Stefan Rinke: "Conquistadoren und Azteken"

Blutrausch und Goldgier

Auf dem Buch-Cover ist eine Kampfszene zwischen Conquistadoren und Azteken zu sehen, im Bildhintergrund ist eine Pyramide zu sehen
Was von den Azteken blieb: Die Mondpyramide nahe der mexikanischen Stadt Teotihuacan © C.H.Beck/Zuma Press/Imago
Von Marko Martin  · 18.02.2019
Ein neues Buch über die Eroberung Mexikos durch Spanien: Der Lateinamerika-Historiker Stefan Rinke stützt sich nicht nur auf spanische Quellen, sondern bezieht auch die Perspektive der Indigenen ein. Das macht sein Werk zu einer besonderen Lektüre.
Vor ziemlich genau 500 Jahren, im Februar 1519, gelang, wie es traditionelle Geschichtsschreibung über die Jahrhunderte hinweg formulierte, "den Männern von Hernán Cortés" ein Coup von weltgeschichtlichen Konsequenzen: Obwohl vermeintlich zahlenmäßig unterlegen, brachten sie nach ihrer Landung in Mexiko binnen kurzem das mächtige Reich der Azteken zu Fall und machten die gesamte Region zu einem Teil des spanischen Königreichs.

Aztekischer Blutwahn und spanische Goldgier

Geschichte ist freilich immer auch eine Chronik von Wertungen, Verfälschungen und interessengeleiteten Interpretationen. Schon aus diesem Grund liest sich Stefan Rinkes soeben erschienenes Buch "Conquistadoren und Azteken. Cortés und die Eroberung Mexikos" derart spannend: Lebendig, detailfreudig, doch gleichwohl leserfreundlich strukturiert und mit erhellenden Illustrationen versehen, wird hier nicht nur von einer Eroberung erzählt, sondern auch davon, wie Zeitgenossen und Nachgeborene das Groß-Ereignis jeweils gewichteten.
Vor allem Hernán Cortés war daran gelegen, in seinen Berichten an den Spanischen Königshof die Zahl seiner Mitstreiter als möglichst gering anzugeben – um so höher dann, so das rationale Kalkül, der Ruhm und (dies vor allem) die zu verteilenden Pfründe. Tatsächlich aber erfolgte der schnelle Sieg der Spanier vor allem dank jenen indigenen Ethnien, die sich mit ihnen verbündet hatten, um das Joch der Azteken abzuschütteln. Die nachfolgenden Berichte über den auf regelmäßigen Menschenopfern, das heißt institutionalisiertem Massenmord, basierenden Azteken-Staat waren dann zwar mit der Absicht verfasst, das vermeintlich christliche Abendland im Kontrastlicht umso heller erstrahlen zu lassen – falsch waren sie dennoch nicht. Inzwischen lassen sie sich sogar abgleichen mit den Annalen der Nahuatl sprechenden Völker des 16. Jahrhunderts, in welchen aztekischer Blutwahn ebenso objektiv beschrieben ist wie die Goldgier der mordenden Spanier.

Rinke nutzte auch Archive der Indigenen

Stefan Rinke, einer der renommiertesten Lateinamerika-Experten Deutschlands, schreibt dazu: "Die Forschung, die konsequent indigene Quellen in die Betrachtung mit einbezieht, hat gezeigt, dass die vorspanische Expansion der Mexica/Azteken ähnlichen Mustern folgte wie die der Spanier. Da die Spanier dieselben Strategien benutzten, konnten die Indigenen sie akzeptieren, weil ihnen das Vorgehen vertraut war. Hier wird ein hohes Maß an Kontinuität in einem Raum deutlich, in dem Kriege ebenso alltäglich waren wie der Aufstieg und Fall von Stadtstaaten." Hinzu kommt, dass die Eroberung noch nicht einmal vollständig war. Obwohl geschwächt und vor allem durch eingeschleppte Seuchen dezimiert, "eigneten die Indigenen sich beispielsweise das Christentum an und inkorporierten es in die eigene Götterwelt".
Würden sich die Gralshüter eines längst dogmatisch gewordenen "Anti-Kolonialismus" für zusätzliche Fakten interessieren, hier könnten sie fündig werden – und dazu noch etwas über den eigenen, eurozentristisch verengten Blick lernen. Denn im besten Sinn macht dieses Buch Ernst mit der (ansonsten allzu häufig zum Modewort degradierten) Inklusion: Es sind ab nun nicht mehr allein die Weißen, die entscheiden, urteilen – oder einander in selbstreferentiellem Rahmen verurteilen – sondern in den Blick kommen auch die sogenannten "Anderen", deren Spuren nun endlich im Westen wahrgenommen werden.
Fast überflüssig hinzuzufügen, dass nach der Lektüre dieses Buches auch vom alten und gleichzeitig neo-rechten Kampfbegriff des "christlichen Abendlandes" – trotz des verfügten Menschenopfer-Verbotes und eines altruistischen Engagements mancher Priester und Ordensleute – vor allem eine Chronik bleibt von Gier, Betrug, Täuschung und Mord. Gut so – oder besser noch: wie wahr, wie faktengesättigt.

Stefan Rinke: "Conquistadoren und Azteken. Cortés und die Eroberung Mexikos"
Verlag C.H.Beck, München 2019
399 Seiten, 28 Euro

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