Sterben mit glücklichem Ausgang

25.02.2009
Die Gräber im alten Ägypten lagen außerhalb des fruchtbaren Niltales, in der Wüste, und die klimatischen Bedingungen dort waren optimal für die Erhaltung steinerner Schriftzeugnisse. Beispiele dieser sogenannten Totenliteratur haben der Heidelberger Ägyptologe Jan Assmann und seine Kollegin Andrea Kucharek in "Ägyptische Religion" neu übersetzt und ausführlich kommentiert.
Die ägyptischen Texte der Totenliteratur sind die ältesten religiösen Texte der Menschheit überhaupt. Diese Totenliturgien, Hymnen, Sprüche, Klagen und sogenannten Jenseitsführer stellen dar, wie die Menschen sich angesichts des Todes ins Verhältnis setzten zu den Mächten des Himmels und zu den Kräften, die sich ihrem Zugriff entzogen.

Sie sind Anleitung zum richtigen Leben und damit zu einem Sterben mit glücklichem Ausgang, um die Totenwüste oder Unterwelt mit ihren Gefahren zu meistern und das Jenseits zu erlangen. Während die sogenannten Totenliturgien zur Rezitation bestimmt waren und in die Welt der Lebenden gehörten, wurde das Innere der Grabstätten in einer magischen Geste mit Schrift gefüllt wie um den Verstorbenen "in eine permanente, wenn auch stumme Rezitation einzuhüllen" und die Heilswirkung der Riten "auf Dauer zu stellen". Später entstehen Texte als Ersatz des Gedächtnisses und als Lieferanten für das im Jenseits notwendige Wissen.

Die Übersetzer und Herausgeber, der emeritierte Heidelberger Ägyptologe Jan Assmann und seine Kollegin Andrea Kucharek präsentieren nicht nur eine breite Auswahl von Totenliteratur. In ihrem Kommentar liefern sie eine ebenso faszinierende wie knappe und allgemein verständliche Leseanleitung. Während die ausführlichen Stellenkommentare zu einzelnen Texten deren religiöse, philologische und kulturhistorische Dimension erschließen. Sie sprechen von einer "Urszene" des Totenkults.

Dem liegt, wie in vielen antiken mittelmeerischen Mysterien und auch im Christentum, die Idee eines sterbenden und wiederauferstehenden Gottes zugrunde. Für Ägypten ist es der von seinem Bruder zerstückelte Osiris. Die Schwestern Isis und Nephthys stellen den Körper wieder her, heilen die Körperseele, der Sohn Horus hat für eine Wiederherstellung der Sozialbeziehungen des Toten zu sorgen und damit für die Sozialseele.

In ihr realisiert sich die Verbundenheit von Diesseits und Jenseits, von Lebenden und Toten. Gilt dies zunächst ausschließlich für den verstorbenen Pharao, geht die Osiris-Rolle später auf jeden Toten über. "O, Osiris" ist dann auch die gängige Anrede für Verstorbene.

"Willkommen in Frieden, vollbringe eine gute Reise, damit ich dich in mich aufnehme!, sagt sie, die schöne Westgöttin, zu diesem Osiris (. . .)hier."

Der Tod gleicht Schlaf- und Bewusstlosigkeit, heißt auch Land des Mangels und der Finsternis. Das Leben wird als fragile, endliche Zeit, sogar als Traum begriffen:

"Es gibt kein Verweilen in Ägypten. Kein einziger ist, der nicht dorthin gelangte."

Über den langen Zeitraum von den ersten fixierten Texten 2500 v.Chr. bis in die Römerzeit lassen sich viele Akzentverschiebungen feststellen. Galt ursprünglich die göttliche Herkunft des Herrschers als Garant für seine himmlische Inthronisation, das heißt für seine Aufnahme in die Götterwelt, rückt später die moralische Würdigkeit des Einzelnen in den Vordergrund.

Da wird das Totengericht und das Wissen zum Bestehen der Prüfungen in der Unterwelt wichtig und damit auch eine Rechtfertigung des Lebens, eine Art negatives Sündenbekenntnis:

"Ich habe keinen Gott beleidigt. Ich habe kein Waisenkind an seinem Eigentum geschädigt. (. . .) Ich habe keinen Diener bei seinem Vorgesetzten verleumdet."

Das Jenseits erhält im volkstümlichen Glauben irdischere Züge, verbunden mit der Hoffnung auf eine Rückkehr in die Oberwelt. Nicht mehr nur der Stein ist Garant für Ewigkeit, auch Papyri übermitteln Totentexte. Die verklärende Macht des Wortes, der Sprache, ihre ungeheure Schöpfungswirkung - lebensspendend wie todbringend - verlangen Geheimhaltung und Schutzvorschriften. Und im Laufe von rund 3000 Jahren entsteht ein Abstand zwischen Göttersprache und Alltagssprache.

Diese Texte voller Wiederholungen und rätselhafter Bildkraft berühren als große Glaubenstexte ebenso wie durch ihre Weisheit, ihr Wissen um die Fragilität der menschlichen Existenz. Es sind großartige literarische Texte mit weiter Strahlkraft.

Wie fremd uns die magischen oder rituellen Vorkehrungen auch erscheinen, so sind etliche Motive doch erstaunlich nah. Jahrtausende alt, zeugen sie vom Sorgen und Ringen und Hadern der Menschen mit dem, was "danach" kommt und wie man sich befreien kann aus der Todeswelt: durch Wandlung, durch die Zauberkraft des Wortes, durch Rituale zur Aufhebung der Isolation. Dazu gehört unter anderem die Totenspeisung mit Götternahrung, die den sozialen Kontakt herstellt, die "Zugehörigkeit zu einer Versorgungsgemeinschaft" und nicht nur zufällig an christliche Rituale erinnert.

Von Barbara Wahlster

Jan Assmann/Andrea Kucharek (Hg): Ägyptische Religion. Totenliteratur
Verlag der Weltreligionen, Frankfurt und Leipzig 2008
948 Seiten, 42,00 Euro