Roman

Gut lesbarer literarischer Versuch

Blick auf eine Hauptverkehrsstraße in Los Angeles, Kalifornien
Blick auf eine Hauptverkehrsstraße in Los Angeles, Kalifornien. Hier stolpert der Protagonist Tim Wilkins durch sein Leben. © dpa / picture alliance / Udo Bernhart
Von Edelgard Abenstein · 25.04.2014
In Franka Potentes Debütroman gibt sich der Endvierziger Tim Wilkins genüsslich dem Scheitern hin. Wir erfahren, wie er wurde, was er ist und wie er sich am eigenen Schopf aus dem Unglück zieht. Obwohl die Geschichte etwas zu glatt läuft, überzeugt sie mit spannenden und dichten Momenten.
Wenn Schauspieler schreiben, erwartet man Episoden aus deren illustren Leben. Franka Potente, bekannt aus dem Film "Lola rennt" und seit einigen Jahren wohnhaft in Los Angeles, unterlief diese Erwartung bereits mit einem Band von Erzählungen ("Zehn"), die in Japan spielen. Auch in ihrem Debütroman erzählt sie nicht von sich selbst, obwohl sie diesmal ihre neue Heimat zum Schauplatz des Geschehens macht.
Tim Wilkins, ein Endvierziger, hat mit einem Schlag alles verloren: seinen Job als Banker, die Ehefrau, den Sohn, die Freunde. Von nun an stolpert er durch sein Leben, besäuft sich bis zur Besinnungslosigkeit. Statt zu kämpfen, stopft er sich mit Junkfood und Drogen voll, konsumiert laute Musik, Sex, hängt auf Partys herum. Als sei sein Ziel, ganz unten anzukommen, wofür dieser Hiob im Schatten von Hollywood ein erstaunliches Maß an Energie aufbringt.
Eingestreut in den Strudel der Verwahrlosung sind Erinnerungen an eine unglückliche Kindheit, an verstörende Freundschaften und Verrat. Potentes Sprache ist schlicht, sie kommt nur mit den nötigsten Adjektiven aus. Wie in einem wohl kalkulierten Drehbuch sind neben die Abwärtsstationen vielfach absurde bis komische Momente gesetzt, wenn Wilkins seinem erfolgreichen Sohn eine Szene macht, und zwar in einem angesagten Beverly-Hills-Restaurant oder wenn er bei der Großmutter einer zwanzigjährigen Zufallsbekanntschaft artig Kakao trinkt.
Genaue Beobachtungsgabe, große Stimmung
Potente leuchtet ihre Szenen aus wie Filmsets, gerade dann, wenn ihr Held in Selbstmitleid zu versinken droht. Sie setzt auf Tempowechsel und auf den Gegensatz von selbstreflexiven Passagen, in denen Verdrängtes an die Oberfläche kommt, - etwa, dass Wilkins seit jeher an Wutausbrüchen litt und seine Frau schlug -, und akribisch notierten Details wie einer vollgekotzten Badewanne.
Dass am Ende doch alles gut ausgeht, hat der Titel - "Allmählich wird es Tag" - bereits verraten: Wilkins zieht sich am eigenen Schopf aus dem Schlamassel. Er räumt die Wohnung auf, sucht einen neuen Job, versöhnt sich mit seiner Familie. Das läuft allzu glatt, oft gewürzt mit Versatzstücken aus dem melodramatischen Genre. Als einziges Andenken an den Vater nimmt er nach dessen Tod den Gürtel mit, mit dem er in seiner Kindheit regelmäßig gezüchtigt wurde - und schnallt ihn sich um die Hüften.
Und doch ist das Buch streckenweise spannend wie ein Krimi. Geschickt legt die Autorin falsche Fährten, wenn es darum geht, ob und ab wann aus dem besten Freund ein Rivale wurde und mit wem die Ehefrau durchbrannte ("das Bild einer gebräunten Männerhand, souverän und ruhig auf dem Steuer ruhend, hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt").
Da schillern Bilder in gedeckten Farben und zeugen von genauer Beobachtungsgabe, da wird große Stimmung geschaffen. Dazwischen erstrecken sich aber auch Passagen, die den Absturz allzu ausufernd und die zweite Chance allzu berechenbar abfeiern. Es sind eher die atmosphärisch dichten Momente, die aus Potentes erstem Roman einen gut lesbaren literarischen Versuch machen.

Franka Potente: "Allmählich wird es Tag"
Piper-Verlag München 2014
304 Seiten. 19,99 Euro

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