Stempeln für Utopia in Nahost

Von Gerd Brendel · 19.07.2011
Touristen können sich am Checkpoint Charlie in Berlin zur Zeit nicht nur den Grenzübertritt zwischen DDR und BRD abstempeln lassen, sondern auch ein gefaktes Visum für Palästina bekommen. Khaled Jarrar stempelt im Rahmen einer Kunstaktion für einen unabhängigen Staat.
Checkpoint Charlie zwischen Berlin Mitte und Berlin Kreuzberg - da wo früher grimmige Grenzer eines der wenigen Löcher im Eisernen Vorhang kontrollierten, spielen heute Gelegenheitsjobber in Uniform mit den Touristen Kalte-Krieg-Folklore. Ein Bild mit einem GI vor dem nachgebauten Grenzhäuschen. Zwei Euro, ein Original-DDR-Passierschein vom Kostümsoldaten: 5 Euro. Daneben gibt es eine Menge Stempel aus der Vergangenheit:

"Wir haben hier noch die verschiedenen Grenzübergangsstempel und Sektorenstempel, die es in Berlin so gab …"

und

"… this stamp for the state of palestine ... if you like ... free of charge ... so you stamp a passport."

Moment: Ein Stempel für Palästina? Umsonst? Den Staat gab es noch nie und es gibt ihn auch nicht. Das soll sich allerdings bald ändern, wenn es nach dem Künstler Khaled Jarrar geht.

"Ich will, dass mein Land unabhängig wird, vielleicht lasse ich es dann hinter mir, aber zuerst brauchen wir die Unabhängigkeit, weil sie Freiheit bedeutet."

Khaled Jarrar stammt aus Jenin und wie Jesus hat er früher als Tischler in Nazareth gearbeitet. Später machte er eine Ausbildung zum Grafikdesigner. Zur Kunst kam er durch die politischen Umstände: Für seine erste Ausstellung fotografierte er den Alltag an den Grenzübergängen in der Westbank. Jetzt steht der Hüne in der Berliner Sommersonne und bietet den Touristen sein kostenloses Palästina-Visum an.

" and I would like to stamp your passport free of charge. Would be a pleasure."

Lisa aus Australien ist begeistert:

"Für mich war das ne symbolische Anerkennung."

Kathrin auch:

"Ich kenn auch viele Palästinenser, die hier leben und sich nicht frei bewegen können aufgrund ihres Passes, aufgrund ihrer nicht vorhandenen Staatsangehörigkeit, weil es keinen palästinensischen Staat gibt."

Nur Benedikt zögert noch:

"Dagegen spricht, dass ich selber viel reise."

Schließlich lässt er sich auch den bunten Stempel in seinen bundesdeutschen Pass drücken.

"Das ist ein symbolischer Akt um das anzuerkennen, was die Menschen verdienen, die sind da eingesperrt in nem Land, was offiziell nicht existiert – ne absurde Situation, in der die sich befinden."

Sogar einer israelischen Staatsbürgerin konnte Khaled schon sein Visum in den Pass stempeln:

"Und sie hat ihren Pass gerne stempeln lassen, weil sie weiß, dass die Mauer ein rassistisches Bauwerk ist. Und ich habe sie in Palästina willkommen geheißen."

Verglichen mit den aufgeladenen Staatssymbolen realer Staaten wirkt das kreisrunde Siegel wie ein Motiv aus der Kinderpost, als an einen Nationalstaat: Statt rot-schwarz-weiß-grünem Palästinenser-Wappen, Sternen oder Halbmond zeigt es einen Kolibri beim Nektarnaschen an einer Blüte. Im Englischen wird der Vogel auch "palestine sunbird" genannt und für Khaled Jarrar ist der kleine Vogel ein besseres Staatssymbol als panarabische Farbensymbolik oder religiöse Embleme:

"Es ist ein wunderschöner Vogel, den ich als Symbol gewählt habe, um mein Land für alle zu öffnen, denn ich träume von einem utopischen Palästina."

Khaled Jarrar mag vielleicht glühender Verfechter eines unabhängigen Palästinas sein, aber sein utopischer Wunschstaat hat mit den Vorstellungen von Fatah wenig und mit denen von Hamas gar nichts zu tun.

"Hamas und die Siedler mit den rechten Israelis sind ein- und dasselbe. Sie verhindern, dass wir ein friedliches Leben führen können."

Statt mit Gegengewalt wehrt er sich gegen die Schikanen an den Checkpoints zwischen Israel und Palästina mit seiner künstlerischen Amtsanmaßung.

Mit einer Amtsanmaßung anderer Art hat es Khaled Jarrar am ehemaligen Grenzübergang in Berlin zu tun: Die Souvenirverkäufer in Uniform versuchen die kostenlose Stempel-Konkurrenz abzudrängen. Khaled nimmt es gelassen: Wenn es in seinem Palästina doch auch einmal so relativ friedlich und touristisch zugehen würde wie heute am ehemaligen Todesstreifen in Berlin.

"Hier ist doch auch die Mauer nach 22 Jahren gefallen. Warum also nicht bei uns in Palästina? Vielleicht verwandeln sich unsere Checkpoints ja auch mal in Touristenattraktionen wie hier."