Start in die Spielsaison

Diana Damrau in der Paraderolle der Callas

Von Burkhard Müller-Ullrich · 08.12.2013
Großes Lob, Buhs und Verrisse bekommt Dmitri Tcherniakovs "La Traviata"-Inszenierung in Mailand. Außerdem gratulieren die Feuilletons dem scheidenden Chef des Hanser-Verlags, Michael Krüger, zum 70. Geburtstag
Wie immer am 7. Dezember, am Namenstag des Heiligen Ambrosius, des Stadtpatrons von Mailand, wurde die neue Spielsaison der Scala eröffnet, diesmal zum Abschluss des Verdi-Jubiläumsjahres mit „La Traviata“, einer Oper, die zu den Paradestücken von Maria Callas zählte, und mit der die Callas 1955/56 gerade an der Scala Musikgeschichte schrieb – damals in einer Inszenierung von Luchino Visconti und mit Carlo Maria Giulini am Pult.
Diesmal sang eine blonde Deutsche die Titelpartie: Diana Damrau, und Reinhard Brembeck schreibt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, sie habe damit
"endgültig die höchste Stufe des Operngesangs erreicht. (…) Was Damrau, 42, zusammen mit ihrem Regisseur Dmitri Tcherniakov hier schafft, ist eine Sternstunde im trüben Operngeschäft."
Auch Manuel Brug findet in der WELT nur Lobesworte für eine neue Rollenauffassung der Traviata, die nicht die kranke Edelnutte, sondern eine vergnügungssüchtige High-Society-Frau ist, die an der echten Liebe zerbricht.
"Der russische Meisterregisseur Dmitri Tcherniakov inszenierte ruhig, analytisch-kühl, modern in historisierendem Ambiente",
urteilt Brug. Doch in der SZ heißt es:
"Das traditionell gesinnte Publikum wie die Presse, der ‚Corriere‘ wie ‚La Repubblica‘ haben für soviel Realismus und Moderne im heiligen Opernbetrieb denn auch wenig Verständnis: Buhs und Verrisse für die so zurückhaltende wie intelligente Regie."
In dieses Horn blies schließlich auch Dirk Schümer von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, indem er befand:
"Dmitri Tcherniakovs Regie verpasste leider die Gelegenheit, dem Verdi-Jubiläumsjahr einen intellektuell adäquaten Abschluss zu bescheren. Was immer den russischen Regisseur – sonst kein konzeptuelles Leichtgewicht – dazu bewogen hat, Giuseppe Verdis liebste und gehaltvollste Liebende von der tragischen Glamourdirne in ein zerzaustes Hausmütterchen umzustylen – es war keine gute Idee."
Der Blick in die Feuilletons zeigt wieder einmal, daß Opernkritik praktizierter Pluralismus ist und außerdem tolle Formulierungen hervorbringt, wie hier das Rätsel von der „gehaltvollen Liebenden“.
So etwas wäre auch ein Fall für den scheidenden Chef des Hanser-Verlags Michael Krüger, dessen 70. Geburtstag Gregor Dotzauer im TAGESSPIEGEL unter anderem mit folgendem Hinweis feiert:
"Es gibt keine vernichtendere Art der Literaturkritik als zu erleben, wie er schiefe Bilder, verbrauchte Metaphern und hohlen Gefühlsüberschwang mit kaum merklichem Gift so einspeichelt, daß sich alles Gestelzte und Klappernde nur noch in Krämpfen windet."
Das Erfolgsgeheimnis dieses literarischen und literaturbetrieblichen Tausendsassas erklärt Mara Delius in der WELT folgendermaßen:
"Ein Verleger bindet Autoren an sein Haus nicht nur indem er sich interessiert, sondern indem er auch selbst interessant ist."
Mal sehen, ob Krüger für alle noch so interessant bleibt, wenn er endlich den Roman fertig hat, in dem er, wie der TAGESSPIEGEL mitteilt, Bilanz ziehen will.
"Sein Arbeitstitel heißt nicht zufällig 'Das Testament'."
Passend zu Michael Krügers Weltläufigkeit thematisiert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG das 50-jährige Bestehen des DAAD-Künstlerprogramms. Ingeborg Bachmann, George Tabori, Stanislaw Lem, Susan Sontag und viele andere haben mit diesem Programm jeweils ein Jahr lang in der Frontstadt Westberlin gelebt. Aber welchen Zweck hat das Programm noch nach dem Fall der Mauer? Die Erklärung von Felix Stephan in der SÜDDEUTSCHEN lautet wie folgt:
"Ein WG-Zimmer in Neukölln beziehen und sich morgens um fünf bei seinem Dealer als Künstler ausgeben kann jeder. Eine Wohnung in den grünen Vierteln Westberlins, eine Ausstellungsfläche in der Zimmerstraße in Berlin-Mitte, Zugang zu einem schier unerschöpflichen Reservoir zugewandter Intellektueller, die nicht genug davon bekommen können, Künstlern beim Künstler-sein zuzuschauen, und die Möglichkeit, mit den einflussreichsten Köpfen der Hauptstadt zu Abend zu essen – das bekommt man nur hier. Für die meisten Stipendiaten ist der Aufenthalt in Berlin der erste Versuch, gleichzeitig Künstler und Bourgeois zu sein."