Städtische Galerie

Wenn aus dem Einkauf im Baumarkt Kunst wird

Von Volkhard App · 13.04.2014
Nägel, Leuchtstoffröhren oder Abflussrohre, aufgewertet in der Kunst von Günther Uecker oder Tony Cragg. Zum Rahmenprogramm der Schau "Raw Materials - vom Baumarkt ins Kunstmuseum" gehört auch eine Besichtigung des örtlichen Handwerkerladens.
Schmale, lange Holzleisten streben von einem Mittelpunkt aus strahlenförmig in alle Richtungen. Trotz der fahlen Farben scheint von diesem Relief ein ungeheurer Glanz auszugehen. "Gloriole" nennt der in München lebende Künstler Martin Wöhrl seine sakral wirkende Wandarbeit. Dabei ist der niedrige Wert des Materials unverkennbar - es handelt sich um Schnittabfälle aus dem Baumarkt:
"Ich gehe hin, weil es dort das Material gibt, das ich brauche: Holzabfälle, Lacke, Farben, Schrauben. Und es hat wohl eine sehr lange Tradition - angefangen mit der Minimal Art, als die Künstler nicht mehr sogenannten Künstlerbedarf kauften, sondern normale Neonröhren verwendeten. Es geht auch darum, das Heilige der Kunst zu umgehen und stattdessen zu sagen: ich schöpfe aus dem Alltag, ich habe Material, das jeder kennt und aus dem mache ich ein Kunstwerk, das dann, finde ich, auch eine sakrale Wirkung haben darf. Ich habe ein Bedürfnis, ein schönes Werk zu schaffen. Vielleicht habe ich einen eigenen Begriff von Schönheit entwickelt, weil ich Abfallstücke nehme."
Nur gelegentlich haben die in Delmenhorst präsentierten Objekte den Charakter von "Readymades". So bei Andreas Slominski, der einen Zollstock in der Ausstellung platziert hat - und eine lange Verpackungsrolle, in der dieses Kunst-Stück auseinander gezogen verschickt wird. Timm Ulrichs wiederum hat drei Holzfaser-Dämmplatten an die Wand gehängt, die mit ihrer wechselnden Perforation wie abstrakte Bilder anmuten.
Kunststoffrohr als "Gordischer Knoten
In der Regel jedoch sind die Objekte aus dem Baumarkt kräftig verwandelt: da ist bei Ottmar Hörl ein dunkles, flexibles Kunststoffrohr vielfach in sich verschlungen, so dass es einen voluminösen "Gordischen Knoten" bildet und auf dem Sockel zum erhabenen Sinnbild wird. Zu den witzigsten Installationen zählt das von Mathieu Mercier in mehreren Etagen gebaute schwarze Regal mit roten Ordnern, blauen Sortierkästen und gelben Kellerlampen. Wer etwas Abstand nimmt, fühlt sich an Gemälde von Piet Mondrian erinnert.
Dass sich Künstler auf die Suche nach immer neuen Materialien begeben, ist Kennzeichen moderner Kunst. Wie und wann aber ist speziell der Baumarkt ins Spiel gekommen? Annett Reckert, Leiterin der Städtischen Galerie Delmenhorst:
"Hätte Marcel Duchamp in den Baumarkt gehen können, hätte er es 1917 sicher schon getan. Aber der ist für sein Urinoir und andere Objekte wohl in den Fachhandel gegangen. 1960 wurde bei uns der erste Baumarkt eröffnet. Und seitdem gibt es viele Künstler, die sich vom Baumarkt inspirieren lassen. Er bietet einfache, wie die Künstler sagen: unschuldige Materialien, die noch nicht mit Bedeutung aufgeladen sind. Und diese unschuldigen, oft armen Elemente werden jetzt auf die Bühne geholt und erhalten durch den künstlerischen Zugriff eine unglaubliche Aufwertung."
Umgang mit rohem Material
Kunst aus dem Baumarkt ist allerdings weitgehend eine Männerdomäne. Eine reizvolle Aufgabe, industriell genormtem Material individuelle Bedeutung zu verleihen:
"Das gehört in Häusern, die zeitgenössische Kunst realisieren, zur täglichen Erfahrung: Künstler wollen in den Baumarkt, in ihre Paradiese. Ich war oft schon die Chauffeurin, die den Künstler dorthin gebracht hat."
Große Namen aus der Frühgeschichte des künstlerischen Umgangs mit rohem Material sind in den Räumen eher spärlich vertreten. Ein Bild von Günther Uecker immerhin ist so rustikal in seiner Erscheinung, dass man glaubt, den Künstler noch beim Einschlagen der Nägel zu hören. Die Idee von Dan Flavins Leuchtstoffröhren wird von einem jüngeren Zeitgenossen aufgegriffen Zu den Paukenschlägen zum Schluss der Ausstellung gehört unter dem Titel "Die Predigt" eine imposante Arbeit von Tony Cragg: mit sich schlangenähnlich windenden Abflussrohren. Das rohe Material wird geradezu transzendiert.
Stirnrunzeln erwartet
Eine Retrospektive kann und will diese Präsentation nicht sein, dennoch ist sie mit ihren meist überzeugenden Werken geeignet, das profane Material ins Gespräch zu bringen. Und zu zeigen, wie es Künstler humorvoll pointiert und philosophisch aufgeladen haben. Wen wundert es, dass zum Rahmenprogramm auch die Besichtigung des örtlichen Baumarkts gehört - selbstverständlich unter künstlerischer Leitung?
Trotz aller Erfahrungen mit der Moderne, ihren Grenzüberschreitungen, erwarten die Veranstalter bei Teilen des örtlichen Publikums durchaus ein Stirnrunzeln:
"Davon bin ich überzeugt, dass wir Menschen mit diesen Arbeiten irritieren. Das hat sich jetzt schon in der Aufbauphase gezeigt. Es ist hinreißend, mit Menschen, die vom Fach kommen, Handwerkern, an die Arbeiten ranzugehen - wenn die ein Objekt aufbauen und sehen, dass aus der Restekiste des Baumarkts ein Werk von auratischer Schönheit werden kann."
Weil das rohe Material der Lebenswirklichkeit der Besucher so nahe ist, könnte ein altes, oft missverstandenes Beuys-Zitat neue Nahrung erhalten: "Jeder Mensch ist ein Künstler". Nun mit dem Zusatz: "dank Baumarkt".
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