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Geldpolitik
Die EZB als Klimaschützer?

Heute beginnt die Amtszeit von Christine Lagarde als neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank. Ihr Vorgänger Mario Draghi hat dafür gesorgt, dass gleich an ihrem ersten Arbeitstag die jüngste geldpolitische Entscheidung umgesetzt wird: Die EZB nimmt ihr umstrittenes Anleihekaufprogramm wieder auf.

Von Jessica Sturmberg und Ulrich Barths | 01.11.2019
Einige 50-Euro-Steine stecken in einem Blumentopf mit einer Sukkulente
Soll die EZB nur nachhaltige Anleihen kaufen? Kritiker sagen: Das ist nicht ihre Aufgabe. (picture alliance / dpa / Lehtikuva Marja Airio)
Dass die EZB nun wieder in großem Umfang Anleihen kauft, ist an sich schon umstritten. Doch auch die Frage, welche Anleihen die Zentralbank kaufen soll, wird diskutiert. So steht zum Beispiel der Vorschlag im Raum, dass die Währungshüter künftig nur noch bei nachhaltigen Anleihen zugreifen sollen - damit sie sozusagen neben Geldpoltik, auch gleichzeitig Klima- und Sozialpolitik betreiben kann.
EZB-Chefin Lagarde nicht abgeneigt
Was genau dabei eine nachhaltige Anleihe ist, ist bisher nicht klar definiert. Manche verstehen darunter Projekte, bei denen der Bau von Windkraftanlagen oder Energiespeichersysteme gefördert werden. Andere Definitionen bezeichnen eine Anlagestrategie schon als nachhaltig, wenn sie bestimmte Investitionen nicht tätig - zum Beispiel keine Kohlekraftwerke oder Projekte mit Kinderarbeit unterstützt.
Die neue EZB-Chefin Christine Lagarde hat dem Vorschlag, nachhaltige Anleihen zu kaufen, bei ihrer Anhörung im EU-Parlament im September grundsätzlich Sympathie entgegengebracht - allerdings mit einer Einschränkung:
"Beim IWF habe ich den Kampf gegen Ungleichheit aufgegriffen und dabei eng mit Oxfam zusammengearbeitet. Das ist ein Thema, das mir am Herzen liegt. Es ist bei der EZB aber klar die Preisstabilität, die der Fixpunkt bleibt. Es ist das oberste Ziel nach Artikel 27. Es gibt sekundäre Ziele, die nach meiner Überzeugung nicht sekundär sind. Und wenn Preisstabilität vorliegt, dann kann man sich auch weitere Ziele anschauen der anderen Institutionen anschauen. Zum Beispiel kann die EZB gewiss das Ziel Umweltschutz mit aufgreifen."
Oberstes Ziel bleibt Preisstabilität
Tatsächlich ist das Mandat und oberste Ziel der EZB Preisstabilität. So steht es in den Statuten, die in den Europäischen Verträgen von Maastricht verankert wurden. Für die EZB gilt: Erst wenn dieses Ziel erreicht ist, kann sie auch ein nachgeordnetes Ziel anstreben, dass die allgemeine Politik der EU stützt. Zum Beispiel Klimaschutz.
Bisher hat die EZB die Preisstabilität aber nicht erreicht. Angestrebt wird von den Währungshütern eine Inflation von knapp unter zwei Prozent; seit Jahren ist die Inflation niedriger. Am Donnerstag, 31.10., kamen dazu die neuesten Zahlen. Demnach ist die Inflation weiter zurückgegangen auf 0,7 Prozent. Während der 8 Jahre Draghi lag sie im Schnitt bei 1,2 Prozent. Zunächst ist es also das oberste Ziel der EZB, die Inflation anzuheizen - nicht Klimaschutz zu betreiben.
Währungshüter dürfen keine Verzerrungen am Markt auslösen
Dazu kommen weitere Aspekte, die es für die EZB schwierig machen, nachhaltige Anleihen zu kaufen. Zum einen ist die EZB grundsätzlich zu politischer Neutralität verpflichtet. Zum anderen würde sie dadurch das Prinzip der Marktneutralität verletzen. Die EZB muss nämlich bei einem Anleihekaufprogramm darauf achten, den Querschnitt des Marktes, also der angebotenen Papiere, aufzukaufen, damit sie mit ihren Käufen keine Verzerrungen am Markt auslöst. Bei einem Fokus auf nachhaltige Papiere wäre das nicht mehr gegeben.
Und auch das Volumen an grünen Anleihen im Markt sei bisher insgesamt nicht ausreichend, sagte Jörg Zeuner, Chefvolkswirt von Union Investment, im DLF-Börsengespräch:
"Das sind sehr erfolgreiche, neue Produkte am Anleihenmarkt, sie laufen gut. Aber wir haben gleichzeitig ein Emissionsvolumen von etwa 200 Milliarden im Jahr. Jetzt vergleicht man das mal mit dem, was die EZB plant, 20 Milliarden im Monat, sie würde also, wenn sie sich nur auf die grünen Anleihen spezialisiert einziger Käufer sozusagen sein müssen. Das Volumen ist im Moment noch zu klei, aber als Anlageklasse ist das spannend und sicherlich auch mit dem richtigen ziel unterwegs."
Zinswende erst einmal nicht in Sicht
Ein weiteres Problem: Was passiert, wenn das Anleihekaufprogramm irgendwann wieder zurückgefahren wird, weil die Inflation die gewünschte Höhe erreicht hat? Dann stünde die EZB vor einem Zielkonflikt: Soll sie die nachhaltigen Anleihen verkaufen und die Projekte, die dahinterstehen, möglicherweise schwächen? Oder droht dann die Gefahr, dass die Notenbank an Anleihen festhält, die sie eigentlich verkaufen müsste, um die grünen bzw. sozialen Projekte nicht zu gefährden? Auf diese Gefahr hat Bundesbank-Chef Jens Weidmann hingewiesen. Für ihn ein Grund, die Idee abzulehnen.
Grundsätzlich könne er sich vorstellen, dass Lagarde langfristig doch irgendwann die Zinswende einleiten werde, sagt Jörg Zeuner. Das aber hänge auch vom wirtschaftlichen Umfeld ab und von der Fiskalpolitik der Nationalstaaten. Sprich: Wenn die Staaten mehr investierten, könnte auch das die europäische Wirtschaft ankurbeln - und die Abhängigkeit von Niedrigzinsen könnte zurückgehen.