Ständige Suche nach kreativen Impulsen

Von Ralf Bei der Kellen · 21.05.2011
Bob Dylan ist eine der schillerndsten Figuren der Popmusik und wird dieses Jahr 70 Jahre alt. Sein künstlerisches Schaffen war immer unstet - die größte Überraschung bereitete er seinen Fans aber 1978, als er sich dem Christentum zuwandte.
Gerade mal vier Akkorde brauchte Bob Dylan, um eine der bekanntesten Songs in der Geschichte der populären Musik zu schreiben: "Knockin' On Heaven's Door". Dabei war der Song ursprünglich nur ausschmückendes Beiwerk. Dylan schrieb ihn 1973 für eine Szene in dem Western "Pat Garrett And Billy The Kid", in der ein angeschossener Hilfssheriff mit Blick auf den Sonnenuntergang seinen Tod erwartet.

Dylan selbst spielt in dem Film die Rolle des "Alias" – ein treffender Name angesichts der vielen Identitäten, Masken und Schaffensphasen des Künstlers, der sich Bob Dylan nennt. Und diese Phasen waren immer wieder von Gläubigkeit und Religiosität durchdrungen.

Der als Enkel jüdischer Immigranten im US-Bundesstaat Minnesota geborene Robert Allen Zimmerman legt sich Ende der 50er Jahre den Künstlernamen Bob Dylan zu. 1961 geht er nach New York, wo er in den Folk Clubs von Greenwich Village auftritt und bald einen Plattenvertrag bekommt. Sein jüdisches Erbe scheint ihm zu dieser Zeit höchstens als Anlass für Komik zu dienen.

Zwei Jahre später beteiligt er sich an der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. In dieser Zeit entstehen neben Klassikern wie "Blowin’ In The Wind" auch Songs wie "With God On Our Side".

"Oh die Geschichtsbücher sagen es,
sie formulieren es so gut.
Die Kavallerie griff an.
Die Indianer waren tot.
Die Kavallerie brauchte nur
in sie rein zu reiten.
Oh das Land war jung
und hatte Gott auf seiner Seite."


Knut Wenzel: "'With God On Your Side' [sic] ist vor allem eine massive Kritik gegen die Versuche, den Gottesgedanken und die Religion politisch zu vereinnahmen, zu verzwecken. Und das ist eine Art von Religionskritik, die kann man nur unterschreiben, nicht?"

Knut Wenzel ist Professor für Fundamentaltheologie und Dogmatik an der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt am Main. In seinem Buch "HoboPilgrim – Bob Dylans Reise durch die Nacht" spürt er der religiösen Dimension im Werk Dylans nach. In den frühen Jahren manifestiert sich diese häufig in apokalyptisch gefärbten Texten. So zum Beispiel in "All Along The Watchtower" von 1967:

"Oben auf dem Wachturm
ließen Prinzen schweifen ihren Blick.
Unten kamen und gingen Frauen,
auch Diener, barfuss und gebückt.
Draußen in der Ferne hörte man
den Schrei des Kojoten.
Zwei Reiter nahten sich,
der Sturmwind begann zu toben."


Knut Wenzel begreift Bob Dylan als einen Suchenden, der, wie er es nennt, "zielstrebig orientierungslos unterwegs" ist, immer offen für neue Impulse, für neue Eindrücke. Und sogar für organisierte Religion, wie sich 1978 zeigte.

"Du kannst’n Prediger sein mit religiösem Ehrgefühl.
Du kannst’n Politiker sein, der heimlich Schmiergeld kassiert.
Du kannst in’nem Friseurladen arbeiten, weißt, wie man Haare färbt.
Du kannst jemandes Mätresse sein oder hast wen beerbt.
Aber irgendwem musst Du dienen, das steht fest.
Irgendwem musst Du dienen.
Well, ob es nun der Teufel ist oder der liebe Gott.
Aber irgendwem musst Du dienen."


Was sich auf dem Album "Slow Train Coming" von 1978 andeutet, tritt ein Jahr später auf "Saved" offen zutage: Bob Dylan hat sich dem christlichen Glauben zugewandt. Er besucht einen dreimonatigen Bibelkurs in einer Gemeinde von wiedergeborenen Christen. Dass kurz zuvor seine letzten Platten sowie sein Film "Renaldo and Clara" von den Kritikern niedergemacht wurden und er sich von seiner langjährigen Lebensgefährtin getrennt hat, macht ihn wahrscheinlich besonders empfänglich für Religion. Vielen alten Fans klingt er auf "Saved" zu predigerhaft. In späteren Jahren bewerteten viele Kritiker diese Phase als eine seiner produktivsten. Knut Wenzel:

"Er entdeckt nämlich hier auch, nachdem seine Krise vielleicht auch eine künstlerische Krise war, neues Inspirationspotenzial, nämlich in der Gospelmusik, die er bisher nicht so, sozusagen, 'angezapft' hat."

"Ich wurde gerettet
durch das Blut des Lamms.
Gerettet
durch das Blut des Lamms.
Gerettet. Gerettet.
Und ich bin so froh.
Ja, ich bin so froh.
Ich bin so froh. So froh.
Ich will Dir danken, Herr.
Ich will Dir danken, Herr. Danke, Herr."


"Aber, das muss man auch sagen, gemischt mit Texten, die, wenn man so will, ein bisschen 'bodenlos' sind in ihrer Qualität, weil sie eben so unverblümt und möglichst durch keinen Kunstanspruch gefiltert einfach Bekenntnis ablegen wollen und Zeugnis ablegen wollen. [Das] finde ich auch andererseits wieder beeindruckend, dass jemand so seine künstlerische Reputation auf’s Spiel setzt."

Weniger als die Meinung seines Publikums scheint Dylan allerdings die Suche nach kreativen Impulsen dazu gebracht zu haben, sich vom Christentum wieder abzuwenden. So antwortete er 1979 in einem Interview auf die Frage, ob auch das nächste Album wieder religiöse Musik beinhalten werde:

"Ich weiß noch nicht, wohin es gehen wird, aber ich bin sicher, dass es anders sein wird. Ich kann nicht noch mehr Alben in der Machart von 'Saved' aufnehmen, weil ich gar nicht so viele solcher Songs auf einmal schreiben kann. Daher wird das nächste Album wohl etwas anders, aber wie, das kann ich jetzt noch nicht sagen."

Auf dem nächsten Album "Shot Of Love" von 1981 finden sich neben Songs mit Titeln wie "Property Of Jesus", also "Besitz von Jesus" auch zweifelnde Töne. Das darauffolgende Album belegt dann, dass die christliche Phase vorbei ist: Auf dem Cover von "Infidels", zu Deutsch: "Ungläubige", sieht man Dylan 1983 auf dem Ölberg in Jerusalem. Im selben Jahr begeht er die Bar Mitzwa-Feier seines Sohnes angetan mit Kippa und Gebetsschal. Seine spirituellen Wurzeln sieht Dylan allerdings immer stärker auf ganz anderem Gebiet.

"Und dann gibt es eben dieses wichtige Interview aus dem Jahre 1997, anlässlich des Erscheinens dieses großartigen Albums 'Time Out Of Mind', wo er klar sagt: Er bezieht Kraft aus einer intensiven, ich würde sagen, 'religiösen' Erfahrung. Und um sie dingfest zu machen, verweist er nicht nur auf eine Religion, sondern auf ein Lied von Hank Williams: 'I Saw The Light'. Und in diesem Interview sagt er klar, er hat also abgeschlossen mit all den Repräsentanten verfasster Religion, er, so formuliert er da, hat nichts gelernt von Rabbis, von Predigern, von Evangelisten, 'und all diesen Leuten'. Seine Religion sind die Lieder, 'the songs'."

Und genauso, wie es für das Spielen von Folksongs keines Lehrers bedarf, bedarf Dylan keiner verfassten Kirche mehr, argumentiert Knut Wenzel. Mit dieser Haltung geht es Dylan wie vielen modernen Menschen: Er lehnt institutionalisierte Religion ab, begreift sich aber dennoch als gläubig. Und wenn Bob Dylan gläubig ist, war und ist dann vielleicht auch Robert Allen Zimmerman ein gläubiger Mensch? Knut Wenzel:

""Also mit der gebotenen Diskretion … würde ich das eindeutig bejahen. Aber damit ist … – man müsste jetzt wieder so viele 'abers' anfügen – damit ist keine Vereinnahmung gemeint, ja? Er ist gläubig zu seinen eigenen Bedingungen. Und diese Bedingungen sind ungeheuer produktiv."
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