Stereotype in deutschen Schulbüchern

Wenn Menschen in Afrika in Strohhütten leben

10:28 Minuten
Farblithographie von der Vorstellung eines afrikanischen Stammes
Diese Darstellung von 1905 diente dem Anschauungsunterricht für Kinder. Doch auch moderne Schulbücher zeigen noch stereotype Darstellungen. © AKG Images / Verlag Gebr. Künzli
Josephine Apraku im Gespräch mit Frank Meyer · 05.08.2020
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Rassismus ist in unserer Gesellschaft tief verwurzelt. Das hängt auch mit der Zeit des Kolonialismus zusammen. Dass sich daran nichts ändert, liegt auch an Inhalten deutscher Schulbücher, sagt Josephine Apraku. Und die Beispiele sind zahlreich.
Rassismus begegnet Schülern bereits in der Schule. Nicht nur auf dem Pausenhof, sondern sogar in den Schulbüchern. Die Afrika-Wissenschaftlerin Josephine Apraku sagt, in Bezug auf Rassismus sei es wichtig zu verstehen, dass sich Rassismus durch die Wiederholung rassistischer Stereotype in verschiedenen Schulfächern in den Köpfen verfestige.
Als Beispiele nennt sie ein gängiges Geschichtsbuch, in dem die Frage auftaucht, welche positiven Auswirkungen die deutsche Kolonialisierung auf dem afrikanischen Kontinent gehabt habe.
In einem Schulbuch für die 3. Klasse werde nahegelegt, dass Menschen in Afrika finanziell arm seien, vermeintlich in Strohhütten lebten und sich schulische Bildung nicht leisten können. Unter diesem Text werde die Frage an die Drittklässler gerichtet, warum sie es besser hätten, als der schwarze Junge, dessen Bild daneben gezeigt wird.

Kolonialherren brachten die Moderne

"Das spannende ist", sagt Apraku, "Rassismus funktioniert oft wie ein Lückentext". Die Aufgabe sei im Buch so dargestellt, dass man ein schwarzes Kind automatisch mit dem afrikanischen Kontinent assoziiert. Dabei könnte es auch ein Kind in Deutschland sein, das von Afrika erzählt.
In Teilen werde in Schulbüchern nach wie vor vermittel, dass Kolonialherren die Moderne in die Kolonien gebracht hätten, erläutert Apraku.
Zum Beispiel werde gesagt, dass Weiße die Schlafkrankheit auf dem afrikanischen Kontinent geheilt hätten. "Hier wird beispielsweise komplett verschwiegen, dass es natürlich Medikamententests gegeben hat auf dem afrikanischen Kontinent, aber diese Medikamententests waren in Deutschland zu der Zeit verboten, weil klar war, dass die Sterblichkeit hinsichtlich dieser Tests groß ist", schildert Apraku.
Das Thema Kolonialismus werde insgesamt als etwas behandelt, was in der Vergangenheit liege und mit unserer Gegenwart nichts mehr zu tun habe, dessen Auswirkungen sich in der Gegenwart auch nicht mehr zeigten. Vor dem Hintergrund, dass es im deutschen Schulsystem nach wie vor Schülerinnen und Schüler gebe, die täglich von Rassismus betroffen sind, sei dies aber zu hinterfragen.

Das Bewusstsein der Lehrkräfte sensibilisieren

Apraku fordert den Zusammenhang zwischen Rassismus und Kolonialismus herzustellen, um zu verstehen, wie der Rassismus der Gegenwart in Deutschland funktioniere.
Als Wissenschaftlerin werde sie gelegentlich von Schulbuchverlagen gebeten, das Thema Kolonialisierung und Rassismus anders und auch kritischer darzustellen. Ferner biete sie für Lehrerinnen und Lehrer Fortbildungen mit rassismuskritischer Perspektive an. Dabei komme es ihr darauf an, ein Bewusstsein für die im Unterricht verwendeten Materialien zu entwickeln.
Ein weiterer wichtiger Aspekt sei aber auch die eigene Haltung der Lehrerinnen und Lehrer. Die sei in Bezug auf Rassismus durchaus relevant. "Wir alle sind Teil des rassistischen Systems – auf unterschiedliche Art und Weise. Weiße Menschen profitieren von Rassismus und schwarze Menschen und Menschen of Color sind diskriminiert und machen Ausgrenzungserfahrungen. Und das ist das, was wir sehr stark bei Schulungen mitdenken", erzählt Apraku. Lehrkräfte sollten überlegen, welche Möglichkeiten sie haben, das Thema im Unterricht zu reflektieren.
(nis)
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