Start-up JoinPolitics

Junge Talente für den Politikbetrieb gesucht

07:31 Minuten
Die Talente Verena Hubertz (l) und Tiaji Sio (r) und Caroline Weimann in der Mitte.
Die Talente Verena Hubertz (l) und Tiaji Sio (r) und in der Mitte die Gründerin von JoinPolitics Caroline Weimann. © JoinPolitics / Benjamin Jenak
Von Charlotte von Bernstorff · 29.03.2021
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Alexandria Ocasio-Cortez und Barack Obama sind in den USA Politikstars. Wieso hat Deutschland nicht solche Persönlichkeiten? Das Start-up JoinPolitics möchte das ändern und fördert junge Talente gezielt für die Politik.
"Wenn wir dann in diesen Fellow-Diskussionen sind und die Fellows einfach reinkommen, dann springt auch wirklich rein, schnappt Euch das auch wirklich."
Tiaji: "Ja."
"Super." "Fühl dich ganz wie zu Hause."
Tiaji: "Bis gleich."
Tiaji Sio ist erst 24 Jahre alt. Doch sie hat einiges vor.
"Aktuell sind wir ja noch ganz in der Anfangsphase. Diversity ist aus dem Auswärtigen Amt heraus entstanden, mit der Gruppe Diplomats of Colour. Und als nächsten Meilenstein wollen wir sozusagen in den anderen 13 Bundesministerien Diversitätsnetzwerke etablieren und dann Diversity als Dachverband."
"Tiaji ist mir zum ersten Mal auf Social Media begegnet. Sie ist mir aufgefallen durch ihr Engagement. Sie hat einige Initiativen schon in der Vergangenheit gestartet. Und ich fand sie spannend, habe sie angeschrieben. Sie hat sofort reagiert, wir haben telefoniert und es war ein Glückstreffer."


Caroline Weimann ist Gründerin von JoinPolitics. Mit ihrem Unternehmen will sie frischen Wind in den Politikbetrieb bringen.
"Wir haben in den letzten Jahren neben vielen Menschen, die wir nicht in der Politik sehen wollen, auch viele inspirierende Menschen weltweit gesehen, wie eine Jacinda Ardern oder eine Alexandria Ocasio-Cortez in den USA oder einen Barack Obama, die mit neuen Methoden und einer besonderen Persönlichkeit geschafft haben, auch wieder eine Begeisterung für Politik zu entfachen. Und mehr solcher Leute wünschen wir uns auch für Deutschland. Wir glauben, wir haben sie, wir glauben aber, dass sie vielleicht angesprochen, gefunden, motiviert werden müssen, um diesen Schritt zu gehen."
Newcomerinnen haben es nicht leicht in der Politik. Ohne Netzwerk, ohne Fürsprecher und ohne Geld wagen viele den Sprung in die Politik nicht – trotz politischem Interesse und guten Ideen.
"Ich habe vorher in der Social-Startup-Welt gearbeitet und habe gesehen, dass es da sehr viele Anlaufstellen gibt, Unterstützungsprogramme, wo Menschen sind, die an einen glauben und einen unterstützen. Ähnliches gibt es in der Politik erst mal so nicht. Und wir haben uns überlegt, wie können wir das, was in der Startup-Welt und Social- Startup-Welt funktioniert, da wo die ganzen jungen Leute hinströmen, wie man Ansätze daraus auch auf die Politik übertragen kann."

Es wird aktiv auf Menschen zugegangen

Über zweieinhalb Millionen Euro hat JoinPolitics von Privatpersonen eingesammelt – alles transparent auf der Website nachzuvollziehen. Der Löwenanteil stammt von acht Personen, die über 100.000 Euro gespendet haben. Die Geldgeber haben sich verpflichtet, keinen Einfluss auf Förderentscheidungen zu nehmen, und JoinPolitics legt Wert auf deren überparteiliches Denken. Einen finanziellen Return gibt es nicht.
Bis Anfang des Jahres konnten sich Teams und Einzelpersonen mit ihren Ideen bei JoinPolitics bewerben. Das mit Caroline vierköpfige Talent-Komitee ist in dem Prozess auch aktiv auf Menschen zugegangen, hat "Talente gescoutet", wie sie sagt.
"Was mich besonders gefreut hat an dem Bewerbungsprozess, dass wir besonders die Leute ansprechen, die häufig unterrepräsentiert sind in der Politik. 50 Prozent der Bewerber*innen sind Frauen. Über 20 Prozent haben einen Migrationshintergrund. Wir haben sehr viele Querwechsler in die Politik."
Am Ende sind 113 Bewerbungen eingegangen. Aber nur vier haben es in die sogenannte Seed-Phase geschafft. Ähnlich wie in der Start-up-Szene bekommen die ausgewählten Talente Startkapital – zunächst 50.000 Euro. Neben der finanziellen Unterstützung bietet JoinPolitics Know-how und ein Netzwerk von Coaches und Fellows, die die Talente beratend begleiten. Darunter sind Juristinnen, Lokalpolitiker, Unternehmerinnen und Politikberater.

"Politische Talente erkennen wirklich Lücken im System"

Bei JoinPolitics stehen Persönlichkeiten im Vordergrund. Aber wie definieren sie ein politisches Talent?
"Zunächst mal erkennen politische Talente wirklich Lücken im System. Politische Talente sind aber auch die, die da konkrete Lösungen entwickeln wollen und drittens auch die Fähigkeiten und das Potenzial mitbringen, da etwas zu bewirken."
Das kann auf unterschiedlichen Wegen passieren. Die Talente können ihre Idee mit ihrer eigenen Person in die Politik tragen, mittels einer Kandidatur für ein Amt oder Mandat. JoinPolitics unterstützt aber auch Menschen, die anders politischen Einfluss nehmen wollen, zum Beispiel in Form einer Interessenvertretung. Wie Tiaji Sio.
"Ich glaube, meine größte Motivation ist es, mich für eine gerechtere Gesellschaft einzusetzen und für eine partizipativere Form von Verwaltungshandeln und von Politik und dass sich die diverse Gesellschaft, in der wir in Deutschland leben, auch in politischen Entscheidungspositionen wiederfindet."
"Heute ist der erste JoinPolitics Talent Day. Wir bringen zum ersten Mal die vier neuen Talente zusammen, die lernen sich kennen. Heute Nachmittag werden sie die Fellows von JoinPolitics kennenlernen."
Es soll ein Unterstützungsnetzwerk entstehen. Das Treffen findet analog statt, im Büro von JoinPolitics in Berlin Mitte, Corona getestet versteht sich. Die Fellows werden per Video zugeschaltet.
"Ja, es war so total viel Inspiration und Energie und Dynamik im Raum, weil jeder auf seine ganz eigene Weise was bewegen will, und ich bin total beeindruckt von allen und freu mich jetzt. Wir haben schon eben Nummern ausgetauscht, es gibt jetzt schon eine Whatsapp-Gruppe."

Gründerin möchte Unternehmergeist in die Politik bringen

Verena Hubertz ist ein weiteres der vier ausgewählten Talente. Sie will einen Zukunftsfond 2.0 aufsetzen, der zwei Herausforderungen zugleich lösen soll: fehlendes Investitionskapital und die Rentenfrage.
"Ich bin in der SPD, bewerbe mich für den Bundestag in meiner Heimatstadt Trier, habe aber zwei Hüte an. Ich bin auch Gründerin und Unternehmerin und habe die letzten sieben Jahre ein Start-Up aufgebaut, Kitchen Stories."
Verena will Unternehmergeist in die Politik bringen. Mit Sicherheit fordern die großen Herausforderungen unserer Zeit Ideenreichtum und Mut. Aber eignet sich der risikobereite Ansatz aus der Gründerszene auch für die Politik?
"Ich habe auch zu JoinPolitics gesagt, es ist so ein bisschen wie der Notartermin beim Gründen: Jetzt glauben auch noch andere an mich und an die Idee, und jetzt geht es richtig los, und dieses große Rad drehen wir jetzt mal gemeinsam."
Für Verena Hubertz wird sich schon im Herbst zeigen, ob sie mit ihrer Kandidatur für den Bundestag erfolgreich ist. Die Teams, die längerfristig Unterstützung brauchen – wie vermutlich Tiaji Sios Diversitätsnetzwerk – können sich nach sechs Monaten für eine weitere Förderung von bis zu 150.000 Euro bewerben.
Die Entscheidung, wer gefördert wird, liegt letztlich in den Händen von Caroline Weimann und ihrem Team. Sie sind mit einer wichtigen Mission angetreten: Politik vielfältiger, transparenter, integrativer und mutiger machen. Ob ihnen das auch nachhaltig gelingt, hängt vom Erfolg der Talente ab.
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