Stasi-Akten-Einsicht

Die Neugier der nächsten Verwandten

Aktenschränke in einem Gebäude des früheren Archivs der DDR-Staatssicherheit, aufgenommen am 13.07.2012 in Berlin.
Aktenschränke in einem Gebäude des früheren Archivs der DDR-Staatssicherheit. © picture-alliance / dpa / Soeren Stache
Von Susanne Arlt · 03.11.2014
Seit knapp drei Jahren dürfen nicht nur direkt Betroffene, sondern auch die nächsten Verwandten Akten in der Stasi-Unterlagenbehörde einsehen. Das hilft den Kindern und Enkelkindern, ihre Familiengeschichten in der DDR zu verstehen.
Manfred Füger: "Lassen sie das Wort, unter dem wir unsere Revolution angetreten haben, auch heute in dieser Stunde bewahren. Keine Gewalt, ich bitte Sie, keine Gewalt."
15. Januar 1990. Tausende Menschen versammeln sich am späten Nachmittag vor der Stasizentrale in Lichtenberg. Als sich das Tor plötzlich öffnet, stürmen einige hundert Demonstranten auf das Gelände, besetzen Teile des Gebäudes. Rias-Reporter Manfred Füger berichtet live und zitiert Konrad Weiß von der Bürgerbewegung Demokratie Jetzt. Der Bürgerrechtler versucht, die aufgebrachte Menge zu beschwichtigen. Dennoch werden an diesem Abend einige Räume verwüstet, auch Akten verschwinden. Wer sie entwendet hat, ist bis heute ungewiss. Doch eines steht fest: Dieser Abend ist der Anfang vom Ende des DDR-Ministeriums für Staatsicherheit.
Die sichergestellten Stasi-Akten verwahrt seitdem die Behörde des Bundesbeauftragten Roland Jahn in ihren Archiven. Bislang wurde mehr als drei Millionen Mal ein Antrag auf Akteneinsicht gestellt. Hinzu kommen die Anfragen von Wissenschaftlern und Journalisten. Und seit knapp drei Jahren dürfen nicht nur direkt Betroffene, sondern auch die nächsten Verwandten die Akten ihrer verstorbenen Angehörigen einsehen. Etwa zehn Prozent aller Erstanträge stammten von diesen Bürgern, sagt Roland Jahn.
"Und das ist, denke ich, auch eine Erkenntnis, dass ja Aufarbeitung über Generationen hinausgeht, dass Aufarbeitung etwas ist, was auch wichtig ist in der nächsten Generation und nicht nur für die, die in dieser Zeit gelebt haben."
Mit der Mutter Hals über Kopf nach Köln
Fast die eine Hälfte ihres Lebens hat Eike Malgut-Krumsdorf in der DDR gelebt. Wenige Wochen nach der friedlichen Revolution packte ihre Mutter Hals über Kopf ihre Koffer, verließ die Heimatstadt Halle an der Saale und zog mit ihrer damals 16-jährigen Tochter nach Köln. Im Westen wollte sie sich ein neues Leben aufbauen, einen Neuanfang wagen. Erst Jahre später erfuhr Eike Malgut-Krumsdorf den wahren Grund. Ihre Mutter hatte damals Angst vor der Stasi.
Als Fürsorgerin hatte sie in Halle in einer Klinik Patienten mit Geschlechtskrankheiten betreut. Aber dabei ging nicht nur das Wohl des Patienten. In der DDR mussten Menschen mit einer Aids-Erkrankung sofort gemeldet werden. Viele seien noch im Krankenhaus von der Polizei abgeholt worden, erzählte später die Mutter ihrer Tochter. Eine schwierige Situation.
"Meine Mutter hatte von Patienten die Akten geschönt oder auch verschwinden lassen. Sie hat dann Geschlechtspartner einfach nicht angegeben von den Personen, weil sie nicht wollte, dass diese Leute dann Probleme bekommen. Oder sie hat dann wirklich Akten von ihren eigenen Patienten verschwinden lassen. Wie sie das gemacht hat, ob sie die verbrannt hat die Akten, geschreddert hat, irgendwo versteckt hatte oder bei uns zuhause hatte, das weiß ich nicht."
Aufklärung einfacher für Nachfolgegeneration
Ihre Mutter wurde unter Druck gesetzt: Sie solle sich in Acht nehmen. Man wisse, dass sie die Akten frisiere. Darum habe sie damals die DDR so schnell verlassen, erzählt Eike Malgut-Krumsdorf. Später wollte ihre Mutter bei der Stasiunterlagenbehörde Akteneinsicht beantragen, habe es aber immer vor sich hergeschoben. Das will die Tochter jetzt nachholen. Sie will wissen, was ihre Mutter getan hat und wer sie womöglich bei der Stasi anschwärzt hat. Die Informationen, die sie bei der Stasi-Behörde möglicherweise findet, möchte sie nicht gegen irgendjemanden verwenden, sagt die heute 41-Jährige. Sie will nur wissen, was damals wirklich passiert ist und sie findet wichtig, all das endlich aufzuarbeiten.
"Ich glaube, das ist vielleicht von der Nachfolgegeneration, also von uns, jetzt sicher einfacher, für Aufklärung zu sorgen als für unsere Elterngeneration, die da mitten drin gewesen sind. Wir sind unbedarfter. Meine Generation kann sagen, ich habe da meine Kindheit und Jugend verbracht, aber ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen, ich war ja nicht irgendwo dabei. Für unsere Elterngeneration ist das schon schwieriger. Die haben halt diesen Staat aufgebaut und mitgetragen."
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