Stadionsprecher

Die Lautsprecher

Von Wolf-Sören Treusch · 16.03.2014
Stadionsprecher beschreiten oft einen schmalen Grat: Sie sind Moderator und Fan in einem. Sie geben dem Profisport in Deutschland ihre Stimme - sie sind die Lautsprecher der Liga.
Lesen Sie hier Auszüge aus dem Manuskript:
Stadionsprecher, Hallensprecher, Ansager bei Sportveranstaltungen - fast alle sind sie Überzeugungstäter. Den Lebensunterhalt verdienen sie sich hier nicht. Im Stadion, auf dem Sportplatz oder in der Halle: da sind sie mit Herzblut und Leidenschaft dabei.
"Liebe Berliner Volleyballfans in der Max-Schmeling-Halle, bitte erhebt euch von Euren Plätzen."
Die Halle ist dunkel. Hunderte orangefarbener Leuchtstäbe fliegen aufs Spielfeld. Ein Verfolgerspot ist auf eine Ecke der Halle gerichtet. Die Cheerleader bewegen Po und Puschel, bilden ein Spalier. Mit einem lauten Knall steigen zwei Stichflammen in die Höhe, und dann kommen sie: die Spieler des aktuellen deutschen Volleyballmeisters, der Berlin Recycling Volleys.
Wie ein Entertainer steht Karsten Holland am Spielfeldrand. Er ist weit mehr als einfach nur Hallensprecher. Seit Ende der 90er-Jahre ist er die Stimme der BR Volleys, vormals SCC Berlin. Und er gibt nicht nur den Ansager. Er mischt sich auch konzeptionell kräftig mit ein. Musikeinspieler und Klang-Collagen, Pyro- und Licht-Effekte, Maskottchen und Cheerleader: Karsten Holland ist Teil des Event-Teams. Er ist mitverantwortlich dafür, dass der Besuch eines Volleyballspiels in Berlin neuerdings in ist.
"Da gab es die Konstellation: Dritter spielt gegen Erster, damals SCC Berlin Dritter gegen den Ersten VfB Friedrichshafen, wir haben es gemeinsam geschafft, dort knapp 8.000 Zuschauer hinzukriegen, das war damals bahnbrechend für den Volleyballsport, es war eine fantastische Stimmung, mit einem 3:2-Sieg für den SCC, wir waren unglaublich euphorisch und hatten ne knappe Woche später das nächste Highlightspiel, nämlich dann wir als Erster gegen den Zweiten, damals war das Unterhaching gewesen."
"Die Stimme hat gelitten"
Sonntagnachmittag, 19. Januar. Knapp 300 Kilometer südlich von Berlin geht es gemütlich zu. Noch. Jens Thielemann bereitet sich auf seinen Einsatz vor. In der Zweiten Deutschen Eishockey-Liga steht das Sachsenderby auf dem Programm: Eispiraten Crimmitschau gegen Lausitzer Füchse, vormals SG Dynamo Weißwasser.
Die Stimme von Jens Thielemann ist hörbar angeschlagen. In der vergangenen Nacht hat er kaum geschlafen. Er ist nicht nur Stadionsprecher der Eispiraten, sondern auch der Eisfighters aus Leipzig, eine Liga tiefer.
"Wir hatten ein Abschiedsspiel für unseren langjährigen Kapitän und anschließend noch eine Fanparty mit einer ganz tollen Band, und die Stimme hat gelitten, aber es war es wert. Und die Stimme kriegt man schon hin, die Mädels kümmern sich um mich mit heißer Milch und Honig, wir kriegen das hin zum Spiel."
Man könnte es jetzt unprofessionell finden, dass er die Nacht mehr oder weniger durchgefeiert hat. Aber: Jens Thielemann lebt Eishockey. Ohne einen Cent damit zu verdienen. Er liebt den Sport, weil er so intensiv ist, sagt er. Genauso hängt er sich als Stadionsprecher rein. Ob in Crimmitschau, in Leipzig oder früher bei den Saaleteufeln in Halle, einem Verein, der mittlerweile insolvent ist.
"Es heißt nicht umsonst Heimspiel, das heißt für mich auch: Der Sprecher hat erst einmal für die Heimmannschaft da zu sein und für die Fans. Klar, mittlerweile bin ich 44, und als ich begonnen habe, war ich knappe 30, da ist man auch am Mikrofon noch ein ganz anderer Heißsporn, ich war früher schon, gerade in meiner Zeit bei den Saaleteufeln Halle, anders drauf. Highlight: ein Spielabbruch beim Heimspiel drei Minuten vor dem Ende, weil der Schiedsrichter total entnervt zu mir ins Kampfgericht gefahren kam und sagte: 'Ich kann nicht mehr, wir brechen ab, Schluss, aus, die Sicherheit der heimischen Mannschaft ist nicht mehr gewährleistet.' Weil wir – mit meiner Hilfe sicherlich – das ganze Stadion so hoch gebracht haben, dass die Gästespieler komplett ausgetickt sind und sich sogar mit den Zuschauern geprügelt haben, aber an solchen Geschichten lernt man halt auch, wenn man sagt: passiert so was noch mal im Leben, lieber ein bisschen mehr bremsen, es kann auch mal schief gehen."
"Ich bin eigentlich der schüchternste Mensch der Welt"
Jens Thielemann ist eher schmächtig. Er trägt ein Sweatshirt des mehrmaligen Stanley-Cup-Gewinners Pittsburgh Penguins, um den Hals den Schal der Eispiraten. In der einen Hand den Thymiantee, in der anderen ein altes Tastentelefon.
Er begibt sich zur Sprecherkabine an der Bande. Dort warten auch noch zwei Flaschen Wasser auf ihn. Hat er eine Standleitung zur Toilette?
"Manchmal erwartet man die Drittelpause sehnsüchtig, aber es geht schon. Das Wasser ist einfach nur der praktische Effekt, dass die Stimmbänder nicht austrocknen, dass der Hals feucht bleibt, einfach nur weil wir auch geheizt haben, die Luft so trocken ist. Und es ist manchmal auch ein Nervositätsventil, dass man einfach was zu tun hat. Ich bin ja eigentlich der schüchternste Mensch der Welt. Es ist für mich jedes Mal ein Kampf, da raus zu gehen, aber ich muss."
Auf einem Banner über der Tribüne steht: "Herzlich willkommen im lautesten Stadion der Liga". 3513 Zuschauer erwarten heute nicht nur ein gutes Spiel ihrer Mannschaft, sie erwarten auch, dass ihnen der Stadionsprecher hilft, ihrem Ruf gerecht zu werden.
468 Kilometer westlich von Crimmitschau ist Regiebesprechung. Samstag, 15. Februar. Dreieinhalb Stunden bis Spielbeginn. In der BayArena trifft Gastgeber Leverkusen am Abend auf den FC Schalke 04. Es ist das Top-Spiel der Fußball-Bundesliga am 21. Spieltag.
Petra, genannt Pitti, Dahl und Klaus Schenkmann sind die beiden Stadionsprecher. Aber sie sind noch mehr: Sie moderieren das BayArena-TV und präsentieren das Rahmenprogramm der Bundesligapartie.
Sieben Seiten Regieplan – zügig gehen sie ihn durch. Klaus Schenkmann ist schon lange dabei, Pitti Dahl seit 2009. Sie ist die einzige Frau unter den Stadionsprechern der Ersten Fußball-Bundesliga.
"Ich bin da nix Besonderes. Dass ich das machen darf, das finde ich ganz, ganz toll. Aber ich bin da ganz normal. Ich muss den Kies begrüßen."
Unter der Woche arbeitet sie in der Marketing-Abteilung von Bayer 04. Wenn sie aber mitten im Interview losstürmt, um Leverkusens Top-Angreifer Stefan Kießling zu begrüßen, spürt man: Sie ist vor allem Fan ihres Vereins.
Der emotionale Kick ist genauso wichtig wie der Profi-Kicker
Eine Stunde bis Spielbeginn. Die beiden Stadionsprecher stehen im Innenraum und legen los. Fan-TV und Rahmenprogramm gehören längst zum Alltag in der Fußball-Bundesliga. Ein Freizeitforscher hat es einmal so formuliert: Der emotionale Kick ist genauso wichtig wie der Profi-Kicker. Das erlebnishungrige Publikum verlange nach mehr.
Werbung, Gewinnspiele, Fanaktionen, Bilder von der Heimmannschaft und ihren Fans: Die beiden Moderatoren präsentieren nichts, was man so oder so ähnlich nicht auch bei einem der anderen 17 Erstligisten sieht. Und so richtig interessiert wirken die Zuschauer auf den sich langsam füllenden Rängen auch nicht.
"Ich finde, dass das gar nicht mehr wegzudenken ist. Nicht nur beim Fußball, sondern bei jeglicher Sportveranstaltung kenne ich es eigentlich auch nur so und genieße das auch, wenn drum herum noch ein bisschen was geboten wird, man ein bisschen lachen kann, man sich selber auf der Anzeigetafel sieht als Fan, der gerade auf der Tribüne steht, oder mitverfolgen kann: Fanquiz, was der Klaus ja bei uns macht und die Antwort weiß und dann hört, dass derjenige, der gerade mitspielt, die falsche Antwort gibt, das sind Sachen, die macht man gerne und hört man sich auch gerne an und schaut man sich gerne an."
15 Minuten bis Spielbeginn. Nun trennen sich die Wege der beiden Stadionsprecher. Pitti geht hoch unters Dach in die Regie, hält Kontakt zur Polizei und dem Sicherheitsdienst. Klaus bleibt am Spielfeldrand in der Nähe des Vierten Schiedsrichters. Und der Fans.
"Als ich angefangen habe, da hatten wir eine Kamera, die hing an so einer Funkstrecke, und dann haben wir uns bemüht, damit den Moderator auf die Videowand zu bringen. Mittlerweile machen wir hier TV mit drei Kameras, mit einer Regie, mit allem, was man braucht, um eine Fernsehproduktion zu machen."
Zurück in Berlin – Sonntag, 2. Februar. Spitzenspiel in der Volleyball-Bundesliga: die BR Volleys gegen den VfB Friedrichshafen. Hallensprecher Karsten Holland ist in seinem Element.
"Die Gegengerade wird richtig laut, macht mal noch eine schnelle Runde, klasse, und jeder gibt seinem Nachbarn einen riesigen Applaus, das sieht klasse aus, haltet die Welle durch. Durchhalten, weitermachen, nicht nachlassen! Eine Runde schafft ihr noch."
"Der Mensch, der ich da bin, mit Mikrofon in der Hand, möchte ja was von dem Publikum. Nämlich dass es im Idealfall zweieinhalb Stunden durchklatscht. Wenn so ein Spiel fünf Sätze geht. Und dazu gehört aus meiner Sicht, dass man ein bisschen spielt, dass man variiert, dass man sich einfallen lässt, immer wieder was anderes zu bringen."
Eine unverwechselbare Atmosphäre
Mehr als 7000 Besucher bei einem Volleyballspiel. Das ist in Deutschland immer noch die Ausnahme. 2011 beschlossen die Verantwortlichen der BR Volleys, ihre Heimspiele nur noch in der Max-Schmeling-Halle auszutragen. Eine mutige Entscheidung, denn nur wenige Gegner sind so attraktiv wie der VfB Friedrichshafen. Doch in der Sportstadt Berlin mit ihren vielen Alternativangeboten müssen die Volleys eine unverwechselbare Atmosphäre schaffen. Sonst gehen sie unter.
Schnell liegen die Gastgeber nach Sätzen mit 2:0 in Führung. Doch trotz aller Beschwörungen ihres Stimmungsmachers verlieren sie Satz Nummer 3 und 4. Die Partie geht in den Tie-Break.
Im normalen Leben ist Karsten Holland Doktor Karsten Holland. Orthopäde, Unfallchirurg, Sportmediziner. Aber was heißt bei ihm schon normal. Er ist nicht nur Lautsprecher der BR Volleys, auch hochkarätigen Leichtathletikevents wie dem Berlin-Marathon oder dem IStaF leiht er seine Stimme.
In seiner Praxis hängen viele großformatige Sportfotos. Auch eine Totale vom ausverkauften Olympiastadion. Wäre das nicht der nächste Karriereschritt: Stadionsprecher bei Hertha BSC?
"Aus Entertainmentsicht muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen, dass mir der Volleyball mehr Vergnügen macht, weil ich viel flexibler bin. Ich kann viel mehr mit der Musik spielen, ich kann viel mehr in Interaktion mit dem Publikum treten als das im Berliner Olympiastadion der Fall ist."
Beim Fußball ist das der Job der Fans. Die Lautsprecher sind meist unter den Ultras zu finden. Mit dem Rücken zum Spiel, das Megafon vor dem Mund feuern sie ihre Leute an.
Zurück in Leverkusen. Im Topspiel der Bundesliga gerät die Werkself früh in Rückstand. Stadionsprecher Klaus Schenkmann kann seine Enttäuschung kaum verbergen. Will er auch nicht. Dazu ist er viel zu sehr Fan von Bayer 04.
"Ja, ich bin Fan dieser Mannschaft seit 1979, ich war hier im Stadion, als wir noch nicht in der Bundesliga gespielt haben und würde diesen Job als Stadionsprecher auch niemals machen wollen und können, wenn ich nicht Fan dieses Vereins wäre."
"Und ich finde es auch sehr schön, dass der Klaus hier 'Tooor für die Werkself' brüllt, denn gerade so eine Frauenstimme kann ja schnell schrill klingen, unangenehm fürs Ohr, und ich höre es, glaube ich, auch lieber von einem Mann."
Petra, genannt Pitti Dahl, seine Kollegin als Stadionsprecherin, ist dafür inzwischen bei Länderspielen der Frauennationalmannschaft in Leverkusen aktiv. Die Bundesligaspiele der Männer verfolgt sie von oben, von der Regie aus.
Halbzeitpause – im VIP-Bereich lässt sich Lothar Matthäus von einem Schuhputzer die Schuhe putzen, Pitti verteilt über die Lautsprecherboxen Geschenke.
(...)
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