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Kampagne #nobodysdoll
"Das gängige Schönheitsideal ist frauenfeindlich"

Die Schauspielerin Anna Brüggemann beklagt Frauenfeindlichkeit in der Mode - besonders auf den roten Teppichen von Festivals oder Galas. Unter dem Hashtag #Nobodysdoll will sie den Red-Carpet-Look bei der diesjährigen Berlinale aufbrechen. Jede Frau soll endlich anziehen, was sie mag, sagte sie im Dlf.

Anna Brüggemann im Corsogespräch mit Thekla Jahn | 13.02.2018
    Die Schauspielerin und Drehbuchautorin Anna Brüggemann.
    Schauspielerin und Drehbuchautorin Anna Brüggemann (William Minke)
    Thekla Jahn: Der Rote Teppich wird zur Kampfzone! Nicht nur in Amerika - wo Schauspielerinnen in schwarzem Outfit ihre Solidarität mit der #MeToo-Kampagne demonstrierten. Auch in Deutschland, wo in zwei Tagen die Internationalen Filmfestspiele Berlin beginnen. Dann will die Initiative #Nobodysdoll eine kleine Revolution auf dem Roten Teppich sehen. Jede angezogen, wie sie mag - vom klassischen Mode-Diktat befreit. Die Schauspielerin Anna Brüggemann steckt hinter der Initiative. Anna Brüggemann, bekannt durch ihre Fernseh- und Kinorollen, aber auch durch ihre Drehbücher, die sie gemeinsam mit ihrem Bruder Dietrich Brüggemann schreibt. Vor vier Jahren wurden die beiden für das Drehbuch zum Spielfilm "Kreuzweg" mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet.
    Anna Brüggemann ist uns telefonisch zugeschaltet. Und gleich die erste Frage an Sie: Als Initiatorin von #Nobodysdoll – was werden Sie bei der Berlinale Eröffnung am Donnerstag tragen, wenn sie über den Roten Teppich gehen: Hochzugeknöpft, bequeme Treter, vielleicht sogar ohne großes Abend-Make-up? Also ganz natürlich statt aufgebrezelt?
    Anna Brüggemann: Also natürlich bin ich ja eh eher meistens vom Make-up, ich kann auch gar nichts anderes.
    Jahn: Na doch, jeder kann das.
    Brüggemann: Jaja, aber da muss ich dann jemanden bezahlen, der das macht. Und es ist ja ein bisschen paradox, ich habe ja meinen Aufruf geschrieben, damit sich die Leute mehr Freiheit nehmen und damit es aber im Endeffekt vielleicht auch manchmal einfach nicht so eine große Rolle spielt. Und jetzt habe ich natürlich erst mal den Salat, dass alle erst mal gucken, was ich anziehe. Ich werde auf jeden Fall einen Rock anziehen, weil ich mich in Röcken sehr, sehr wohl fühle, und auf jeden Fall flache Schuhe. Ich weiß aber auch, dass zum Beispiel zwei Mitstreiterinnen am Donnerstag mitkommen, die sagen, nein, ich bin einfach nicht groß, und auf solchen Veranstaltungen bin ich total froh, hohe Schuhe zu tragen und auf Augenhöhe zu sein.
    "Dass sich so viele nach Amerika orientieren, halte ich für ungesund"
    Jahn: Jetzt haben Sie auch Männer, die sich für Ihre Initiative interessiert haben, sich angeschlossen haben. Wollen die damit ein Zeichen setzen?
    Brüggemann: Ja. Ich kann mir gut vorstellen, dass man als Mann ein gewisses Unwohlsein hat, wenn Frauen, die man mag, da auf einmal in Kleidern stehen, in denen sie sich unwohl fühlen und sagen, hier, ich komme mir vor wie ein Objekt, ich werde hier auch gerade wie ein Objekt behandelt, das kann man ja nicht wollen.
    Jahn: Es gibt eine weitere Kampagne, die heißt #MeToo. Die ist bekannt, gerade durch die "Golden-Globe-Verleihung". Sehr viele haben mitgemacht, alle waren in schwarz auf dem roten Teppich, um ein Zeichen zu setzen. Und bei dieser #MeToo-Debatte geht es um sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe. Und da wäre es ja eigentlich naheliegend gewesen, nicht nur in schwarz zu erscheinen auf dem roten Teppich, sondern vor allem auch ohne Mega-Dekolleté und bis zum Po reichende Kleiderschlitze, stattdessen standen aber einige Schauspielerinnen dann doch sehr im sexy "Black-Style" da. War das für Sie enttäuschend?
    Brüggemann: Es ist so ein schmaler Grat. Man kann ja auch immer sagen, diese Frauen sind total selbstbestimmt und machen genau das, was sie wollen und ziehen sich genau so an, wie sie wollen, und man sollte nicht mit dem Finger auf sie zeigen. Deswegen sage ich immer, das kann es doch auch geben. Mein Problem ist aber gerade, dass es das nur gibt. Dass, wenn es um elegante Frauen geht, dann ist das immer Dekolleté, dann ist das immer nackte Haut. Ich glaube, es wird auch immer stärker, also ich habe das Gefühl, dass sich sehr viele Schauspielerinnen hier nach Amerika orientieren, und ich halte das für ungesund. Deswegen meine ich, wenn eine Frau sich mal danach fühlt, warum nicht. Aber da es alle machen, wird dadurch eine nicht geschriebene Regel. Und diese Regel möchte ich in Frage stellen.
    Wir haben noch länger mit Anna Brüggemann gesprochen - hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Jahn: Wie wollen Sie das erreichen, wenn die einen Frauen dann sexy aussehen und die anderen, ja, im Schlabberlook daherkommen?
    Brüggemann: Ja, ich möchte erreichen, dass wir wirklich darüber sprechen, was ist es denn, was eine Frau attraktiv macht. Ist vielleicht auch nicht mal der Schlabberlook attraktiv? Also wirklich, das meine ich ernst. Oder ist es auch nicht wirklich attraktiv, wenn eine Frau irgendwie da in Boots und Jeans steht, weil sie halt so ein Typ ist, der sich da total wohlfühlt und damit eine Wärme und Sexyness hat, die sie in einem Abendkleid nie hätte.
    "Im Filmbusiness gilt die Sexyness"
    Jahn: Jetzt haben Sie in Ihrem Manifest geschrieben, wir überlassen immer noch die Definitionsmacht, was als attraktiv gilt, dem patriarchalisch geprägten Blick. Wir sind viele, wir sind klug, wir haben keine Angst, schreiben Sie da. Ja, wovor hatten Sie denn vorher Angst? Sie hätten sich doch eigentlich immer schon so kleiden können, wenn Sie gewollt hätten.
    Brüggemann: Naja, die Angst ist natürlich, dann nicht als attraktiv zu gelten. Und als attraktiv zu gelten ist natürlich für uns Schauspielerinnen essenziell, noch immer, um besetzt zu werden, und ich glaube nicht nur für uns Schauspielerinnen.
    Jahn: Aber zählt dann nicht gerade bei Schauspielern, auch gerade das Können, der Mut, der Exotenstatus?
    Brüggemann: Naja. Am Theater vielleicht. Also es gibt immer wieder die Theaterköniginnen, die dann Arthaus-Queens werden, aber im Filmbusiness ist das schon so, dass die Sexyness schon sehr viel gilt.
    Jahn: Das heißt, die inneren und auch die schauspielerisch handwerklichen Fähigkeiten, denen können Sie nicht vertrauen?
    Brüggemann: Nein, ich finde nicht komplett. Ich finde, man kann Ihnen ein stückweit vertrauen und ich finde, im Fernsehen gibt es sehr, sehr interessante und sperrige Schauspielerinnen. Und ich würde mir aber wünschen, dass man dem noch mehr vertrauen kann.
    "Das gängige Schönheitsideal ist frauenfeindlich"
    Jahn: Jetzt gibt es noch einen weiteren Aspekt, der nicht zu unterschätzen ist: Auf dem roten Teppich, da gibt es so eine Art Joint Venture zwischen den Stars und den großen Mode-Labels. Wie wollen Sie, ja, dieses System im Prinzip unterwandern?
    Brüggemann: Das ist wirklich schwierig. Also ich habe vor kurzem nur in den Text von Laurie Penny reingeschielt, wo sie irgendwie schrieb, wir müssen diese Verquickung von Kunst und Kommerzialisierung wieder lösen, sonst gerät die Kunst in Gefahr. Und das ist wirklich schwierig, weil es gibt natürlich Schauspieler und Schauspielerinnen, die sagen, hey, ich habe hier die Möglichkeit, viel, viel mehr Geld zu verdienen, als mit der Schauspielerei. Weil Schauspielerei ist so ein unsicheres Ding, dann bin ich sehr, sehr froh, wenn ich da einen Werbevertrag an Land ziehe und ein bisschen Sicherheit habe, und das verstehe ich total gut.
    Gleichzeitig ist es natürlich so, man wird dann das Produkt dieser Firma und muss natürlich auch diesem Regelwerk gehorchen. Und man gehorcht natürlich einem Regelwerk, das mit dem gängigen Schönheitsideal arbeitet. Und das gängige Schönheitsideal ist nun einmal frauenfeindlich, das müssen wir einfach so sagen. Und deswegen bin ich sehr gespannt, wie das gehen könnte. Es könnte natürlich dadurch gehen, dass man sagt, wir sind so viele, die was Eigenwilliges wollen, und dann kommen halt Modehäuser, die sagen, ja, aber genau das wollen wir ja auch.
    "Ich möchte in meiner Vorstellung von Schön rumlaufen"
    Jahn: Wenn Sie wirklich ein Zeichen setzen am Donnerstag bei der Berlinale und wirklich so rumlaufen, wie man eigentlich sagt, so stellen wir uns eine Schauspielerin auf dem roten Teppich nicht vor, wie lange würden Sie dann durchhalten, ohne eine Rolle zu bekommen?
    Brüggemann: Das weiß ja kein Mensch, ob man dann weniger besetzt wird oder mehr besetzt wird, das ist ja ein einziges Stochern im Nebel. Also ich möchte ja trotzdem schön rumlaufen. Ich möchte ja nicht irgendwie das Event unterlaufen und in Sack und Asche erscheinen, aber ich möchte halt in meiner Vorstellung von Schön rumlaufen.
    Jahn: Da sind wir ja ganz gespannt. Die Berlinale-Macher haben die Initiative bislang nur mit einer Äußerung kommentiert; jeder solle einfach anziehen, was er wolle. Hätten Sie da eine andere Reaktion erwartet?
    Brüggemann: Naja, also ich glaube, dass Dieter Kosslick gerade sehr gestresst war, insofern verstehe ich das. Was ich ein bisschen schade finde, ist: Ich hatte eigentlich auch noch vor, eine Podiumsdiskussion zu machen, und habe das einfach nicht mehr gestemmt gekriegt. Ich habe einfach keinen Ort gefunden, wo wir das machen konnten, und da hätte ich mir ein Entgegenkommen gewünscht, dass sie uns einfach einen Ort geben. Aber vielleicht waren wir auch noch ein bisschen knapp mit unserer Anfrage.
    Jahn: Wann würden Sie Ihre Initiative #Nobodysdoll als Erfolg werten?
    Brüggemann: Ich würde sagen, wenn die Hälfte der Bilder - die wir so finden in den sozialen Netzwerken und in den entsprechenden Magazinen - Frauen zeigen, die eine glückliche, souveräne Ausstrahlung haben und nicht irgendwie gehetzt und verhungert und verängstigt wirken. Sie wissen, was ich meine, natürlich strahlen die alle und sind wunderschön und so weiter. Aber ich finde, da ist immer eine Angst in diesen Blicken, die ich nicht mag.
    Jahn: Die Schauspielerin Anna Brüggemann, die mit ihrer Initiative #Nobodysdoll die Gleichberechtigung auf den roten Teppich holen will. Bei der am Donnerstag beginnenden Berlinale sollen Schauspieler auf die klassische Rollenverteilung in der Kleiderordnung verzichten. Wir werden genau beobachten, Frau Brüggemann, was Sie dann tragen. Sie haben es ja noch nicht verraten.
    Brüggemann: Ja, ich habe es nicht verraten, weil ich auch gar nicht will, dass da alle so genau hingucken.
    Jahn: Wir werden es trotzdem tun. Danke Ihnen für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.