Stefanie Sargnagel

"Sie ist eine digitale Humanistin"

Ein Porträt der Netz-Autorin Stefanie Sargnagel
Die Netz-Autorin Stefanie Sargnagel überzeugt inzwischen auch die Feuilletons © picture alliance / dpa / Horst Ossinger
Von Simone Schlosser · 29.06.2016
Stefanie Sargnagel ist Langzeitstudentin, Biertrinkerin und ehemalige Callcenter-Mitarbeiterin. Auf Facebook schreibt die Österreicherin mit humoristisch-feministischem Blick über ihren Alltag, daraus sind inzwischen mehrere Bücher entstanden. Nun tritt sie in Klagenfurt an.
"Alle sind so spießig. Nur ich bin nicht spießig. Sonst sind echt alle ur-spießig. Solche Sachen schreibe ich dann im Facebook ..."
Montagabend in einem Frankfurter Studentencafé: Stefanie Sargnagel liest aus ihrem aktuellen Buch "Fitness". Facebook-Einträge zwischen Kunst-Akademie, Call Center und Beisl. Humoristisch. Poetisch. Österreichisch.
"Also der Schaß ist im Bundesdeutschen der Furz. Also mein erster lauter Schaß im Call Center. Alle tun so, als hätten sie nichts gemerkt. Aber jetzt wissen sie all Bescheid – wer hier der Chef ist."

Autorin, Künstlerin und Kultfigur

Stefanie Sargnagel ist Autorin, Künstlerin und eine Kultfigur der Sozialen Medien: Auf Facebook hat sie mehrere tausend Follower, und ihre Freundesliste ist geschlossen, weil sie die Maximalzahl erreicht hat. Trifft man sie außerhalb des Netzes, trägt sie eine rote Baskenmütze. Immer. Und eine Flasche Bier. Meistens.
"Das wird halt immer mehr zu einer Inszenierung, aber ich habe diese Mütze ja wirklich immer getragen, und ich habe wirklich oft ein Bier dabei gehabt. Ich habe immer schon gerne ein Markenzeichen gehabt, oder Dinge für mich beansprucht. Ich finde es dann eher immer wie so eine Art Comic-Charakter kreieren."
Mit diesem Comic-Charakter wurde die kleine Dunkelhaarige mit den ausdrucksstarken blauen Augen erst zum Facebook-Hit, dann zum Liebling der Feuilletons, und seit Neuestem mischt sie außerdem den Literaturbetrieb auf.
Jetzt liest sie in Klagenfurt, bei diesem "Deutschland sucht den Superstar für Streber", wie sie selbst das Wettlesen einmal bezeichnete. In ihrem comichaften Videoporträt zeigt die 30-Jährige, wo sie sich selbst in diesem Bild sieht. Als Außenseiterin in der Raucherecke:
"Mein Name ist Stefanie Sargnagel. Meine Mutter fand mich 1986 in der Hofer-Filiale Bergsteiggasse zwischen den Aufbackbroten. Sie nahm mich mit nach Hause und zog mich mit viel Liebe auf."

Unterschichten-Image und Fäkalhumor

Die Wienerin spielt mit Unterschichten-Image und Fäkalhumor. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund und nennt Geschlechtsteile frech beim Namen. Seitdem ist sie für die einen die Charlotte Roche des Internets und für die anderen die deutschsprachige Antwort auf Lena Dunham. Sargnagel selbst spricht von sich als It-Girl und behauptet, Facebook groß gemacht zu haben. Ihr aktuelles Buch hat sie sich selbst gewidmet.
Screenshot des Facebook-Profils von Stefanie Sargnagel am 2.Dezember 2015.
Screenshot des Facebook-Profils von Stefanie Sargnagel im Dezember 2015© Screenshot Stefanie Sargnagel / Facebook
"Ich habe natürlich jetzt auch sehr viele Leute, die sich echt provoziert fühlen, von dem was ich mache, weil vorher war es immer in so einem subkulturellen Rahmen."
"Ich finde es oft auch ein bisschen missverstanden. Die lesen das so literaturmäßig. Ich sehe das mehr so humormäßig. Wobei ich finde, das ist nicht unbedingt ein Widerspruch. Aber ich merke schon, dass Leute verwirrt sind, weil es ist nicht so einordnungsbar ist."
Zumal hinter ihrem Größenwahn eine politische Person steckt, die Geflüchtete in ihrem Auto über die Grenze fährt, und gegen Hetzparolen weißer Männer anschreibt. Für ihre Verlegerin Nikola Richter ist Stefanie Sargnagel eine moderne Feministin und Humanistin:
"Ich finde sie eine sehr liebenswerte Person. Sehr bei sich und auch sehr stark und sehr ehrlich. Das, was mich wirklich beeindruckt hat, das ist einfach dieser wirklich wie ein humanistischer Zug, den sie hat. Sie sagt nichts Schlechtes über niemanden und ihre Texte, die wettern eigentlich auch nur gegen Leute, die selber Schlechtes gegen andere tun. Sie ist wirklich für mich wie eine digitale Humanistin."

In der Tradition von Heinz Strunk

Eigenschaften, die Stefanie Sargnagel mit ihrem Vorbild, der Kinderbuchautorin Christine Nöstlinger, verbindet. Außerdem sieht sie sich in der Tradition von Comedians wie Heinz Strunk oder Louis C.K.: Moderne Anti-Helden, die sich selbst nicht zu ernst nehmen.
Ihren Job im Callcenter hat die 30-Jährige mittlerweile aufgegeben, jetzt schreibt und zeichnet sie für Zeitungen und arbeitet an einem neuen Buch.
"An sich fand ich den Job sehr gemütlich. Auch die Alltagsregulierung und so. Ich finde es eigentlich ganz gut, so einen Brot-Job zu haben und dann ein bisschen Einkommen durch Kunst. Denn so richtig finanziell davon abhängig sein – dann verliert man auch den Spaß daran."
"Ich liebe es zu lachen."
Noch hat sich die neue Vollzeit-Autorin ihren Spaß bewahrt. Doch was kommt nach dem Ingeborg Bachmann-Wettbewerb? Mit ihrer Kraft und Haltung ist sie für ihre Verlegerin längst mehr als eine Facebook-Autorin:
"Wenn man das ein bisschen größer denkt, oder in einem anderen Kontext liest außerhalb vom diesem 'Ist ja nur auf Facebook, und sind ja nur irgendwelche irren Posts von einer Frau mit einer roten Mütze, die raucht und trinkt', wie sich ja selber stilisiert, dann hat das schon, finde ich, einen total anderen Echo-Raum."
Sargnagel: "Ich möchte nicht mehr in der Welt der Künstler, Musiker und Verrückten abhängen. Ich will am Wochenende mein Auto waschen, und ins Musical gehen, und ganz normal sein."
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