Sterbe-Roman

Ohne Trauer in den Tod

04.11.2013
Rachel leidet an Leukämie, sie muss bald sterben. Ihr 17-jähriger Freund Greg und sein schräger Kumpel Earl können das nicht verhindern. Dennoch ist Jesse Andrews Roman alles andere als traurig. Er bietet vielmehr Komik pur: Bizarre Schilderungen des Highschool-Alltags und slapstickhafte Szenen aus dem Elternhaus der beiden Jungen.
Jugendliche müssen sterben, nicht nur in der Realität, sondern auch in der Jugendliteratur. Romane wie Sally Nicholls' "Wie man unsterblich wird" oder John Greens gefeiertes Buch "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" haben die Latte für dieses bittere Thema hoch gehängt. Auch in Jesse Andrews Debütroman wird Rachel an Leukämie sterben. Ihr 17-jähriger Freund Greg und dessen schräger Kumpel Earl können das auch mit ihren dummen Späßen nicht verhindern.
Greg, "käsig und moppelig", und Earl, schwarz und zynisch, kümmern sich nur notgedrungen um Rachel. Denn eigentlich wollen sie nur eines: Filme drehen mit der Handkamera. Greg ist ein aberwitziger, großkotziger, nerviger Erzähler. Einer, der nicht von Krankheit, Sterben, Abschied und Schmerzen berichtet, sondern permanent und fast schon zwanghaft die eigene Befindlichkeit reflektiert. Wie es Rachel wirklich geht, dass sie einverstanden ist mit dem Sterben, das verdrängt er mit tausend dummen Ideen und Sprüchen.
Andrew persifliert den typischen Sterbe-Roman
So ist diese Geschichte um ein sterbendes Mädchen alles andere als traurig. Jesse Andrews bietet vielmehr Komik pur: Bizarre Schilderungen des Highschool-Alltags und slapstickhafte Szenen aus dem überbehütenden beziehungsweise verwahrlosten Elternhaus der beiden Jungen, köstliche Schilderungen pubertärer Verwirrungen, Gregs blühende Fantasien und Filmparodien. Dazu kommen Nonsense-Dialoge, die mehr als salopp, nämlich großmäulig und "abgefuckt" sind und das Eklige kultivieren - und "Publikums-Beschimpfungen" vom feinsten: Greg schreib dieses "blöde" und "idiotische Buch" für mindestens ebenso "bescheuerte Leser" - um sich insgeheim Rachels Geschichte von der Seele zu reden.
Die Frage, ob man so über das Sterben schreiben darf, beantwortet sich von selbst. Denn nicht das Sterben, sondern das Leben, nicht Rachel, sondern "Ich und Earl" stehen im Mittelpunkt. Jesse Adrews stellt den Sterbe-Roman für und über Jugendliche auf den Kopf, persifliert und ironisiert ihn, bürstet Pathos, Mitleid, Rührung, aber auch echte Gefühle gegen den Strich. Mit einem vorlauten, großmäuligen Ton, hinter dem sich dann doch eine sensible Persönlichkeit versteckt. "Wenn das ein normales Buch über ein an Leukämie leidendes Mädchen wäre, würde ich wahrscheinlich…", sinniert Greg einmal.
Ein normales Buch ist dieses hier aber nicht: Es ist keine Kranken- oder Liebesgeschichte, sondern ein Roman über zwei schräge 17-Jährige, die schwer an ihren persönlichen Problemen schleppen. Gemeinsam ist ihnen ihre begeisterte Liebe zum Filmen. Dass der Film, den sie am Schluss für Rachel drehen, gar nichts mit ihr zu tun hat und nur einer über sie selbst ist, bemerken die beiden zu spät. Da ist Rachel schon tot. Wenn Greg aber doch etwas kapiert hat, dann, dass er sich nun bei einer Filmhochschule bewerben will, um irgendwann mal einen guten Streifen zu drehen.
Besprochen von Sylvia Schwab
Jesse Andrews: Ich und Earl und das sterbende Mädchen
Aus dem Amerikanischen von Ruth Keen
Heyne, München 2013 304 Seiten, 14.99 Euro
Ab 14 Jahren