Stahlträger als Kunst

Von Ulrike Gondorf · 28.05.2009
Der Berliner Künstler Raimund Kummer spürt "unsichtbare" Kunst auf der Straße auf und hebt sie durch gestalterische Eingriffe hervor. Mit rot gestrichenen T-Trägern oder Trafokästen zieht er die Aufmerksamkeit von Passanten auf sich. In einer Retrospektive gibt das Kunstmuseum Bonn einen Überblick über das Werk, das Kummer in drei Jahrzehnten geschaffen hat.
15 Augen lauern auf den Besucher: schwarz-rot geäderte Augäpfel mit trüben Pupillen, schaurig-schön aus leuchtendem Murano-Glas gefertigt, umrankt vom Netzwerk der Adern, die sich wie Fangarme ausstrecken - seltsame Zwitter aus medizinischen Modellen und alptraumhaften Riesenkraken. "For Your Eyes Only" heißt die Ausstellung von Raimund Kummer im Bonner Kunstmuseum, und dass es ums Sehen geht bei diesen Arbeiten, wird einem nicht erst in diesem spektakulären letzten Saal klar.

"Gewissheiten erschüttern find ich richtig gut","

sagt der Künstler und verweist damit auf einen roten Faden, der seine Arbeiten aus drei Jahrzehnten verbindet. Sie sind alle Versuchsanordnungen zum Thema Wahrnehmung. Wer dem Parcours der Exponate folgt, den Kummer gemeinsam mit dem Kurator Dr. Christoph Schreier aufgebaut hat, der entdeckt Verbindungslinien von dieser fast metaphysisch anmutenden Installation zurück zu den Aktionen, mit denen Raimund Kummer und seine Künstlerkollegen Herman Pitz und Fritz Rahmann 1980 das heute schon legendäre "Berliner Büro" begründeten. Drei bühnenartige Installationen, auf denen ein rot gestrichenes Fahrrad, ein Packen roter Overalls, eine schon ganz altmodisch wirkende Mittelformat-Kamera auf einem Stativ paradieren, zeigen dem Besucher Kummers Werkzeuge von damals, als der gelernte Maler nach Abschluss seiner Ausbildung statt ins Atelier auf die Straße ging.

""Ich wusste nicht, wohin die Reise noch gehen kann, es war eher eine Sackgassenerfahrung, dass ich in meiner Ausbildung als Maler und meiner Tätigkeit keinen Weg mehr sehen konnte, auf dem ich frei atmen konnte, mir fehlte ne neue Materialebene."

"Da hat sich der Realraum förmlich aufgedrängt."

"Jeder Raum ist ein Raum für Kunst" war Kummers Gedanke und er dokumentierte mit der Kamera, was ihm ästhetisch bemerkenswert erschien auf Straßen, Plätzen, Brücken, Bahnhöfen und Baustellen - und machte dann bald einen weiteren Schritt.

"Ich dachte, ich kann das sehen, aber ich möchte dem unbekannten Passanten etwas zeigen. Er geht und fragt: was ist denn hier los? Ich war fasziniert von der Anonymität. Niemand wusste, wer hat das gemacht, und das funktionierte aus solchen Zusammenhängen viel besser als ein Egostatement eines Künstlers im öffentlichen Raum."

Interventionen nannte das "Berliner Büro" diese Arbeiten und wurde damit zum Wegbereiter eines neuen und zukunftsweisenden Begriffs der Skulptur, der das Kunstwerk nicht nur als Objekt für sich betrachtet, sondern die Interaktion mit dem umgebenden Raum und dem Betrachter in den Vordergrund stellt. Auf einer Baustelle in Berlin-Kreuzburg, wo Kummer damals lebte, fand er den wichtigsten Protagonisten seiner Arbeit: einen T-Träger aus Eisen, den er rot anstrich.

"Es war extrem verflochten mit der politischen Situation Berlins – in dem Stadtteil, wo ich lebte, wurde grundsätzlich aufgeräumt durch Neubauten oder Entkernung, dass diese dichten Industriestrukturen – Hinterhof, Fabrik – wurden teilweise abgerissen, um die Lebensbedingungen zu verbessern."

"Für mich waren diese Arbeiten Zeichen, die auf das, was um die Zeichen herum geschah, hinweisen sollten."

Die Bonner Ausstellung zeigt in großzügigen Räumen und einer spannenden Abfolge, wie vielfältig sich das Werk von Raimund Kummer aus den dokumentarischen Aktionen von "Büro Berlin" heraus entwickelt hat: Analog zur Fotografie nutzte er auch die akustische Aufzeichnung, um Momentaufnahmen eines Geschehens festzuhalten.

Tonbandprotokolle eines Aufenthalts in New York kann der Besucher an einer Hörstation abrufen. Über Fotomontagen, in denen durch Mehrfachbelichtungen und Motivcollagen Wirklichkeiten inszeniert werden, die der Künstler erst erschafft, wird man an die großen, raumfüllenden Installationen herangeführt – und begegnet wieder dem T-Träger, der Kummer immer wieder herausgefordert hat und mit dem er in der Arbeit "Krummer Deutscher" 20 Jahre nach den ersten Aktionen ein komplexes Spiel der Wahrnehmung inszeniert. Der Eisenträger steht auf einer zwölf Meter langen Projektionsfläche, auf der in einem Video alle Etappen seiner künstlerischen Existenz von der Baustelle über verschiedene Präsentationen in Galerien und in einer Kirche bis zur aktuellen Schau im Bonner Museum gezeigt werden. Das zweidimensionale Bild wird über das dreidimensionale Objekt projiziert. Der Raum kommt durch die bewegten Bilder ebenso ins Fließen wie die Zeit, in der Vergangenheit vergegenwärtigt wird. Und der Betrachter muss seinen Standort wechseln, immer neue Blickwinkel suchen, um das Werk erfassen zu können.

"Es ist eine der Unternehmungen, die Grenzen von Wahrnehmung auszukitzeln, das ist hier absolut beabsichtigt."

"Letztendlich ist es wie ein Tanz, eine Kreisbewegung, das immer im Angesicht dieser Reliquie, die diese projizierte Fläche zerschneidet."

So sind der T-Träger aus den Abrisstrümmern und sein Entdecker also im Museum gelandet, das er im Übrigen auch mit seinen frühen Aktivitäten nicht habe bekämpfen wollen, erklärt Raimund Kummer. Denn das Museum als öffentlicher Ort biete der Kunst erst ein Forum, auf dem sie Debatten anstoßen, Auseinandersetzung provozieren, wirksam werden kann.

"Ich denke, Kunst ist immer politisch – und ich versteh mich in meiner künstlerischen Arbeit auch politisch."

"Ein Künstler ist per se auch beauftragt, als Spezialfall dieser Gesellschaft seine Wahrnehmung in den öffentlichen Raum zu stellen und von daher ist er eine politische Figur."

Service:
Raimund Kummer – "For Your Eyes Only”
Arbeiten 1978 – 2009
Kunstmuseum Bonn
28. Mai – 9. August 2009