirklich sicher, wie gehen sie eigentlich mit der Digitalisierung um. Diesen Sprung werden sie aber gehen müssen, weil, die Digitalisierung wird eben die Wirtschaft der Zukunft mit Sicherheit prägen, dafür muss man investieren. Aber dafür braucht man Konzepte, und dafür anzuregen, das muss wirklich auch als staatliche Aufgabe angesehen werden.
Kassel: Bevor wir über das Für und Wider noch ein bisschen mehr natürlich miteinander diskutieren, wie genau soll das denn aussehen, wenn diese Initiative irgendwann mal wirklich Gesetz wird?
Weil: Wir haben uns gedacht, wir müssen ja eigentlich nicht das Rad von vorne erfinden, sondern uns angeschaut, was passiert in anderen europäischen Nachbarländern. In Österreich zum Beispiel hat man ein sehr kluges Konzept entwickelt, das in den letzten Jahren auch spürbar Erfolg hatte, sagt: Was heißt Forschung und Entwicklung? Das sind typischerweise Personalausgaben, denn Forschung und Entwicklung wird immer noch von Menschen betrieben.
Zehn Prozent dieser Ausgaben, die können als Forschungsprämie geltend gemacht werden, wenn zuvor bestätigt worden ist von einer vom Staat beauftragten Agentur, ja, das hat wirklich innovativen Charakter. Und dann kann man diese Prämie auch sehr schnell kassenwirksam machen, indem man sie nämlich mit dem Lohnsteuervorabzug verrechnet. Und das ist ein relativ bürokratiearmes, effektives System, das dazu geführt hat, dass zum Beispiel der Anteil von Forschung und Entwicklung bei kleineren Unternehmen in Österreich doppelt so stark gestiegen ist in den letzten zehn Jahren wie in Deutschland, und daran können wir uns ein Beispiel nehmen.
Kassel: Ja, aber es klingt für mich doch ein bisschen nach der Methode: Die Entwicklung neuer Techniken und neuer Produkte, die bezahlen wir alle, aber wenn sie dann entwickelt wurden, sind wir an den Gewinnen ja nicht mehr beteiligt, das machen dann die Firmen allein.
Weil: Na ja, wir reden erst mal nur über zehn Prozent, nicht über die anderen 90 Prozent. Und auch von den 100 Prozent, die es dann insgesamt ausmachen, profitiert ja am Ende die Gesellschaft. Die große Mehrzahl von Arbeitsplätzen ist ja nicht eben bei den Großkonzernen, sondern die ist bei den vielen Tausend kleineren und mittleren Unternehmen. Die werden aber auch vor einem deutlichen Wandel in die Zukunft stehen.
Ich sage noch einmal, dieses Stichwort Wirtschaft 4.0, das markiert wirklich einen grundlegenden Wandel in der Wirtschaft. Und wenn wir unseren Erfolg behalten wollen in Deutschland, dann müssen wir auch zusehen, dass vor allen Dingen auch die kleineren und mittleren Unternehmen dabei sind. Das meine ich übrigens damit, das sind Unternehmen bis zu 250 Beschäftigten, das ist so eine Definition der Europäischen Union, und das soll eben gerade eben dafür sorgen, dass wir nicht Mitnahmeeffekte haben von großen Unternehmen, die das alles sehr gut selbst stemmen können.
Kassel: Was aber durchaus eine Sorge ist, die ich mir mache. Ich meine, wie wollen Sie denn kontrollieren, dass da nicht irgendein großes Unternehmen mal flott eine neue Tochter gründet, die exakt 249 Mitarbeiter hat?
Weil: Dafür ist wahrscheinlich, steht wiederum diese Beihilfe nicht wirklich. Wir haben an dieser Stelle ja schon eine Reihe von Grenzen eingezogen, ganz abgesehen davon, dass solche Umgehungstatbestände dann auch wiederum natürlich die Steuerbehörden mit auf den Plan ruft. Also, diese Gefahr ist nach den Erfahrungen, die unsere österreichischen Nachbarn gemacht haben, in einer ganzen Reihe von Jahren eigentlich nicht gegeben, im Gegenteil. In Österreich hat man jetzt daraus die Schlussfolgerung gezogen, das war so erfolgreich, wir wollen das erweitern. Aber wir sollten in Deutschland erst mal den ersten Schritt tun.
Kassel: Ja, aber es stellt sich trotzdem immer noch eine Grundfrage: Es gibt ja immer wieder Geschäftsmodelle in der eigentlich freien Wirtschaft, die nur funktionieren, weil der Staat unterstützt. Zum Beispiel, wenn kleinere Betriebe Löhne zahlen, von dem man eigentlich nicht leben kann. Haben wir ein bisschen in den Griff bekommen jetzt durch den Mindestlohn, aber noch nicht komplett. Wenn nun aber ein Unternehmen – und darum geht es doch im Kern – die Mitarbeiter, die es für Forschung und Entwicklung bräuchte, nicht kriegt, weil es mit dem Weltmarkt und mit den Großen konkurrieren muss und weil es die richtigen Mitarbeiter am Ende nicht bezahlen kann: Streng genommen ist das in der freien Wirtschaft doch schlicht unternehmerisches Versagen. Warum ist das eine Angelegenheit der Steuerzahler?
Weil: Weil wir ein großes volkswirtschaftliches, ein gemeinsames Interesse daran haben, dass viele kleinere und mittlere Unternehmen auch nicht nur heute erfolgreich sind, sondern das auch in zehn oder 20 Jahren sein können. Die großen Unternehmen, die können sich in vielen Fällen wirklich selbst helfen, die haben ihre Spezialisten, die wissen auch, mit welchen Partnern aus der Wissenschaft sie Kontakt aufnehmen müssen, um die richtigen Konzepte für die Zukunft zu entwickeln. Bei kleineren und mittleren Unternehmen, da ist da häufig eine Sperre.
Und dafür Anreize zu setzen, das ist – das darf ich noch mal sagen – international die Regel und nicht die Ausnahme. Die Ausnahme ist das bisherige Verhalten bei uns in Deutschland, wo wir sagen, das ist Sache der Unternehmen, das interessiert den Staat nicht. Das war so lange vertretbar, wie man einfach sehen konnte, ja, die Investitionen, die funktionieren ja trotzdem sowohl bei den großen wie bei den kleinen Unternehmen. Das ist aber jetzt schon seit einer ganzen Reihe von Jahren nicht der Fall. Wir sehen deutlich, dass sich das Investitionsverhalten abkoppelt, und ein großer Erfolgsfaktor der deutschen Wirtschaft ist wirklich die Dezentralität, sind viele kleine innovative und mittlere Unternehmen. Und die sollten wir auch wirklich weiterentwickeln helfen.
Kassel: Aber ein Problem der deutschen Wirtschaft – das gibt sie manchmal ja auch zu – ist, dass jahrzehntelang ziemlich wenig Wert auf Nachwuchsförderung und Ausbildung gelegt wurde und dass man sich jetzt für Wissenschaft und Entwicklung unter anderem Leute holen muss, die man selber eben nicht herangezogen hat. Glauben Sie, dass das besser wird durch solche steuerliche Unterstützung?
Weil: Mindestens wollen wir dafür Anreize geben. Ein Patentrezept ist das natürlich nicht und dafür sind die unterschiedlichen Fallkonstellationen ja auch viel zu vielfältig. Aber es ist nach den Erfahrungen, die man andernorts gemacht hat, wirklich ein Anreiz. Übrigens ein Anreiz, der nicht im Vergleich mit vielen anderen Maßnahmen der Wirtschaftsförderung allzu viel Geld kostet, aber, wenn es klappt, ziemlich viele Früchte trägt. Und deswegen, glaube ich, kann man das wirklich gut machen. Ich habe mich sehr gefreut, dass es uns gelungen ist, die große Mehrzahl der anderen Bundesländer für diesen Vorschlag zu gewinnen, und jetzt hat sich auch das Bündnis für Industrie, das insbesondere von der Bundesregierung ausgegangen ist, dem angeschlossen. Also, diese Idee scheint zunehmend Anhänger zu finden.
Kassel: Die letzte Frage haben Sie jetzt selbst provoziert, Herr Weil: Haben Sie sich schon mal durchgerechnet, was das theoretisch kosten würde?
Weil: Ja, natürlich. Wir haben unter anderem einen strengen Finanzminister. Wenn ich mir die Frage nicht stellen würde, er würde sie spätestens stellen. Das ist ein sehr überschaubarer zweistelliger Millionenbetrag für Niedersachsen und das, glauben wir, ist gut angelegtes Geld. Denn wir rechnen darauf, dass in späteren Jahren über Steuermehreinnahmen dann auch vieles davon wieder zurückkommt.
Kassel: Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil über eine Initiative, die von seinem Bundesland ausging, inzwischen den Bundesrat passiert hat und die dafür sorgen soll, dass bald Forschung und Entwicklung in kleinen und mittleren Unternehmen zumindest teilweise auch durch Steuergelder finanziert wird. Herr Weil, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Weil: Bitte schön, tschüs!
Kassel: Tschüs!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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