Steinmeier-Rede in Yad Vashem

Die richtigen Worte

07:25 Minuten
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem
"Die bösen Geister zeigen sich heute in neuem Gewand", warnt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Yad Vashem. © picture alliance / Newscom picture alliance / UPI Photo / Abir Sultan
Rafael Seligmann im Gespräch mit Nicole Dittmer · 23.01.2020
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Als erstes deutsches Staatsoberhaupt hat Frank-Walter Steinmeier in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem gesprochen und vor einem Wiedererstarken des Antisemitismus gewarnt. Der deutsch-israelische Publizist Rafael Seligmann begrüßt die Rede.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat in der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem vor einem Rückfall in autoritäre Denkmuster gewarnt. "Die bösen Geister zeigen sich heute in neuem Gewand", so Steinmeier während einer Gedenkfeier zum 75. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. "Mehr noch: Sie präsentieren ihr antisemitisches, ihr völkisches, ihr autoritäres Denken als Antwort für die Zukunft, als neue Lösung für die Probleme unserer Zeit."
Er wünschte sich, sagen zu können, dass die Deutschen für immer aus der Geschichte gelernt hätten, sagte Steinmeier. Aber das könne er nicht, wenn sich Hass und Hetze ausbreiteten, wenn jüdische Kinder auf Schulhöfen bespuckt würden oder wenn nur eine schwere Holztür verhindere, dass ein Rechtsterrorist an Jom Kippur in einer Synagoge in Halle ein Blutbad anrichte.
Zwar seien es heute andere Worte und nicht dieselben Täter. Aber es sei dasselbe Böse. Und es bleibe die eine Antwort: Nie wieder. Es dürfe kein Schlussstrich unter das Erinnern gezogen werden. "Wir stehen an der Seite Israels."

"Worte sind schneller als Taten"

Der deutsch-israelische Publizist und Historiker Rafael Seligmann begrüßt die Rede Steinmeiers, der als erstes deutsches Staatsoberhaupt in Yad Vashem sprach. Dieser habe die richtigen Worte gefunden.
Allerdings seien Worte "schneller gesprochen als Taten". "Wenn ich mir das Wort anhöre: 'Wir stehen an der Seite Israels.' Und es abgleiche mit dem Abstimmungsverhalten des deutschen Vertreters bei den Vereinten Nationen", der sich zumeist enthalte, "dann sehe ich eine Diskrepanz", so Seligmann.
Auch im Kampf gegen Antisemitismus werde nach wie vor nicht genug getan. Verbote von Gruppen wie "Combat 18" seien zwar ein erster Schritt. "Das Wichtigste ist mir aber kein Verbot, sondern die Gewinnung von Jugendlichen, von Kindern."
Dabei genügten Museumsbesuche nicht. Stattdessen müsse Jugendlichen "Toleranz und Nächstenliebe" beigebracht werden, beispielsweise durch den Schüleraustausch mit israelischen Jugendlichen. "Man muss Menschlichkeit als Realität erleben", sagt Seligmann.
(lkn)
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