Steinbach: Stauffenberg-Darstellung durch Tom Cruise zweifelhaft

Moderation: Liane von Billerbeck · 03.07.2007
Im Gegensatz zu Filmregisseur Henckel von Donnersmarck hat sich der Historiker Peter Steinbach kritisch über die Darstellung der Rolle Stauffenbergs durch den US-Schauspieler und Scientologen Tom Cruise geäußert. Er verteidigte das Drehverbot im Berliner Bendlerblock, in dem die Hitler-Attentäter erschossen worden waren und sprach von der "Last" und "Würde des Ortes".
Liane von Billerbeck: Ein Scientologe in der Rolle des Widerständlers. Tom Cruise will in einem Hollywood-Film mit dem Titel "Walküre" Claus Graf Schenk von Stauffenberg spielen. Den Mann, dessen Name für das Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 steht. Stauffenbergs ältester Sohn Berthold hat sich in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" heftig dagegen verwahrt. Und im Bendlerblock, dort, wo die Attentäter erschossen wurden, da befindet sich heute die Gedenkstätte Deutscher Widerstand und deren Leiter ist der Historiker Prof. Peter Steinbach. Mit ihm sprechen wir jetzt. Tag, Herr Steinbach!
Peter Steinbach: Guten Tag, Frau von Billerbeck!
Von Billerbeck: Deutschlands Hoffnung heißt Tom Cruise, das schreibt der Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck heute im "FAZ"-Feuilleton. Er wird, "sein Superstarlicht auf diesen selten glanzvollen Moment im düstersten Kapitel unserer Geschichte werfen" (Zitat), also das Licht von Tom Cruise auf Claus Graf Schenk von Stauffenberg. Teilen Sie diese Hoffnung?
Steinbach: Nein, überhaupt nicht. Stauffenberg steht für sich, und Tom Cruise ist Tom Cruise, das heißt, ist ein Schauspieler, der sehr umstritten ist. Das bekommen wir im Augenblick mit. Und ich verstehe Henckel von Donnersmarck nicht, dass er nun die Bedeutung Stauffenbergs auf den Schauspieler lenkt. Wir müssen es ja umgekehrt sehen, als er es macht. Ich finde es einfach würdelos, dass man eine historisch wichtige, wertvolle, der Orientierung dienende Persönlichkeit gewissermaßen an den Glanz koppelt, den ein Schauspieler zu versenden verspricht. Ich verstehe das nicht und denke, das ist ein Beispiel dafür, wie also insbesondere im Schaugewerbe manche Maßstäbe einfach verrückt werden.
Von Billerbeck: Haben Sie als Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand Erfahrungen mit Scientology, dieser Organisation gehört ja Tom Cruise an?
Steinbach: Oh ja, sehr bittere sogar. Wir haben vor einigen Jahren versucht, gemeinsam mit dem militärgeschichtlichen Forschungsamt in Amerika in einem geschichtspolitisch sehr schwierigen Gebiet die Auseinandersetzung mit dem deutschen Widerstand zu fördern. Wir haben eine Ausstellung gemacht, wir haben sie mit der Library of Congress abgestimmt. Es war ein wirklich vielversprechender Versuch. Und just zur Eröffnung dieser Ausstellung schalteten die Scientologen eine große Anzeigenkampagne in den großen Tageszeitungen, in den überregionalen Tageszeitungen – das hat sicherlich ein Millionenvermögen verschlungen – und stellten sich dar als die verfolgte Minderheit, als die Juden von heute und forderten also wirklich auf, sowohl das Weiße Haus als auch das Bundeskanzleramt mit Briefen, mit E-Mails zu bombardieren. Das hat uns damals sehr belastet, es hat uns auch objektiv geschadet. Und ich muss sagen, dass nun heute versucht wird, gerade mit Tom Cruise, dessen persönliche Meinung mich nicht wirklich interessiert, hier Glanz zu verbreiten auf eine Einrichtung, die man nach Kräften verzeichnet hat, das erfüllt mich schon mit einer gewissen Besorgnis, eigentlich kann man auch sagen mit einer gewissen Bitterkeit.
Von Billerbeck: Scientologen, Sie haben es eben gesagt, gerieren sich also gern als die neuen Juden, als in Deutschland verfolgte Minderheit. Intern wird bei Scientology aber davon gesprochen, dass in einer scientologischen Welt nur Scientologen Bürgerrechte haben sollen, während für die anderen Anstalten gebaut werden sollen. Das würde ich eigentlich ein faschistoides Menschenbild nennen. Ausgerechnet ein Propagandist dieser Organisation, Tom Cruise, will nun Claus Stauffenberg spielen. Was meinen Sie, bedeutet das?
Steinbach: Ich meine, wir haben uns in Deutschland nach 1945 intensiv mit Stauffenberg beschäftigt, und ganze Generationen haben sich an ihm abgearbeitet. Denn die Geschichte des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus zeigte ja, dass es möglich war, sich in Freiheit, in Verantwortung anders zu entscheiden als die Mitläufer, als jene, die im Grunde einem totalitären Weltbild folgten und treu zu der Fahne mit dem Hakenkreuz standen bis zum 9. Mai 1945. Das heißt, Stauffenberg ist ein Abweichler, ist ein Mensch, der die individuelle Verantwortung betont. Wie soll gewissermaßen ein Superman, der da jetzt auch von Henckel von Donnersmarck propagiert wird, diese innere Entwicklung, die unserer Maßstabsbildung und unserer Koordinierung von Verhaltensmustern dient, wie soll das gewissermaßen bewerkstelligt werden? Ich glaube wirklich, dass man versucht, mit einem Film, der spektakulär ist, Meriten zu erobern, Meriten zu gewinnen, die überhaupt nichts mit der inneren Auseinandersetzung, mit der Auseinandersetzung mit der politischen Moralität zu tun haben.
Von Billerbeck: Sie haben es abgelehnt, den Bendlerblock als Filmkulisse nutzen zu lassen, um dort beispielsweise auch die Erschießungsszene zu drehen. Warum?
Steinbach: Ich glaube, es gibt eine Last und es gibt eine Würde des Ortes. Und für mich ist der Gedanke absolut unerträglich, dass gewissermaßen in Actionfilmmanier an dem Ort, an dem vier Regimegegner ermordet worden sind, nachts hingerichtet worden sind, dass man da im Grunde die Aura des Ortes nutzen will, um zu sagen, an dieser Stelle, da stirbt nun auch der Protagonist unseres Filmes. Ich halte das für geschmacklos, und ich bin ganz, ganz froh, dass inzwischen diese Interpretation, diese Abwehr von Geschmacklosigkeiten auch von der Berliner Politik akzeptiert wird und übernommen wird. Das ist der Hintergrund für manche der Querelen, die jetzt laufen. Ich glaube, es gibt eine Würde des Ortes, und wir können uns die Auseinandersetzung mit dem Widerstand nicht in einer derartig oberflächlichen Münze auszahlen lassen.
Von Billerbeck: Der Scientologe Tom Cruise will Claus Graf Schenk von Stauffenberg spielen. Ob ein Hollywoodfilm das Bild vom 20. Juli 1944 verändert, darüber sprechen wir mit dem Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, dem Historiker Peter Steinbach. Der Dramatiker Rolf Hochhuth wurde in diesen Tagen in der Presse mit dem Satz zitiert: "Ob Tom Cruise Scientologe ist oder nicht, man muss sich als Deutscher freuen, dass Stauffenberg durch eine Großproduktion der Weltöffentlichkeit vorgestellt wird." Freuen Sie sich nicht darüber, Herr Steinbach?
Steinbach: Ich kann mich erst darüber freuen, Frau von Billerbeck, wenn ich weiß, wie dieser Film aussieht. Allein die Thematisierung läuft ins Leere. Wenn ich mit Amerikanern spreche, spüre ich zwei Probleme: Zum einen verstehen amerikanische Bürger ganz schlecht, dass man nicht von vornherein gegen den Nationalsozialismus war. Stauffenberg war es nicht. Und zum anderen verstehen sie nicht, weshalb ein Regimegegner auf dem Höhepunkt des Krieges versuchen muss, seine Regierung auszuschalten, weil er sein Land liebt. Zwischen diesen beiden Punkten liegt eine dramatische Entwicklung. Diese dramatische Entwicklung, die muss im Grunde nachgezeichnet und die muss geschildert werden. Ob das ein Actionfilm kann, wird man bezweifeln können. Und ich teile deshalb überhaupt nicht die Ansicht von Hochhuth, der sich ja mit diesem Zitat eigentlich auch wie der Angehörige einer Provokationselite outet, dass man im Grunde in dem Ereignis an sich schon das Ziel sieht. Nein, ich möchte wissen, was rauskommt, und ich möchte wissen, wie man es macht. Und dieser Stauffenberg-Film wird sich an vielen, vielen, sehr guten Vorbildern messen lassen müssen.
Von Billerbeck: Zum Beispiel an dem Film von Jo Baier.
Steinbach: Den ich sehr schätze, ja.
Von Billerbeck: Es geht also letztlich um die Frage, wer hat die Deutungshoheit über historische Personen und Stoffe?
Steinbach: Richtig. Und der Historiker beantwortet diese Frage natürlich mit dem Hinweis auf den historischen Stoff selbst. Ein Bild einer Interpretation eines historischen Ereignisses ist eine Entscheidung eines jeden Menschen, der sich mit diesem Ereignis auseinandersetzt. Nun leben wir in einem medial vermittelten Zeitalter. Dass es aber geht, innere Entwicklungen nachzuvollziehen, das zeigt gerade der Jo Baier-Film, der nun wirklich sehr, sehr gut war und der nun plötzlich gegen Tom Cruise' Projekt ausgespielt wird – übrigens auch von dem Sohn Stauffenberg. Das erfüllt mich eigentlich mit Sorge, dass es der Filmproduktionsfirma gelingt, der Öffentlichkeit einen Knochen hinzulegen, in den man sich verbeißt und damit gerade von inhaltlichen Fragen, von Qualitätskriterien abzulenken. Ich glaube, dass es gut ist, über Stauffenberg international zu diskutieren. Wie gesagt, der deutsche Widerstand hat es in der Anerkennung der Weltöffentlichkeit immer sehr schwer gehabt, weil man natürlich diesen Widerstand maß an den Verbrechen, die die Nationalsozialisten begangen haben, an dem späten Zeitpunkt, an dem er ausbrach und wie auch immer. Aber für uns ist eigentlich das Herausfordernde, den Punkt zu bestimmen, an dem ein Mensch sagt, ich mache nicht mehr mit. Und von daher denke ich, ist es eigentlich ein Widerspruch, dass man diesen Film, der ja nun durch die Deutung als fast eine Art Unternehmen der Scientologen in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, nicht nur geschildert, sondern wahrgenommen wird, dass man diesen Film gewissermaßen mit der Zivilcourage eines Menschen verbindet, der sich gerade antitotalitär entscheidet, der einen weltanschaulichen Führungsanspruch einer Regierung ablehnt.
Von Billerbeck: Florian Henckel von Donnersmarck schreibt in der heutigen "FAZ": "Selbst der größte Star der Siegernation ist uns nicht gut genug, unseren Übermenschen Stauffenberg zu spielen." Stauffenberg als Übermensch. Was empfinden Sie, wenn Sie so was hören?
Steinbach: Frau von Billerbeck, das zeigt eigentlich eklatant die Verkommenheit der Argumentation. Ein Begriff wie Übermensch nimmt man nach der NS-Erfahrung nicht mehr in den Mund. Stauffenberg war kein Übermensch, sondern er war ein Mensch, der im Unterschied zu vielen anderen Menschen innere Spannungen, innere Herausforderungen, innere Empörung umsetzte, praktisch umsetzte. Ein Übermensch, das ist, sorry, nach Nietzsche auch der letzte Mensch, das ist der medial gesteuerte Mensch. Und ich denke, Henckel von Donnersmarck sollte sich wirklich mal intensiv mit den Begriffen auseinandersetzen, die er so leichtfertig und verantwortungslos in die Welt setzt.
Von Billerbeck: Ein Scientologe in der Rolle des Widerständlers. Wie ein Hollywoodfilm das Bild des Attentats vom 20. Juli 1944 verändert, darüber sprachen wir mit dem Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, dem Historiker Peter Steinbach. Ich danke Ihnen!
Steinbach: Vielen Dank!
Gilt als heißer Kandidat für den Grimme-Preis: Der Fernsehfilm "Stauffenberg" mit Sebastian Koch (Mitte) in der Hauptrolle, Axel Milberg (links) als Generaloberst Fromm und Christopher Buchholz als Berthold Stauffenberg.
Fernsehfilm "Stauffenberg" von Jo Baier mit Sebastian Koch (m.) in der Hauptrolle, Axel Milberg (l.) als Generaloberst Fromm und Christopher Buchholz als Berthold Stauffenberg.© AP-Archiv