Stationen einer Reise

09.10.2012
Der Pole Adam Zagajewski ist Dichter wie man Fußgänger oder Raucher sein kann: gewohnheitsmäßig. Melodiöse Schönheit interessiert ihn kaum. Seine Erinnerungslyrik über die Rückkehr aus dem Exil lebt von aphoristischen Weltbetrachtungen.
Adam Zagajewski ist vielleicht der letzte der großen polnischen Dichter, für die das Bewusstsein von Geschichtlichkeit wesentlicher Teil der lyrischen Arbeit war: Czeslaw Milosz, Zbigniew Herbert oder Wislawa Szymborska gehörten einer früheren Generation an, aber Zagajewski, Jahrgang 1945, denkt und schreibt ähnlich wie sie stets in Bezug auf europäische Traditionen, auf der Grundlage einer kanonischen Bildung und in beständiger kritischer Auseinandersetzung damit.

Er begann als einer der engagierten Dichter der polnischen "Neuen Welle" in den späten 1960er-Jahren und fand im Laufe der Jahrzehnte zu einem milden, kontemplativen Ton, der mit Kernaussagen, Fakten und Gefühlen gleichermaßen vorsichtig umgeht. Man könnte auch sagen: respektvoll. Fakten können sich ändern, Gefühle tun es sowieso.

Das aktuelle deutsche Band versammelt Gedichte, die nach Zagajewskis Rückkehr aus dem Exil nach Polen in drei Bänden (2003, 2005 und 2009) erschienen sind. "Rückkehr" ist auch Titel und zentrales Thema des ersten Teils: Die Wiederbegegnung mit der Stadt Krakau, in der er seine intellektuelle Laufbahn begann, mit Gleiwitz, wohin die Familie nach dem Krieg umgesiedelt worden war - und Lemberg, wo er geboren wurde, begeht er in einer schwebenden, impressionistischen Erinnerungslyrik. Aber auch die Stationen seiner vielen Reisen im Laufe seines freiwilligen Exils in den USA, kurzzeitig auch in Berlin und in Paris, werden zum Thema:

"Die Dämmerung bricht an. Von Osten kommt die ernste Nacht, / wortkarg und besorgt / Die Nacht kommt aus Asien und stellt keine Fragen."

So lautet eine Strophe des Gedichts "Jardin du Luxembourg". Die Verbundenheit mit der Heimat stellt sich nur über die Himmelsrichtung her, und das auch nicht sehr innig. Wehmut ist da keine, und die nächste Strophe mündet in eine vorsichtige Zufriedenheit, wie das Ergebnis eines gelungenen Arrangements:

"Wie schön ist das Fremdsein, welch kaltes Glück."

Zagajewski, kein Dichter der eleganten Formen, melodiöse und metrische Schönheit interessiert ihn kaum. Er ist ja bekannt als ausgezeichneter Essayist, und ein solcher bleibt er eben auch, wenn er dichtet: Aphoristisch zugespitzte Weltbetrachtungen sind das Einprägsamste an diesen sehr zugänglichen Gedichten. Eines davon ("Antennen im Regen") besteht konsequenterweise vollständig aus solchen aneinander gereihten disparaten Sprach- und Erkenntnissplittern.

Die Stärke dieser Lyrik also ist die Formulierung, das richtige Wort, das plötzlich ins Zentrum eines Verses gesetzt wird; und die Übersetzung von Renate Schmidgall folgt diesem Prinzip überzeugend.

Zagajewski ist ein Dichter wie man Fußgänger oder Raucher sein kann: gewohnheitsmäßig. Eine Frage der Haltung, eine Form des Umgangs mit der Welt. Seine Gedichte erzählen viel aus dem Alltag, beschreiben Personen, Straßen und Wetterlagen, fassen Gedanken im Café oder im Flugzeug zusammen. Vielleicht möchte man nicht alles davon teilen - aber doch sehr vieles.

Besprochen von Katharina Döbler

Adam Zagajewski: Unsichtbare Hand
Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall
Edition Lyrik Kabinett bei Hanser, München 2012
128 Seiten, 14,90 Euro