Steuerdiskussion "geht an der Realität vorbei"

Moderation: Hanns Ostermann · 19.05.2008
Der Hauptgeschäftsführer des Deutsche Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, hat die Bundesregierung zu einer nachhaltigen Finanzpolitik aufgefordert. Der Schuldenberg müsse zunächst abgebaut werden, um mehr Investitionen in die Bildung und die Infrastruktur tätigen zu können, sagte Landsberg.
Hanns Ostermann: Die Debatte geht weiter und weiter und weiter. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel derzeit keinen Spielraum für Steuersenkungen sieht, reißen die Forderungen nicht ab. Immer wieder melden sich Bundestagsabgeordnete der Großen Koalition und plädieren dafür, wir müssen die Bürger entlasten. Auch wenn die Konsolidierung des Haushalts Vorrang hat, Arbeiter, Handwerker und Angestellte brauchen einen größeren finanziellen Spielraum. So sinngemäß Laurenz Meyer, der frühere Generalsekretär der CDU. Keine Frage, jeder von uns hätte ja gerne mehr Geld in der Tasche, aber was würde das für die öffentliche Hand bedeuten? Darüber möchte ich mit Gerd Landsberg sprechen. Er ist Geschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Guten Morgen. Sie vertreten um die 12.000 Städte und Gemeinden mit mehr als 47 Millionen Einwohnern. Sparen um jeden Preis oder den Gürtel doch etwas lockern? Welcher Weg ist richtig?

Gerd Landsberg: Dass wir vom Sparen um jeden Preis meilenweit entfernt sind und dass die Diskussion, so wie sie jetzt geführt wird, zu sprudelnden Steuerquellen an der Realität vorbeigeht. Bund, Länder und Kommunen sind mit 1,5 Billionen, das sind 1500 Milliarden verschuldet. Und wir zahlen für diese Schulden nur an Zinsen jährlich 70 Milliarden. Und wenn wir jemanden entlasten müssen, dann sind es aus meiner Sicht unsere Kinder und Enkel, denn denen werden wir diesen Riesenschuldenberg und diese jährliche Belastung sozusagen vererben und von denen werden wir auch noch erwarten, dass sie unser Rentnerdasein entsprechend erarbeiten. Und ich denke, darauf müssen wir uns fokussieren. Und wenn uns ein echter Schuldenabbau gelingt, dann haben wir natürlich Spielraum für mehr Bildung und Infrastruktur, bessere Gesundheitsversorgung und auch Entlastungen. Nur, die Diskussion, wie sie jetzt geführt wird, die sieht gar nicht, dass wir immer neue Schulden machen. Der Bund macht in diesem Jahr 19 Milliarden zusätzliche Schulden. Und vom Schuldenabbau der Altschulden, da spricht niemand. Und deswegen, glaube ich, brauchen wir eine andere Diskussion, auch eine nachhaltige Finanzpolitik. Man kann das ein bisschen auch mit der Umweltpolitik vergleichen. Klimaschutz, wenn Sie das was machen wollen, das schaffen Sie nicht in einer Legislaturperiode, da müssen Sie in Jahrzehnten denken.

Ostermann Nachhaltigkeit ist ein Stichwort. Wenn jetzt der Armutsbericht vorgelegt wird, heute vom Bundesarbeitsminister, bestätigt das in etwa Ihre Position oder wäre das nicht ein Argument dafür, dass wir in der Tat in bestimmte Bereiche investieren müssen?

Landsberg: Ja, zunächst mal, diese 13 Prozent der Bevölkerung, die der Armutsbericht als arm bezeichnet, denen nützt natürlich eine Steuerentlastung überhaupt nichts, denn die zahlen keine Steuern. Auch da vielleicht auch mal zwei Zahlen. Wir haben zirka 40 Millionen Haushalte in Deutschland, von denen zahlen überhaupt nur 23 Millionen Steuern. Wenn wir diesen Menschen helfen wollen, dann dürfen wir uns eben nicht darauf beschränken, Sozialtransfers zu organisieren, was wir ja schon tun, allein die Kommunen 40 Milliarden Sozialleistungen, der Bund für Arbeit und Soziales 124 Milliarden. Sondern wir helfen denen mit besserer Bildung, besserer Ausbildung und mit Arbeit. Und es ist völlig unstreitig, dass Bildung der Standortfaktor für Deutschlands Zukunft ist. Nicht nur, dass die Unternehmen jetzt Nachwuchs brauchen, der qualifiziert ist. Wir müssen allen Menschen eine Lebensperspektive geben. Wir müssen Integration fördern, den sozialen Zusammenhalt.

Ostermann: Herr Landsberg, und wir müssen aber auch jetzt helfen.

Landsberg: Wir müssen jetzt helfen. Deswegen sage ich, wir müssen jetzt nicht noch mehr an Geld zurückgeben, obwohl sich das jeder wünscht, sondern wir müssen mehr in Bildung investieren, in Infrastruktur, um den Menschen eine Chance zu geben. Man muss auch, sozusagen fast zur Ehrenrettung der Bundesregierung, sagen, dass ja eine ganze Menge auch zur Entlastung der Menschen organisiert worden ist. Ich will mal ein paar Beispiele nennen. Reduzierung der Arbeitslosenversicherung, nützt allen, die arbeiten, Arbeitgeber, Arbeitnehmer, 13 Milliarden, Elterngeld, Verlängerung des Arbeitslosengeldes I, Unternehmenssteuer von 20 Milliarden. Auch das nützt den Menschen, wenn es den Unternehmen besser geht. Wir werden ganz sicher, das hat das Verfassungsgericht gesagt, demnächst unsere Krankenkassenbeiträge von der Steuer absetzen können, 13 Milliarden. Das Existenzminimum wird sicherlich im Herbst erhöht werden, wenn der Bericht vorliegt. Es ist nicht so, dass der Staat die Menschen immer nur zusätzlich belastet hat in der letzten Zeit.

Ostermann: Wenn trotzdem, nicht zuletzt auch von der CSU, aber mittlerweile von Politikern aller Parteien immer wieder von relativ sprudelnden Steuereinnahmen gesprochen wird, was kommt bei Ihnen eigentlich, was kommt bei den Städten und Kommunen überhaupt an?

Landsberg: Für die Städte und Kommunen kann ich sagen, dass es uns natürlich deutlich besser geht als in den letzten Jahren. Die Gewerbesteuer hat sich sehr positiv entwickelt. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass unsere Kassenkredite im letzten Jahr auf 29 Milliarden fast gestiegen sind. Das heißt, es gibt immer noch viele Städte, die müssen Kredite aufnehmen, um Personal zu bezahlen. Ich denke, die Bürger, die über ihre Wege, Plätze gehen, sich die Schulen anschauen, die sehen doch, wie hoch der Investitionsbedarf ist. Es gibt eine Berechnung des ifo-Institutes, die sagen, bis 2020 müssten die Kommunen, damit es optimal läuft, fast 700 Milliarden investieren, das werden wir natürlich nicht können, weil wir das Geld einfach nicht haben. Dass die Kommunen in einer interessanten Situation sind, um Geld zu verteilen, das kann ich nicht erkennen, und das erkennen auch die Bürger vor Ort nicht.

Ostermann: Herr Landsberg, bei der Verteilung des Steuerkuchens bei uns, in diesem unserem Lande, zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, werden Sie da eigentlich grundsätzlich ausreichend berücksichtigt?

Landsberg: Das ist ja ein ganz kompliziertes System, was selbst Fachleute kaum noch verstehen.

Ostermann: Versuchen Sie, es einfach zu erklären.

Landsberg: Ja, ich will ganz einfach sagen. Unser Hauptproblem ist nicht, dass wir zu wenig Steuereinnahmen haben, sondern dass es immer wieder Aufgaben gibt, die auf uns übertragen werden, ohne dass die Finanzierung stimmt. Wenn der Bund bestimmte Sozialleistungen erhöht, die Kommunen erbringen müssen, bekommt er dafür eben vom Bund kein Geld und häufig eben auch nicht von den Ländern. Und das ist das zentrale Problem. Häufig wird oben in Berlin, das gilt übrigens für Brüssel genauso gut, ist versprochen, und unten muss es nicht nur gemacht, sondern auch finanziert werden. Und diesen Spagat, den haben wir leider immer noch. Er ist ein bisschen besser geworden durch Föderalismusreform I. Aber von dem Idealzustand, dass jede staatliche Ebene mit dem Geld, was sie einnimmt, ihre Aufgaben auch erfüllen kann, da sind wir leider noch sehr weit entfernt.

Ostermann: Und man könnte daraus ja auch schließen, dass Ihnen möglicherweise die Lobby fehlt, oder worauf führen Sie das zurück?

Landsberg: Das ist natürlich üblich, dass den Letzten die Hunde beißen und im staatlichen Aufbau ist natürlich die Kommune sozusagen die letzte Ebene. Teilweise hat sich eben auch historisch so entwickelt. Und es gibt einen Riesenunterschied. Der Bund, das haben wir ja erlebt, der kann sich sehr schnell refinanzieren. Da wird die Mehrwertsteuer erhöht und schon sprudeln natürlich diese Quellen. Natürlich können Kommunen auch Gebühren anheben oder die Gewerbesteuerhebesätze, aber nicht in dem Umfang sich refinanzieren.

Ostermann: Bei der Hundesteuer würden Sie da erhebliche Probleme bekommen?

Landsberg: Das würden wir Probleme bekommen, und das wird das Problem auch nicht lösen, fürchte ich.

Ostermann: Gerd Landsberg war das, der Geschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Ich danke Ihnen für das Gespräch heute früh bei uns im Deutschlandradio Kultur.