St.-Peter Ording

Klimawandel lässt den Sandstrand schrumpfen

Pfahlbau am Nordseestrand von St. Peter-Ording
Pfahlbau am Nordseestrand von St. Peter-Ording © dpa / picture alliance / Bodo Marks
Von Johannes Kulms · 21.06.2018
Die hölzernen Pfahlbauten am Strand von St. Peter-Ording trotzen seit mehr als 100 Jahren dem "Blanken Hans". Doch Sturmfluten sind für sie nicht die einzige Bedrohung: Der Anstieg des Meeresspiegels macht den Strand schmaler.
Seit Wochen herrscht fast durchgängig bestes Urlaubswetter in St. Peter-Ording. Doch für Urlaub hat Baustellenleiter Bernd Friedrichsen gerade weder Kopf noch Zeit. Den 52-Jährigen treibt vielmehr ein Gewirr um aus schweren mehrere Meter hohen Lärchenpfosten, die tief hineinragen in den Sandboden.
Bis zum Herbst soll der neue Pfahlbau fertig sein:
"Da kommt später 'n Toilettenhaus und das neue Strandwachthaus mit rauf. Das werden zwei Doppelhäuser, die oben drauf stehen und jetzt stellen wir die Pfosten und legen die Leinenbinder – das Grundgerüst."
Die Pfahlbauten gehören zu den Wahrzeichen am weitläufigen Strand von St. Peter-Ording. Sie sollen die darüber liegenden Gebäude schützen vor Wasser und Wind. Doch irgendwann steht auch ihnen das Wasser bis zum Hals. Dann muss Ersatz her. So wie hier, erklärt Zimmermann Bernd Friedrichsen:
"Weil die Nordsee immer dichter kommt. Und die vorderen Pfahlbauten mit der Zeit unterspült sind und nicht mehr halten. Und deswegen müssen sie weiter ins Inland rücken, damit immer gewährleistet ist, dass Toiletten und alles da ist."

"Strandrückgang" von fünf Metern pro Jahr

Das Versetzen der Pfahlbauten ist ein Zeichen dafür, dass auch an der Schleswig-Holsteinischen Westküste der Klimawandel angekommen ist:
"Ja, wir sagen ja, in unserem Wattenmeer ist nichts so beständig wie der Wandel…"
… sagt Detlef Hansen. Er leitet in Tönning die Verwaltung des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer.
"Aber wenn man konkret dann zum Beispiel nach St. Peter guckt, dann messen wir dort Strandrückgänge von fünf bis acht Metern pro Jahr. Und das ist sicherlich auch eine Folge von Veränderungen im Großen und Ganzen. Dass also die Energie, die auf die Küste wirkt, zunimmt, größer wird. Und dass man sich dann auch an so einem Fremdenverkehrshotspot wie St. Peter darauf einstellen muss."
Der Klimawandel verändert auch den Deichbau. Seit mehreren Jahren werden an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste die grünen Bollwerke verstärkt; auf der Deichkrone wird Platz geschaffen. Aufstockungen um weitere zwei Meter sind danach möglich. Klimadeich wird dieses Projekt genannt. Damit sollen Land und Menschen besser geschützt werden.
Unter Schutz steht auch die See – wenn auch aus anderen Gründen. 1985 wurde der Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer gegründet. Detlef Hansen erinnert sich:
"Die ersten Schritte waren steinig, holperig. Es gab erheblichen Widerstand, weil eigentlich niemand an der Küste wusste: Was bedeutet Nationalpark eigentlich für mich als Einheimischen? Es gab keine Blaupause. Es gab die Bayern, die 'n Waldnationalpark 'n paar Jahre vorher ins Leben gerufen haben. Aber Wattenmeer als Nationalpark hatte keiner so richtig Peilung, was das bedeutet."

Skeptische Nordfriesen

Kurz darauf gründeten auch Niedersachsen und Hamburg in ihren Wattenmeer-Gebieten Nationalparks. 2009 kam der Ritterschlag: Die Unesco erklärte das niederländische und das deutsche Wattenmeer zur Weltnaturerbestätte. 2014 folgte auch das dänische Gebiet. Knapp 11.500 Quadratkilometer ist diese Fläche groß. Sie zieht sich über etwa 500 Kilometer entlang der Nordseeküste.
Auch bei der Uneso-Ernennung sei mancher Nordfriese skeptisch gewesen, sagt Nationalparkchef Detlef Hansen, der selber aus Nordfriesland stammt. Doch die Entscheidung sei richtig gewesen:
"Also, ich fasse es in einem Satz zusammen: Nationalpark und Welterbe ist das Beste, was den Menschen hier an der Küste und der Natur des Wattenmeeres passieren konnte. Das ist mein Fazit nach 30, 40 Jahren Arbeit hier vor Ort."
Nirgendwo sonst auf der Welt gebe es ein so großes zusammenhängendes tidegeprägtes Wattgebiet, sagt Hansen.
Zweimal am Tag falle die Gegend dank der Gezeiten komplett trocken - ein gedeckter Tisch für Millionen von Vögeln. Viele Tiere machten im Wattenmeer Station auf dem Weg in die Brutgebiete in Sibirien und Kanada oder nutzten das Gebiet als "Auftankstation" auf dem Weg zur Überwinterung in Afrika. Eigentlich seien die Lebensbedingungen für Pflanzen im Wattenmeer unwirtlich. Und doch gebe es Spezialisten, die sich hier bestens angepasst hätten. Kurzum: Ein einzigartiger Lebensraum.

Umstrittene Ölförderung

Doch bis heute hat die Nordsee für die eher strukturschwache schleswig-holsteinische Westküste auch eine hohe sehr hohe wirtschaftliche Bedeutung. Da ist einmal der Tourismus: 19 Millionen Übernachtungen bringt der jedes Jahr plus 13 Millionen Tagesausflügler. Und nach wie vor werden im Weltnaturerbe Wattenmeer auch Fische, Krabben und Muscheln gefangen.
Umweltschützer sind darüber überhaupt nicht begeistert.
Doch kein Thema ist so umstritten wie die Ölförderung. Seit mehr als 30 Jahren fördert die DEA – Abkürzung für Deutsche Erdoel AG – das schwarze Gold. Mitten im Wattenmeer. Der Bau für die Öl- und Bohrinsel Mittelplate begann im Juni 1985 – nur wenige Monate vor Gründung des Nationalparks. Von Friedrichskoog aus ist die acht Kilometer vor der Küste liegende Plattform gut zu sehen.
Rund 35 Millionen Tonnen Öl sind seitdem aus dem Nordseeboden gepumpt worden. Noch knapp 20 Millionen weitere Tonnen ließen sich wirtschaftlich und technisch fördern, so die Schätzungen von DEA. Jahrelang hat das Hamburger Unternehmen um die Erlaubnis für Erkundungsbohrungen außerhalb der Plattform gekämpft. Doch am Ende wurde diese vom zuständigen Kieler Umweltministerium verweigert. Bis 2020 will der Konzern nach neuen Wegen suchen, um Erkundungsbohrungen direkt von der Ölbohrinsel Mittelplate zu ermöglichen.
Eine solche Plattform passe nicht in den Nationalpark, heißt es von Greenpeace. Ähnlich sieht es auch Nationalparksleiter Detlef Hansen, der die Ölförderung im Wattenmeer absurd findet:
"Das ist unserer schwarzer Fleck auf unserer weißen Weste, wenn ich es mal so sagen darf."
Doch die Plattform habe nun mal Bestandsschutz, sagt Hansen. Er vertraut auf die Sicherheitsmaßnahmen von DEA. Noch bis 2041 läuft die Lizenz zur Ölförderung in der Nordsee. Dass die DEA danach oder sogar schon früher ihre Nutzung im Wattenmeer einstellt, ist zumindest nicht ausgeschlossen. Denn die Erschließung von neuen Vorkommen und deren Förderung muss sich nun mal rechnen. Und das hängt vor allem von der Entwicklung des Ölpreises ab.
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