Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

TTIP auf dem Evangelischen Kirchentag
So brav kann Protest sein

Die christlichen Kirchen in Deutschland stehen dem Freihandelsabkommen TTIP kritisch gegenüber - das zeigte auch der Evangelische Kirchentag in Stuttgart. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel stellte sich dort bei einer Podiumsdiskussion den Gegnern des Abkommens - eine friedliche und sachliche Protestveranstaltung.

Von Rainer Brandes | 06.06.2015
    Kirchentagsteilnehmer halten bei einem Flashmob im Vorfeld einer Veranstaltung im Programm des deutschen evangelischen Kirchentags Schilder mit der Aufschrift "Stoppen Sie CETA!" und "Stoppen Sie TTIP"
    Stiller Protest: Vor der Diskussion hielten die Zuschauer der Veranstaltung Schilder hoch. (dpa/picture alliance/Bernd SettnikWolfram Kastl)
    Die Organisatoren des Kirchentages haben sich einen besonders idyllischen Ort ausgesucht, um ein hoch kontroverses Thema diskutieren zu lassen: die Freihandelsabkommen TTIP und CETA mit den USA und Kanada. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Heinrich Bedford-Strohm, oberster Repräsentant der deutschen Protestanten, treffen in der Alten Kelter in Fellbach aufeinander - einer Fachwerk-Halle mit imposantem Dachgebälk hoch über Stuttgart.
    Drinnen spielt eine Jazzkapelle.
    Währenddessen verteilen Aktivisten des Online-Kampagnen-Netzwerks "Campact" schwarze Schilder an die Zuschauer. Darauf steht in großen roten Lettern: STOPPEN SIE CETA. Ein Campact-Aktivist erklärt:
    "Wir wollen heute Herrn Gabriel unsere über 400.000 Unterschriften gegen CETA, das Freihandelsabkommen mit Kanada, überreichen, und wir werden hier außerdem mit vielen Anwesenden, denen wir Schilder überreicht haben, den Bürgerprotest sichtbar machen."
    Die Zuschauer im Saal haben eine klare Meinung zu den Handelsabkommen. Und sie sind gut informiert.
    "Ich möchte nicht, dass Deutschland so einseitige Verträge abschließt, die eben zu unseren Lasten gehen. Und Amerika geht ja weniger auf uns zu als wir auf Amerika."
    "Weil ich das wichtig finde, da auch ein starkes Zeichen dem Minister mitzugeben, der sich da immer sehr versucht, aus der Affäre zu ziehen, weil diese Art von Abkommen erstens die Macht von Konzernen gegen Staaten verstärkt und weil diese bilateralen Freihandelsabkommen ganz eindeutig Abkommen sozusagen gegen den globalen Süden sind."
    "Weil ich weiß, dass Sigmar Gabriel für TTIP ist und ich glaube, dass die Mehrheit des Evangelischen Kirchentags dagegen ist, deswegen bin ich sehr gespannt auf die Diskussion."
    Bedford-Strohm: "Kann eine Zustimmung nicht empfehlen"
    Dann betreten entspannt plaudernd die beiden Kontrahenten den Saal: Sigmar Gabriel und Heinrich Bedford-Strohm.
    Wer jetzt einen lautstarken Flashmob erwartet hat, der wird enttäuscht. Protest auf dem Evangelischen Kirchentag: Heutzutage verläuft er äußerst brav und in geordneten Bahnen. Die etwa 1.000 Zuschauer erheben sich von ihren Sitzkartons und halten ihre Schilder hoch. Mehr passiert nicht. Offenbar sind die Kirchentagsbesucher an einer sachlichen Diskussion interessiert. Bevor diese startet, darf Campact noch die Unterschriften überreichen. Das ist mit dem Veranstalter abgesprochen.
    "Sie haben zwei Minuten, Herr Bartz, um zu begründen, was hier drin steht und kurz zu erklären, worum es ihnen geht. Zwei Minuten."
    Diese Vorsichtsmaßnahme des Moderators Peter Frey - im sonstigen Leben ZDF-Chefredakteur - wäre nicht nötig gewesen. Der Campact-Sprecher hält sich strikt an die Zeitvorgabe und ruft den Bundeswirtschaftsminister auf, keinem Abkommen zuzustimmen, in dem geheime Schiedsgerichte abseits der offiziellen Justiz Staaten verurteilen können.
    "Sie haben bei TTIP einen Vorschlag gemacht, der ist interessant: Einen Handelsgerichtshof zu erlassen und aufzubauen, als Alternative zu Schiedsgerichten, und solange bei CETA die alten Schiedsgerichte noch drin sind, sagen wir: Die SPD, ihr Vorsitzender, darf diesen Schiedsgerichten nicht zustimmen."
    Während der Podiumsdiskussion ist der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm bemüht, nicht als radikaler Gegner des freien Handels dazustehen. Doch es gibt für ihn klare Prinzipien, an denen sich eine faire Handelspolitik orientieren muss.
    "Die Frage ist, ist Handelspolitik Interessenspolitik eines Landes, viele Stimmen reden so. Oder hat Handelspolitik das Interesse zur Überwindung der Armut auf der Welt und das Ziel, ein menschenwürdiges Leben für alle Menschen auf dieser Erde zu erreichen. Handelspolitik ist die Flüchtlingspolitik der Zukunft."
    Er hält die Sorgen vieler Kritiker für berechtigt, die Handelsabkommen könnten unsere Sozial- und Umweltstandards aushebeln. Und dann spricht der Bischof den Satz aus, auf den die Zuschauer gewartet haben:
    "Deswegen kann ich nach dem gegenwärtigen Stand eine Zustimmung zu TTIP nicht empfehlen."
    Eine Resolution kam nicht zustande
    Da hat es der Bundeswirtschaftsminister nicht leicht, seinen Standpunkt zu verteidigen. Doch Sigmar Gabriel hat auch mit nichts anderem gerechnet.
    "Angesichts der Stellungnahme und der Schilder und der klaren Auffassung ist dann ja alles klar. Dann finde ich, machen wir uns einen netten Nachmittag und gehen mal raus in die Sonne. - Ich will mal versuchen - ich meine, ich werde ja jetzt hier nicht rausgehen und am Ende den gleichen Beifall bekommen wie er eben, das ist schon klar. Ich hab hier die Arschkarte gezogen heute, aber das ist schon in Ordnung. Teil meines Gehalts ist Schmutzzulage, das macht nichts."
    Tatsächlich aber entwickelt sich eine sehr sachliche Debatte. Sigmar Gabriel macht deutlich, warum er die Handelsabkommen eben nicht von vornherein ablehnt. In den Verhandlungen sieht er die Chance, die deutschen und europäischen Standards international festzuschreiben. Das Publikum hört aufmerksam zu. Von gelegentlichen Zwischenrufen lassen sich die beiden Kontrahenten nicht die gute Laune verderben.
    Bedford-Strohm: "Ich würde auch sagen, wenn jetzt Leute hier das Schild hochhalten und jetzt erst mal Stimmung ist, wenn Sie kommen, dann darf man das als Ausdruck einer..."
    Gabriel: "Wenn nicht, wäre ich enttäuscht."
    Bedford-Strohm: "Ja, eben!"
    Gabriel: "Ich bin ja nicht nur Lutheraner, sondern deshalb auch Mitglied im Verein für deutliche Aussprache..."
    Am Ende wollte der Kirchentag eigentlich noch eine offizielle Resolution gegen die Freihandelsabkommen beschließen. Doch daraus wird nichts. Drei Stunden Diskussion war für viele Besucher wohl zu viel. Von den ursprünglich 1.000 Teilnehmern sind nur noch 450 im Saal. Die Kirchentagsstatuten aber sehen für eine gültige Resolution mindestens 500 Teilnehmer vor.